Glaube an die Gefahr aus den Wolken
Heilbronnerin sieht in Flugzeugspuren keine Kondensstreifen - Experten zu Verschwörungstheorie

Warum hinterlassen Flugzeuge weiße Streifen am Himmel?", fragt Sebastian. Sebastian ist neun Jahre alt, seine Frage steht im "Flugblatt", dem Magazin des Stuttgarter Flughafens. Der Leiter der Flughafenführungen antwortet. Die Streifen heißen Kondensstreifen und entstehen − etwas verkürzt − durch das Verbrennen von Kerosin in Flugzeugtriebwerken. Klingt logisch? Nicht für Marion Behringer (Name geändert).
Die Theorie, dass weltumspannende Geheimzirkel mit umgebauten Militär-Flugzeugen und daraus versprühten Chemikalien ihre Interessen verfolgen, hat zahlreiche Anhänger in der ganzen Welt, auch in der Region. "Chemtrails" heißen die Streifen in diesen Kreisen − zu deutsch ungefähr "Chemikalienstreifen".
Karierter Himmel
Der Blick aus den Fenstern ihrer Wohnung im Heilbronner Osten besorgt Marion Behringer oft, erzählt sie. Die weißen Streifen, die auch der kleine Sebastian sieht, sind für sie hingegen ein Beweis, dass etwas schief läuft. "Der Himmel sieht oft kariert aus. Vor allem an Wochenenden", sagt sie. "Die Streifen breiten sich oft mehr und mehr aus, bedecken den ganzen Himmel. Das ist dann eine milchige, weiße Decke. Die Sonne verschwindet." Seit ihren ersten Wolken-Beobachtungen vor drei Jahren hat sie sich im Internet umgeschaut, wie die Streifen am Himmel noch entstehen könnten. "Da findet man schnell Leute und Seiten, die sich mit dem Thema beschäftigen", meint die Heilbronnerin.
Manche meinen, sie beeinflussen Klima und Wetter. Andere vermuten Gedankenkontrolle. Wiederum andere wittern rücksichtsloses Gewinnstreben von Chemiekonzernen. "Was für einen Sinn soll es haben, giftiges Aluminium zu versprühen?", fragt Marion Behringer. "Doch nur, wenn man hinterher das passende Medikament gegen die Schädigungen verkauft."
Sie sieht nicht nur Industriekonzerne in die Machenschaften verstrickt, sondern auch Bundesregierung, amerikanische Regierung, Nato, Geheimdienste, Flugzeughersteller, Piloten. Sie habe versucht, Kontakt zu den Grünen aufzunehmen, und Infos beim Umweltbundesamt einzuholen. "Sie streiten alles ab, die Sache wird geheim gehalten." Es gebe Tage, da überlege sie sich gut, bevor sie bei bestimmten Wolkenformen aus dem Haus gehe.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat keine Erkenntnisse über die Existenz der sogenannten Chemtrails, dem Versprühen von Chemikalien aus Flugzeugen zur Klimabeeinflussung. Das teilt ein DLR-Sprecher mit − die Einrichtung ist das Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland unter anderem für Luft- und Raumfahrt. Das DLR betreibt bei Hardthausen eine Reihe von Prüfständen, in denen unter anderem Raketentriebwerke getestet werden.
Größtenteils Wasser
Anlass, die Wolkenformationen für das Ergebnis von Sprühaktionen aus Flugzeugen zu halten, sieht der Sprecher nicht. Kondensstreifen von Flugzeugen seien bei klarem Himmel täglich zu beobachten. "Sie entstehen aus dem Abgasstrahl von Flugzeugen in Höhen zwischen neun und elf Kilometern." Deren Ausprägung hänge vom Wetter in diesen Höhen ab. "Entscheidend sind Druck, Temperatur, Feuchtigkeit und Wind", schreibt er. Aus den Kondensstreifen bilden sich Eiswolken. Nach gewisser Zeit seien Kondensstreifen nicht mehr von natürlichen Eiswolken zu unterscheiden. Diese könnten an manchen Tagen durchaus den gesamten Himmel bedecken.
Ausgedehnte Kondensstreifenfelder entstehen durch die Überlagerung mehrerer Kondensstreifen in eisübersättigter Luft. Der größte Bestandteil ist Wasser, das aus der Feuchtigkeit in der Umgebungsluft stammt. "Dazu bedarf es keiner weiteren chemischen oder metallischen Substanzen", stellt der DLR-Sprecher fest.
Nachgefragt: "Gegenteilige Aussagen bleiben wirkungslos"

Woher kommen Verschwörungstheorien wie die von "Chemtrails" am Himmel? Unser Redakteur Alexander Klug hat darüber mit Johannes Moskaliuk gesprochen, er ist Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen und Professor für Psychology and Management an der International School of Management in Stuttgart.
Wie führt der Blick in den Himmel zu so einer Theorie?
Johannes Moskaliuk: Die Anhänger führen Quellen an, zitieren Experten, stellen Hypothesen und Vermutungen auf. Kombiniert mit dem Schüren von Angst und dem scheinbar sichtbaren Beleg am Himmel ergibt das eine perfekte Theorie.
Warum haben Aussagen von Fachleuten kaum Effekt?
Moskaliuk: Dass Institutionen widersprechen, ist Teil der Theorie, bestätigt deren Annahmen. Eine solche Theorie ist so formuliert, dass es keine Möglichkeit gibt, sie zu widerlegen. Deshalb bleiben gegenteilige Aussagen wirkungslos.
Sehen Sie überhaupt Möglichkeiten, mit Argumenten etwas zu erreichen?
Moskaliuk: Das Gehirn verarbeitet Informationen nicht systematisch und objektiv. Wovon sich Menschen überzeugen lassen, hängt von bestehenden Einstellungen und Meinungen ab. Verschwörungstheoretiker müssten in Betracht ziehen, sich auf falsche Informationen verlassen zu haben. Argumente können deswegen wenig ausrichten.