Heilbronn
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Hungernde Bürger und Hafturlaub auf Ehrenwort

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Der Hunger ist ein ständiger Begleiter. Heiligabend vor 70 Jahren, das zerstörte Heilbronn steckt nach dem Weltkrieg nach wie vor in den Aufbauwehen, das Leben in der amerikanischen Besatzungszone schreibt viele Entbehrungen vor. Ein Blick in die Heiligabend-Ausgabe der Stimme von 1946.

Von unserem Redakteur Carsten Friese
Bewirten die Kinder des früheren Feindes: US-Militärvertreter bei einer Weihnachtsfeier in Heilbronn kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Foto: HSt-Archiv
Bewirten die Kinder des früheren Feindes: US-Militärvertreter bei einer Weihnachtsfeier in Heilbronn kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Foto: HSt-Archiv

Die Ernährungslage sei "schwierig", in den letzten Monaten sei "weniger als die Hälfte der zur Aufrechterhaltung des 1550-Kalorien-Status notwendigen Lebensmittel aus den Vereinigten Staaten eingetroffen", zitiert die Heilbronner Stimme am 24. Dezember 1946 US-General McNarney.

Die Bevölkerung in der Stadt ist auch gut eineinhalb Jahre nach Kriegsende unterernährt. Die Hälfte von 1550 Kalorien pro Tag? Nach heutiger Einstufung benötigt ein Mann bei mäßiger körperlicher Belastung 2500 bis 2700 (Kilo-)Kalorien täglich, eine Frau 2000 bis 2200.

Oberbürgermeister Paul Metz erinnert in seinem Geleitwort in der Weihnachtsausgabe der jungen Tageszeitung an blasse Gesichter der Kinder, zitternde und magere Hände der Greise. "Ich höre die von Sorge und Not erfüllten Gespräche auf der Straße", schreibt Metz. Er spannt den Bogen zum neu erschaffenen Theater im Sonnensaal Sontheim, in dem die Bürger der "schwergeprüften Stadt" neue Kräfte, Erholung und innere Erbauung finden sollen.

Vieles, was in der Ausgabe zu lesen ist, wirkt heute kaum vorstellbar. Lebensmittelmarken mussten die Bürger zu fixen Terminen im Rathaus abholen. Wärmende Heizenergie war ein kostbares Gut, Holz oder Öl sind Mangelprodukte. Banken und städtische Ämter haben die letzte Woche des Jahres zu, "um Heizung und Strom zu sparen", steht als Meldung in der Zeitung.

Im Gericht wird vor der "Spruchkammer" der Geschäftsführer einer Lederfabrik, zuvor im Hitler-Reich förderndes Mitglied der SS, als Mitläufer der Nazis eingestuft. Als "Minderbelasteter" muss er zur Sühne 4000 Reichsmark zahlen.

Heiligabend-Ausgabe 1946: Fotos gab es damals keine in dem Blatt mit sechs Seiten. Eine Zeichnung mit Kindern am Christbaum musste genügen. Foto: Dennis Mugler
Heiligabend-Ausgabe 1946: Fotos gab es damals keine in dem Blatt mit sechs Seiten. Eine Zeichnung mit Kindern am Christbaum musste genügen. Foto: Dennis Mugler

Niemals Frieden

Manches indes wirkt wie ein Brückenschlag in die heutige Zeit von Terror und Flüchtlingsströmen. Dann etwa, wenn der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte auf der Titelseite zitiert wird, nie seien die Völker mehr dazu aufgerufen gewesen, sich der Friedensbotschaft von Weihnachten zu erinnern. Ohne den ernsten Willen aller Menschen "wird es niemals einen dauernden Frieden auf Erden geben".

Viele angekommene Flüchtlinge sind auch damals ein Thema, das den Alltag beherrscht. Eine Schülergruppe führt in Heilbronn für Flüchtlingskinder das Schneewittchen-Märchen auf, in Brackenheim werden 500 Flüchtlinge an reich gedeckten Weihnachtstischen im Turnsaal beschert. Gleichzeitig klagt der Wohnungskommissar des Kreises "Unvernunft und Mangel an sozialem Verständnis" an, wenn ausgerechnet jene Bürger, von deren Häusern im Krieg "kein Ziegel vom Dach fiel", sich gegen eine Beschlagnahme von leer stehendem Wohnraum wehren. "Denkt daran, wenn euch ein gütiges Schicksal die Heimat erhalten hat, dass noch Tausende auf einen Schein des Weihnachtslichts harren", welcher Hoffnung auf eine bessere Zukunft zeige.

Artige Gefangene

Die kurioseste Nachricht damals: In einem Internierungslager durften Häftlinge 14 Tage "Urlaub auf Ehrenwort" antreten, mit dem Versprechen, zurückzukommen. 370 Anträge wurden genehmigt − und alle Beurlaubten kehrten zurück. Das war damals im Kleinen auch eine frohe Botschaft.

 


 
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