Mit Widerrufsjoker raus aus Kreditvertrag
Kunden können bei Immobilienfinanzierung von fehlerhafter Belehrung profitieren − Komplizierte Rechtslage.

Für die Banken ist es eine Horrorvorstellung, für viele Immobilienbesitzer eine Möglichkeit, viel Geld zu sparen. Die Rede ist vom sogenannten Widerrufsjoker, den immer mehr Kreditnehmer ziehen. Damit können die Kunden ihre Immobilienverträge kündigen, ohne dass eine teure Vorfälligkeitsentschädigung an die Bank gezahlt werden muss.
Schätzungen
Hintergrund ist die Tatsache, dass Darlehensverträge zur Immobilienfinanzierung seit November 2002 eine Widerrufsbelehrung enthalten müssen. Diese Belehrungen, die bestimmten formalen Kriterien genügen müssen, sind in der Praxis häufig fehlerhaft. Der Eigentümerverband Haus & Grund schätzt, dass mehr als die Hälfte der mehr als zehn Millionen geschlossenen Immobilienverträge zwischen 2002 und 2010 fehlerhaft sind. Die Verbraucherzentrale Hamburg kam bei einer Prüfung im Juni 2014 gar zu dem Ergebnis, dass fast 80 Prozent der Immobiliendarlehensverträge falsche Widerrufsbelehrungen enthalten.
"Es reicht schon der Satz: ,Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung", damit eine Widerrufsbelehrung ungültig ist", sagt der Bremer Rechtsanwalt Peter Hahn, dessen Kanzlei bisher rund 500 Fälle betreut hat und auch Mandanten in der Region berät. Diese Formulierung sei nicht eindeutig, weil sie den genauen Beginn der Frist offen lasse. Da es zahlreiche Formulierungen gibt, die zu einer falschen Widerrufsbelehrung führen, sollten Kreditnehmer die Verträge von Experten prüfen lassen. Liegt ein Fehler vor, kann der Kunde den Kreditvertrag jederzeit kündigen, weil die Widerrufsfrist aufgrund der fehlerhaften Belehrung noch gar nicht begonnen hat. "Das Widerrufsrecht erlischt selbst dann nicht, wenn das Darlehen bereits abgelöst ist", betont Hahn.
Rückforderung
Betroffene Kreditnehmer, die ihren Vertrag nach November 2002 abgeschlossen haben, können also den alten Vertrag, der meist zu deutlich höheren Zinsen abgeschlossen worden sein dürfte, kündigen, um einen neuen Vertrag zu den aktuell niedrigen Zinsen auszuhandeln. Und sie können Vorfälligkeitsentschädigungen zurückverlangen, die sie bei vorzeitiger Rückzahlung des Kredits an ihre Bank zahlen mussten.
Einfach ist das freilich nicht. "Es sind noch viele Rechtsfragen offen, wenn es darum geht, ob eine Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist oder nicht", sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Die Verbraucherzentrale hat einige Verfahren auf den Weg gebracht, um hier Klarheit zu erhalten. Nauhauser bekommt viele Anfragen zu dem Thema. Er rät den Betroffenen, sich professionelle Hilfe zu nehmen. "Ohne Rechtsbeistand haben die Kunden bei den meisten Banken schlechte Karten", sagt er.
Fallbeispiel
Das kann Franz Münzing (Name geändert) nur bestätigen. Der Rentner aus dem Landkreis hatte bei seiner Heilbronner Bank ein Vorfälligkeitsentgelt von 6330 Euro zahlen müssen, weil er seinen Kredit vorzeitig abgelöst hatte. Diesen Betrag fordert er nun mit Hinweis auf die fehlerhafte Widerrufsbelehrung zurück. Doch die Bank ist bisher nicht zu einer außergerichtlichen Einigung bereit, weshalb Franz Münzings Rechtsanwalt gerade die Klage vorbereitet. Gut möglich also, dass der Widerrufsjoker nicht nur Anwälten und Banken, sondern auch den Gerichten künftig eine Menge Arbeit bescheren wird.
Kreissparkasse und Volksbank bleiben gelassen
Die Banken geben sich trotz der möglicherweise auf sie zurollenden Klagewelle aufgrund fehlerhafter Widerrufsbelehrungen bei Immobilienkreditverträgen gelassen. Die Kreissparkasse (KSK) Heilbronn teilt auf Anfrage mit, dass sich "immer wieder Kunden" wegen dieses Themas meldeten. Dabei gehe es aber vor allem um Aufklärung, weshalb nur in Ausnahmefällen tatsächlich ein Widerruf ausgesprochen werde.
Die Bank betont, dass sie jeden Einzelfall individuell prüfe. Die Widerrufsbelehrungen sind nach Ansicht der KSK "immer korrekt formuliert" gewesen. "Die von der Kreissparkasse Heilbronn und den anderen deutschen Sparkassen verwendeten Belehrungstexte wurden nie gerichtlich verworfen", teilt das Institut mit. "Vereinzelt" komme es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, es sei aber in keinem Fall bisher gerichtlich gegen die KSK Heilbronn entschieden worden.
Mit einer Klagewelle rechnet das Institut nicht. Die Kreissparkasse weist vielmehr auf die oft seit vielen Jahren bestehende Vertrauensbasis zwischen Kunden und Beratern hin. "Wir erleben deshalb, dass nur sehr wenige Kunden aufgrund vager Vermutungen bezüglich von Formfehlern eine tragfähige Kundenbeziehung in Frage stellen."
Urteile Ähnlich äußert sich die Volksbank Heilbronn. Sie führt verschiedene Gerichtsurteile auf, die das Widerrufsrecht von Bankkunden oftmals Jahre nach Abschluss des Kreditvertrages verneinen. Dies gelte etwa, wenn der Kunde und der Bankmitarbeiter den Kreditvertrag gemeinsam in der Filiale unterschrieben haben. Außerdem habe das Landgericht Hamburg ein schutzwürdiges Interesse des Kunden am Widerruf seines Kreditvertrages verneint, wenn der Widerruf nur deshalb erfolgt, weil am Markt inzwischen günstigere Kreditkonditionen zu erhalten sind.