Stimme+
Jagsthausen
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Dorfladen in Jagsthausen: Tante Emmas erfolgreicher Erbe

   | 
Lesezeit  4 Min
Erfolgreich kopiert!

Wenn der nächste Supermarkt weit entfernt ist und es im Ortszentrum still zu werden droht, kann ein genossenschaftlich geführter Dorfladen die Lösung sein. In Jagsthausen wurde vor fünf Jahren ein solcher Laden eröffnet. Er hat inzwischen Vorbildfunktion.

Von unserer Redakteurin Vanessa Müller
Frisches Obst und Gemüse, Produkte aus der Region und ein kleines Café locken Kunden in den Dorfladen Jagsthausen. Hier ist alles ganz familiär − bei der Anlieferung per Traktor packen sogar die Kleinsten mal tatkräftig an. Fotos: Dennis Mugler
Frisches Obst und Gemüse, Produkte aus der Region und ein kleines Café locken Kunden in den Dorfladen Jagsthausen. Hier ist alles ganz familiär − bei der Anlieferung per Traktor packen sogar die Kleinsten mal tatkräftig an. Fotos: Dennis Mugler

Dass ihr Dorfladen mal so eine Erfolgsgeschichte schreibt, haben die Jagsthäuser wohl selber nicht gedacht. 25 Geschäfte dieser Art listet der Genossenschaftsverband in ganz Baden Württemberg. Sieben gibt es im und angrenzend an das Verbreitungsgebiet unserer Zeitung. Doch der Umsatz sprudelt nirgendwo sonst so stark wie im kleinen Ort an der Jagst. Selbst seine Vorbilder in Gottwollshausen und Gailenkirchen bei Schwäbisch Hall hat der Laden längst überholt. Woran liegt das?

Am Anfang, sagt Bürgermeister Roland Halter, stand ein Problem. Es ist das Schicksal vieler Dörfer, das Jagsthausen vor sechs Jahren ereilt. Zuerst schließt der Metzger. Kurz darauf machen die Bäckerei und der Schreibwarenladen dicht. Selbst der Brotverkauf im neu eröffneten Kebab-Haus wird eingestellt. "Damit war klar, dass wir die Versorgung in die eigene Hand nehmen müssen", erinnert sich Halter. Der Rathauschef der Kommune mit 1900 Einwohnern fackelt nicht lange. Ein genossenschaftlich betriebener Dorfladen soll die Probleme lösen. Und die Bürger ziehen mit. Einen Monat später haben sie bereits Anteile für Tausende Euro gezeichnet.

 Foto: Mugler, Dennis

Heute tragen rund 330 Frauen und Männer das Unternehmen, das vor fast fünf Jahren eröffnet hat, Gewinne abwirft und sogar investieren kann. "Ursprünglich hatten wir einen Umsatz von 440.000 Euro angepeilt", sagt Dorfladen-Vorstandssprecher und Gemeindekämmerer Ralph Matousek. "2016 waren es 1,3 Millionen." Das Projekt in Jagsthausen ist damit nach Einschätzung des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands herausragend. Es übertreffe die anderen genossenschaftlichen Dorfläden im Südwesten vor allem beim Umsatz deutlich.

Als untere Grenze der Wirtschaftlichkeit geht der Verband von 250.000 Euro aus, im Durchschnitt kämen die Geschäfte auf knapp das Doppelte. "Zwei Mal gab es bei uns eine Dividende in Form von Einkaufsgutscheinen", freut sich Matousek. "In den anderen Jahren floss das Geld in Umbau und Erweiterung."

Produktauswahl wie in einem kleinen Supermarkt

Zwei Männer im Radleroutfit schauen zum Pressetisch herüber. Sie lassen sich im Café des Dorfladens, das im vergangenen Jahr angebaut wurde, ein Stück Kuchen schmecken. Gesprächsthema Nummer eins: Das das Geschäft kürzlich im Fernsehen zu sehen war. RTL, n-TV und einige andere Zeitungen haben über den Erfolg berichtet.

"Ich habe mir extra die Haare machen lassen", kommentiert einer der beiden den Medienrummel grinsend. Nebenan klimpert die Kasse. Wurst, Brot, Milch, frisches Obst und Gemüse wandern über den Ladentisch. Wie in einem kleinen Supermarkt gibt es fast alles für den täglichen Bedarf. 2500 Produkte umfasst das Sortiment. Wie früher bei Tante Emma - nur optimiert. "Hallo, wie geht's?", grüßt die Frau an der Kasse. Hier kennt man sich, es wird geplaudert und mitgeholfen. 30 Ehrenamtliche unterstützen die 13 Mitarbeiter.

Sonntagseinkauf dank Sondergenehmigung möglich 

Manche Dorfladenprojekte scheitern. Was hat die Genossenschaft in Jagsthausen, was andere nicht haben? "Unser Geheimnis ist, dass wir alles verkaufen", sagt Bürgermeister Halter. "Wir wollen den Kunden das Argument wegnehmen, dass es hier nur Sahne gibt und sie für den Rest woanders hinfahren müssen." Zum Erfolg würden auch regionale Produkte beitragen.

