Gottes Wille öffnet die Geldbeutel
Deutsche Spätregenmission: Eine Glaubensgemeinschaft zwischen Modernisierung und Manipulation.

Über Jahrzehnte hatten die Mitglieder der Spätregenmission im Beilsteiner Glaubenshaus Libanon ein unauffälliges Leben geführt. Der Vorstand unternahm keine wirklichen Anstrengungen, um die Mission zur weltlichen Gemeinde hin zu öffnen. Vor knapp drei Jahren machte die Heilbronner Stimme öffentlich, dass in den 70er Jahren Kinder missbraucht und diese Taten vertuscht wurden. Der genauere Blick auf die Spätregenmission offenbarte weitere gravierende Probleme: Unregelmäßigkeiten im Umgang mit Spendengeldern, Finanzschwierigkeiten, Manipulation der Mitglieder. Die Verantwortlichen räumten Fehlentwicklungen ein, gelobten Besserung. Wo steht die Spätregenmission heute? Auf dem Weg der Modernisierung, sagt der Vorstand. Noch viel zu sehr in der Vergangenheit, meinen Aussteiger und kritische Beobachter.
Missbrauch
Wie viele Kinder in Beilstein missbraucht worden sind, ist heute nicht mehr festzustellen. Die Mission hatte auf öffentlichen Druck hin die Evangelische Landeskirche beauftragt, die Missbrauchsvorwürfe aufzuarbeiten. Diese Aufgabe übernahm ein Seelsorger. Annette Kick, Weltanschauungsbeauftragte der Landeskirche, nennt keine Zahlen, verweist auf Vertraulichkeit, die den Betroffenen zugesagt worden sei. "Außerdem wurde dem Seelsorger und mir in unseren Gesprächen klar, dass die Zahl der sexuell Missbrauchten sehr viel größer ist als die Zahl derer, die sich gemeldet haben."
Opfer
Der Vorstand der Späteregenmission beantwortet Presseanfragen − wenn überhaupt − seit einiger Zeit nur noch per Anwalt. Die Mission selbst erhalte zur Wahrung der Anonymität der Anrufer keine Information über die Anzahl der Personen, erklärt Veronika Klein von der Hechinger Kanzlei Voelker und Partner. Konkrete Forderungen von Opfern seien an den Vorstand nicht herangetragen worden. Klein weist darauf hin, dass die Spätregenmission die Betreuung finanziert, die über die Landeskirche geleistet wird. Das bestätigt Annette Kick. Ihre Frage aber, ob die Mission bereit sei, Therapien zu bezahlen, sei weder abgelehnt noch zugesagt worden.
Was hat die Glaubensgemeinschaft unternommen, um sexuellen Missbrauch zu verhindern? Der Vorstand habe unmittelbar nach seinem Amtsantritt am 3. November 2012 einen Leitfaden der Christlichen Jugendpflege an alle Personen weitergeleitet, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Ein artgleicher Leitfaden habe schon zuvor existiert. "Zudem haben alle Personen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, einen Verhaltenskodex unterschrieben", erklärt Veronika Klein. Auch gebe es regelmäßige Schulungen.
Was Opfer in Gesprächen mit der Heilbronner Stimme immer wieder betonten: Vor allem die jahrelange Vertuschung der Taten habe sie sehr belastet. Und die fehlende Aufarbeitung. Sie und andere Aussteiger berichteten davon, dass Mitglieder mit angeblichen göttlichen Vorhersagen, sogenannten Prophetien, verängstigt und auf diese Weise diszipliniert worden sind. Auf Anfrage hatte die Mission dies abgestritten, in einem Anfang 2015 versandten Entschuldigungsbrief dann doch zugegeben, dass "die Gabe der Prophetie überbetont" worden sei. Diese sei von vielen höher eingeschätzt worden als das geschriebene Wort Gottes. "Dies hatte äußerst nachteilige Konsequenzen." Anwältin Veronika Klein beteuert nun, dass "in den Glaubenshäusern die Prophetie nicht zur Disziplinierung der Gemeindemitglieder eingesetzt wird". Die Mission habe sich sehr gewandelt und sich von veralteten Ritualen distanziert.
Aussteiger
Aussteiger, die noch immer Einblick in das Haus Libanon haben, bescheinigen der Mission zwar, dass die Prophetie nicht mehr in dem Ausmaß angewandt wird wie in früheren Zeiten. Merkwürdig aber, dass im Herbst 2015 eine prophetische Botschaft in einem gedruckten Rundbrief der Spätregenmission enthalten war, in der der Öffentlichkeit zugänglichen Internet-Version aber herausgenommen wurde.

