Es menschelt auch im Grundbuch
Heilbronn - Notariaten und Grundbuchämtern eilt ja gemeinhin der Ruf voraus, ein prototypischer Hort deutscher Gründlichkeit zu sein. Da hat der Spaß so seine Schwierigkeiten, sich durchzusetzen. Doch Johannes Arndt sagt: "Wer hier konzentriert arbeitet, muss mal einen Witz machen, sonst wird es unangenehm."
        
        
Heilbronn - Notariaten und Grundbuchämtern eilt ja gemeinhin der Ruf voraus, ein prototypischer Hort deutscher Gründlichkeit zu sein. Da hat der Spaß so seine Schwierigkeiten, sich durchzusetzen. Doch Johannes Arndt sagt: "Wer hier konzentriert arbeitet, muss mal einen Witz machen, sonst wird es unangenehm." Der 53-Jährige ist einer von insgesamt 45 Beschäftigten, die im Heilbronner Erfassungszentrum die Grundbücher aus dem ganzen Land digitalisieren. Eine Kärrnerarbeit und eine Mammutaufgabe, die schon seit eineinhalb Jahren unter dem Dach des Amtsgerichts erledigt wird.
Akten über Akten
Neben dem Heilbronner gibt es noch zwei weitere Erfassungszentren im Land − in Villingen-Schwenningen und in Stuttgart. An diesen drei Standorten wird von Hand alles in den Computer eingegeben, was bisher auf Papier über Immobilien und Grundstücke amtlich eingetragen war. Die Grundbücher Baden-Württembergs ergeben zusammengenommen eine Strecke von 160 Kilometer Akten. Bis jetzt hat das Heilbronner Erfassungszentrum 100 000 Grundbücher im PC abgespeichert. Allein im badischen Landesteil sind noch eine Million Grundbücher nicht erfasst. Es wird noch bis 2017 dauern, alle Daten zu digitalisieren. Kein Job für ungeduldige Sprinter.
Doch mit der stupiden Abschrift ist es nicht getan. "Denn Grundbuch ist nicht gleich Grundbuch", sagt Amtsgerichtspräsident Reiner Hettinger. Soll heißen: Die Grundbücher sind manchmal gar nicht so einfach zu lesen, geschweige denn zu entziffern. Teilweise sind die Folianten mehr als hundert Jahre alt und noch in Sütterlin verfasst. Und teilweise variiert die Leserlichkeit der Buchstaben stark − je nach Stimmung und Persönlichkeit des Grundbuchbeamten. Von wegen: Früher haben alle nur in Schönschrift geschrieben. Johannes Arndt und seine Kollegen haben schon alles gesehen. Verschnörkelte schwungvolle Schrifttypen. Aber auch fast schon schlampige Eintragungen, mit hastigem Federstrich gemacht, kommen vor. "Es menschelt halt auch hier", sagt Gerichtspräsident Hettinger. Mal ganz abgesehen von den altertümlichen Formulierungen. Zum Beispiel ist da die Rede von "Haustöchtern ledigen Standes". Oder vom Benutzungsrecht an Quellen, aus denen so viele Tiere trinken dürfen, wie ein Berg ernähren kann. Alles klar?
Alte Rechte
Ein bisschen kommen sich die Erfasser wie Dirigenten vor, die sehr alte Musik heute möglichst werktreu auf eine moderne Bühne bringen müssen. Obwohl es die Instrumente zum Teil nicht mehr gibt und die Hörgewohnheiten völlig andere sind. Denn etliche Eintragungen in den Grundbüchern beruhen auf Rechten und Verhältnissen, die heute längst vergessen sind oder zumindest nicht mehr gelten. "Wir müssen ermitteln, was wollten die damals", erklärt Amtsgerichtspräsident Hettinger die mühsame Recherche. "Zum Beispiel sind da Schafherderechte angegeben oder Stockwerkseigentum", ergänzt Erfassungszentrumsleiter Christoph Strauß. Noch schlimmer. Manchmal sind die Angaben in den Grundbüchern schlichtweg falsch und müssen korrigiert werden. Die Erfasser und ihre Teamleiter haben den Auftrag, die Daten möglichst originalgetreu in den Computer einzugeben. Was dort abgespeichert wird, steht dereinst wie in Stein gemeißelt. Denn egal ob digital oder auf Papier, die Grundbücher waren und bleiben die Bibeln des Immobilieneigentums. Darum müssen die Erfasser hochkonzentriert und exakt vorgehen. "Das ist anstrengend", sagt Strauß.
So anstrengend, dass ein Witz von Johannes Arndt allein nicht reicht, die Arbeitsbedingungen etwas aufzulockern. Das Amtsgericht bietet eine Rückenschule in ihrem Domizil an. Sogar Massagen sind möglich. Präsident Hettinger hat auch ein Augentraining im Visier und will ein Konzept für das Gesundheitsmanagement der Belegschaft erarbeiten − allerdings für alle Beschäftigen in der Justizbehörde.
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