Das Unternehmen Gartenfrisch Jung mit Sitz in Jagsthausen hat seinen Fabrikverkauf in den Dorfladen integriert. Brot und Brötchen liefert ein Bäcker aus einem Nachbarort, Fleisch und Wurst kommen von einem Metzger aus der Region. Sogar eine kleine Postagentur gibt es. Kämmerer Matousek bringt betriebswirtschaftliche Kenntnisse ein: "Richtiges Controlling zeigt Schwachpunkte bei der Belieferung, dem Kundenverhalten oder dem Personaleinsatz auf."

Viele Käufer kommen mehrmals die Woche. 400 sind es am Tag, im Sommer noch mehr. Denn dann laufen die Burgfestspiele am Stammsitz des Ritters Götz von Berlichingen. Das lockt nicht nur Besucher, auch die Schauspieler lassen sich Dorfladen-Ware schmecken. Dazu kommen Touristen, die auf dem Jagsttalradweg unterwegs sind. Sie alle können seit 2016 zwischen März und Oktober auch sonntags einkaufen. Eine Sondergenehmigung für Erholungsorte macht es möglich.

Erweiterung Richtung Jagst geplant

Und die Gemeinde nutzt es aus, dass der Dorfladen immer mehr zum Mittelpunkt des Ortes wird. Sie will im April, wenn der Freisitz des Cafés gepflastert wird, eine E-Tankstelle für Elektro-Autos und Fahrräder aufstellen. Die Genossenschaft plant einen Lieferservice, der schon im Mai starten könnte. "Wir wissen, dass der Dorfladen besonders für Ältere wichtig ist", sagt Halter. "Für Menschen, die nicht so gut zum nächsten Supermarkt kommen." Der ist zwölf Kilometer entfernt. Sie sollen nun gegen eine kleine Gebühr Bestellungen aufgeben können. In zwei Jahren will die Genossenschaft in die dritte Bauphase einsteigen, eine Erweiterung Richtung Jagst. "Dann muss aber Schluss sein", sagt Matousek. "Irgendwann ist der Platz ausgeschöpft."

 


 

"Die Leute müssen wissen: Das ist unser Laden"

Michael Roth vom Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband erklärt im Interview, was einen Dorfladen erfolgreich macht

Wenn der nächste Supermarkt kilometerweit entfernt ist und es in der Ortsmitte still zu werden droht, kann ein genossenschaftlich geführter Dorfladen die Lösung sein. In Jagsthausen hat das gut funktioniert. Doch nicht alle Projekte sind so erfolgreich. Unsere Redakteurin hat sich mit Michael Roth vom Genossenschaftsverband über die Grundvoraussetzungen unterhalten: Engagement, Rückhalt und Professionalität.

 

Herr Roth, der Dorfladen in Jagsthausen hat für Sie Vorbildcharakter. Woran machen Sie das genau fest?

Michael Roth: Allein am Jahresumsatz von 1,3 Millionen Euro lässt sich erkennen, dass die Genossenschaft erfolgreich ist. Jagsthausen liegt in Baden-Württemberg mit Abstand vorne. Als untere Grenze der Wirtschaftlichkeit gehen wir von 250 000 Euro aus, mit weniger wird es schwierig. Im Durchschnitt kommen die Geschäfte auf 400 000 Euro. Klar ist aber auch, dass eine Genossenschaft zwar Gewinn erzielen muss, das Ziel aber nicht die Gewinnmaximierung ist. Sie soll zunächst mal die eigene Existenz sichern.

 

Woher kommt der Erfolg?

Roth: Da gibt es mehrere Punkte. In Jagsthausen zum Beispiel wird der Dorfladen professionell gemanagt. Der Gemeindekämmerer bringt sich als Vorstandssprecher ein, der Bürgermeister ist Aufsichtsratsvorsitzender. Die sind wirklich hinter dem Thema her, wollen das Projekt zum Erfolg machen. Es gibt ein klassisches Controlling: Was läuft im Sortiment gut? So dreht die Genossenschaft an den richtigen Schräubchen. Normalerweise bereitet die Kommune den Rahmen für das Projekt - und zieht sich dann langsam zurück. Dort ist das nicht so. Wenn man gründen will, muss man natürlich vorab mit einer Standortanalyse prüfen, ob der Laden tragfähig ist.

 

Aber die Bürger spielen auch eine große Rolle?

Natürlich. Der Rückhalt in der Gemeinde muss da sein. Die Leute müssen wissen: Das ist unser Laden. Das erreicht der Vorstand zum Beispiel durch Befragungen, in denen es darum geht, was sie einkaufen möchten oder welche Öffnungszeiten gut passen. Aber auch dadurch, dass man auf Festen präsent ist, die örtlichen Vereine unterstützt.

 

Woran liegt es, wenn Projekte scheitern?

Es sind nur wenige Dorfläden, die wieder zu machen. Wird ein Minus erwirtschaftet, kann es daran liegen, dass das Engagement für den Laden nachgelassen hat. Manchmal kommt es auch vor, dass sich niemand findet, der im Vorstand Verantwortung übernehmen möchte. Oder es passiert das, was in einem Dorf kürzlich erst der Fall war: Unerwartet eröffnet doch ein Discounter in der Nähe.

 

Zur Person

Michael Roth ist Leiter der Abteilung für gewerbliche Genossenschaften, Neugründungen, Energie, Betriebswirtschaft und Qualitätsmanagement beim Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband (BWGV).

 
 
 
 
Nach oben  Nach oben