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„Heute stehen wir mitten im Leben“

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Abstatt/Heilbronn - "Der Albtraum schien unendlich. Da waren nur noch Schmerz, Verzweiflung und unendlich viel Angst – Angst vor der Zukunft. “ So umschreibt Melanie Klinke-Moser aus Abstatt die Tage und Wochen, nachdem ihre Eltern beim Absturz einer Birgenair-Maschine ums Leben gekommen waren. 187 Menschen starben mit ihnen. Die meisten, auch der Vater, liegen wohl noch heute im Flugzeugwrack auf dem Meeresgrund vor der Dominikanischen Republik

Von Ulrike Bauer-Dörr
Am 6. Februar 1996 stürzte eine Boeing 757 der Birgenair wenige Minuten nach dem Start vom Flughafen Puerto Plata ins Meer. Dabei kamen 189 Menschen ums Leben, darunter 164 deutsche Urlauber. Ursache des Absturzes war vermutlich eine verstopfte Staudrucksonde, die zu einer falschen Anzeige der Fluggeschwindigkeit führte, wodurch die Piloten zu falschen Reaktionen verleitet wurden. Foto: dpa



Abstatt/Heilbronn - "Der Albtraum schien unendlich. Da waren nur noch Schmerz, Verzweiflung und unendlich viel Angst – Angst vor der Zukunft. “ So umschreibt Melanie Klinke-Moser aus Abstatt die Tage und Wochen, nachdem ihre Eltern beim Absturz einer Birgenair-Maschine ums Leben gekommen waren. 187 Menschen starben mit ihnen. Die meisten, auch der Vater, liegen wohl noch heute im Flugzeugwrack auf dem Meeresgrund vor der Dominikanischen Republik.

Die Katastrophe passierte aufgrund eines Pilotenfehlers im Februar 1996. Sie, damals 20, und ihre jüngeren Geschwister Corina, Christian (17) und der neunjährige Mathias wurden von einem Tag auf den anderen zu Vollwaisen. Ganz Abstatt trauerte mit ihnen. „Wir erfuhren viel Hilfe und Liebe, nie hatten wir das Gefühl, im Stich gelassen zu werden“, fasst die heute 32-jährige Erzieherin zusammen. Der Schicksalsschlag hat die Geschwister zusammengeschweißt.

Trotzdem gab es viele dunkle Tage und das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Der Kampf mit in- und ausländischen Behörden und Versicherungen, Kontakte mit Polizei, BKA, Staatsanwälten, Jugendamt – das alles brach wie eine Lawine über die vier jungen Leute herein. Nicht nur über sie.

Spurensuche

Bei jeder Katastrophe, bei jedem tödlichen Unfall, werden die Hinterbliebenen aus der Bahn gerissen, verlieren den Halt, ihre innere Mitte. Keine weiß das besser als Sybille Jatzko. Die Psycho- und Gesprächstherapeutin hat sich der Nachsorge von Hinterbliebenen verschrieben: Sie lädt sie ein zur Spurensuche, zum gemeinsamen Trauern, zum gemeinsamen Sprechen über ihre innersten Gefühle. Daraus schöpfen alle, die sich darauf einlassen, unendlich viel Kraft. Sie entwickeln mit der Zeit die Fähigkeit, das Unfassbare anzunehmen und zu überwinden.

Heute können die Moser-Geschwister wieder lachen: (von links) Christian, Melanie, Corina und Mathias mit Gesprächstherapeutin Sybille Jatzko und Fritz Hitzfelder, der vor zwölf Jahren seinen Sohn verlor.



So wie die Geschwister Moser. „Ohne diese Nachsorgearbeit würden wir heute nicht wieder so mitten im Leben stehen“, sagt die 29-jährige Corina Vogler. Seit zwölf Jahren nehmen die Geschwister bis zu drei Mal im Jahr an Angehörigentreffen teil: immer im Februar am Unfallort, sonst in Hotels in Deutschland. Tiefe Freundschaften haben sich daraus entwickelt.

Motor dieser Treffen ist die Therapeutin Sybille Jatzko. Sie betreut auch die Angehörigen von Tsunami-Opfern, von Ramstein, Kaprun, Erfurt. Für diese Arbeit ist sie bereits mit dem Bundesverdienskreuz am Bande ausgezeichnet worden.

Jetzt hat sie ein Buch herausgegeben, an dem auch der Ingenieur Fritz Hitzfelder mitgeschrieben hat. Er hat einen Sohn beim Birgenair-Absturz verloren. Er beschreibt im Buch „Hinterbliebenen-Nachsorge nach dem Flugzeugabsturz“ die technischen Details, die zur Katastrophe führten. Zu Wort kommen in der Dokumentation 48 Betroffene, darunter auch Melanie und ihre Schwester Corina. Weitere Beiträge lieferten Seelsorger, Ärzte, Kriminalbeamte und Luftfahrtexperten.

Lichtblick

Bei der Buchpräsentation vor Mitgliedern des Heilbronner DRK-Notfallnachsorgediensts stellte Jatzko ihre Vision von einem Haus für trauende Hinterbliebene von Katastrophen vor. Sie sammelt sie Geld dafür. Melanie Klinke-Moser hat ihre Trauererfahrungen bereits umgesetzt. Sie ist Mitgründerin des Heilbronner Vereins Lichtblick für trauernde Kinder (TAK). So etwas, sagt sie, hätte ihr damals neunjähriger Bruder Mathias dringend gebraucht.

Info: Sybille Jatzko, Fritz Hitzfelder: Hinterbliebenen-Nachsorge. Stumpf + Kossendey-Verlag, 29 Euro.
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