Zuweilen übt der Vorstand aber auch subtilen Druck aus. Als Ende 2015 der finanzielle Kollaps drohte, baten die Führungscrew um Martin Illig um Spenden. Wie eine Audiodatei, die der Stimme vorliegt, belegt, verwies der Vorstand in einer Ansprache darauf, per "Wort-Fragen" von Gott erfragt zu haben, ob er die Mitglieder um Spenden bitten solle. Im Umkehrschluss lautete die Botschaft für die frommen Gemeindemitglieder: Es ist Gottes Wille, dass sie ihr Geld geben. Im Widerspruch dazu steht die Aussage von Anwältin Klein: Das Wort-Fragen sei nur der Ausdruck eines "individuellen Glaubenserlebnisses". In derselben Ansprache wird davon berichtet, dass der Herr die "Bekehrung von ständiger Uneinigkeit fordere".
Prophetien
Die Weltanschauungsbeauftragte Annette Kick glaubt zwar, dass der Wille da ist, mit Prophetien sehr viel vorsichtiger umzugehen. "Aussteiger freilich, die die Veröffentlichungen aus Südafrika lesen, stellen fest, dass die Ausrichtung der Gemeinschaft und die Botschaften an die Mitglieder nach wie vor mit den vom Geist eingegebenen Eindrücken der Leiter begründet werden." Und diese Prophetien sind eben nicht hinterfragbar. Die Abhängigkeit von der Spätregen-Zentrale in Südafrika ist vielen Aussteigern ein Dorn im Auge. Sie weisen in Gesprächen mit der Stimme darauf hin, dass auch die aktuelle Spätregen-Verfassung noch immer vorgebe, dass dem Präsidenten in geistlichen Fragen das Alleinbestimmungsrecht zustehe.
Spenden retten Mission vorerst vor der Insolvenz
Die Spätregenmission kämpft seit Jahren mit finanziellen Problemen. Ende 2015 drohte sogar die Zahlungsunfähigkeit. Der Vorstand zeichnete im Oktober 2015 den mehr als 100 Bewohnern des Glaubenshauses ein düsteres Bild. Aufzeichnungen zufolge warnte der Vorstand vor dem drohenden finanziellen Kollaps und bat um Spenden.
Nach Informationen der Stimme mit Erfolg. So sollen zum Teil hohe fünfstellige Beträge geflossen sein. Veronika Klein von der Hechinger Kanzlei Voelker und Partner betont im Namen der Mission allerdings: "Es ist nicht ganz richtig, dass hohe Einzelspenden allein die Insolvenz vorerst abgewendet haben." Richtig sei vielmehr, dass der Großteil des Geldes von vielen einzelnen Spendern stamme, die sich auch mit kleinen Beträgen beteiligten. "Derzeit besteht ein stabiles Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben." Die Arbeit an einem langfristig tragfähigen Konzept nehme einen Großteil der täglichen Arbeitszeit des Vorstands in Anspruch. Der Blick in die finanzielle Zukunft der Mission stelle sich aus heutiger Sicht positiv dar.
Die Spätregenmission hatte vor einigen Jahren den Status der Gemeinnützigkeit verloren. Unter anderem deshalb, weil es zu Unregelmäßigkeiten mit Spendengeldern gekommen war. Beispiel: Um dem internationalen Missionspräsidenten Fanie van Vuuren einen Altersruhesitz in der Schweiz zu ermöglichen und um schweizerisches Einbürgerungsrecht zu umgehen, schuf die Mission ein Geflecht von Scheinzahlungen, das auf falschen Quittungen basierte. Das belegt eine Aktennotiz, die die Stimme einsehen konnte. Dieses illegale Vorgehen war ein Grund für das Finanzamt, der Mission vorübergehend die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Inzwischen, erklärt Veronika Klein, sei der Status der Gemeinnützigkeit wieder uneingeschränkt erteilt worden.
Über all den Bemühungen der Mission, finanziell zu gesunden, hängt ein Damoklesschwert. Vor dem Sozialgericht Heilbronn war die Glaubensgemeinschaft mit einer Klage gegen die Deutsche Rentenversicherung gescheitert. Diese fordert, dass die Mission eine ganze Reihe ehemaliger Mitglieder nachversichert. Und das könnte enorme Ausgaben verursachen. Die Mission selbst sprach zu einem früheren Zeitpunkt von 500.000 Euro. Ob diese Summe ausreichen würde, ist aber zweifelhaft. Der Heilbronner Anwalt Martin Kerdels vertritt etwa zwei Dutzend ehemalige Mitglieder. Seit dem Urteil des Sozialgerichts hätten sich weitere Betroffene an die Rentenversicherung gewandt.
Die Spätregenmission hat gegen das Heilbronner Urteil Berufung eingelegt beim Landessozialgericht Baden-Württemberg. Bislang haben die Parteien nur Stellungnahmen ausgetauscht. Martin Kerdels: "Ich erwarte keine Entscheidung vor Ende 2016."