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Der Hammermörder: Ein Jahrhundertfall

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Vor 30 Jahren erschoss der Polizist Norbert Poehlke sechs Menschen und überfiel vier Banken.

Von unserem Redakteur Helmut Buchholz

 

Es gibt Kriminalfälle, die vergisst ein Polizist nie. Auch wenn sie schon 30 Jahre zurückliegen, wie die Geschichte des Hammermörders, der Mitte der 1980er Jahre die Region in Angst und Schrecken versetzte. "Ich kann mich noch gut erinnern", sagt Gerd Bornschein (71), der frühere Leiter der Heilbronner Polizeidirektion und der letzte Chef der Hammermörder-Sonderkommission. Die lange Zeit, die verstrichen ist, hat das Urteil Bornscheins über die Pannen der Fahnder nicht viel milder gemacht: "Das Tragische ist, dass heute noch vier Menschen leben könnten- ohne die Fehlleistungen der Ermittler."

Das Verbrechen gilt als Jahrhundertfall, allein schon wegen der Brutalität: Um ihre Autos zu stehlen, schießt der Täter den Fahrern am helllichten Tag an abgelegenen Waldparkplätzen ins Gesicht. Mit einem Vorschlaghammer zertrümmert er die Sicherheitsverglasung von Banken, die er überfällt. Daher sein Name: Hammermörder. "Die Leute haben sich damals nicht zur Bank getraut, weil sie Angst hatten", sagt der frühere Stimme-Polizeireporter Gerd Kempf. Die Fahndung kostete rund zwei Millionen Mark. Damals war das eine Rekordsumme. Die Soko verschliss etliche Chefs, wuchs auf 90 Mitglieder an, die innerhalb von vier Monaten 40 000 Überstunden machten und fast 5000 Spuren verfolgten.

Zufall

Das Beunruhigendste war aber wohl, "dass ziemlich früh klar wurde, dass der Täter wohl ein Polizist ist", berichtet Gerd Kempf über Insiderinformationen, die ihm damals ein Kripo-Beamter verriet. An einem der Mordtatorte hatten die Spurensicherer eine Patronenhülse gefunden: Polizeimunition! Die Soko lässt die Pistolen aller Polizisten in Baden-Württemberg - insgesamt 12 000 Waffen - auf Laborschießständen abfeuern.

Das Bundeskriminalamt untersucht Geschosse und Hülsen. Die Aktion gilt bis heute als größte ihrer Art im Nachkriegsdeutschland, sie dauert Monate. Der Zufall will es, dass die Pistole des Polizisten Norbert Poehlke erst im August 1985 an der Reihe gewesen wäre. Zu spät, um noch mehr Morde zu verhindern.

Eine Panne verschafft dem Hammermörder Zeit. Nachdem öffentlich wurde, dass der Täter möglicherweise ein Polizist ist, stieg das Misstrauen gegen die Ordnungshüter. "Die Soko stand unter Erfolgsdruck", erklärt Kempf. Die Fahnder nehmen im August 1985 einen Kollegen fest, der sich in Widersprüche verwickelt. Er wurde der Öffentlichkeit als Verdächtiger präsentiert. Ein folgenreicher Fehler. Der Verdacht entpuppt sich als haltlos. Der Polizist kommt wieder frei. Bornschein: "Ein Spektakel: Wir wurden wüst beschimpft, auch in Medien."

Fehler

Diese Stimmung war wohl ein Grund dafür, warum die Soko den wahren Hammermörder zwar fasste, aber nach seiner Vernehmung wieder laufen ließ: Diensthundeführer Norbert Poehkle gerät eher zufällig ins Visier der Soko, im Rahmen einer Terroristenfahndung in Ludwigsburg. Teile seiner Uniform und eine Sturmhaube werden in einem Schließfach am Bahnhof gefunden. Poehlke gibt bei seiner Vernehmung an, er sei auf dem Weg zum Geburtstag seiner Schwiegermutter gewesen, habe seine Dienstkleidung nicht mitnehmen wollen. Die Hammermörder-Fahnder verifizieren zwar am Standesamt das Geburtsdatum, fragen aber nicht bei der Schwiegermutter nach, ob der 33-Jährige wirklich beim Fest war.

Poehkle soll sogar noch mit Kollegen beim Volksfest auf dem Cannstatt Wasen gefeiert haben, bevor er Frau, Söhne und sich erschoss - Wochen nach seiner Vernehmung. Der Hammermörder hatte sich beim Hausbau und -kauf übernommen, stellte sich hinterher als Motiv für die Verbrechensserie heraus. Bornschein spricht von "Verkettung unglücklicher Umstände".

"Nachdem man den Falschen festgenommen hatte, hatte die Soko Angst vor noch einer Blöße, ließ Poehlke frei", resümiert Stimme-Journalist Kempf. Außerdem "passte Poehlke nicht zu der Personenbeschreibung, die wir von Zeugen hatten, die teilweise in der Bank direkt vor ihm standen", erklärt Bornschein. Der Bankräuber wurde als schlank, sportlich und bartlos beschrieben. Poehkle hatte Bauchansatz, Bart und Watschelgang. Bornschein: "Er fiel durch unser Raster."

 

Chronik

  • 3.5.1984 Waldparkplatz Häldenmühle bei Marbach (Kreis Ludwigsburg). Hammermörder tötet Mann mit Gesichtsschuss, um sein Auto zu stehlen.

  • 3.5.1984 Banküberfall auf Volksbank in Erbstetten mit gestohlenem Wagen als Fluchtfahrzeug. Täter zertrümmert mit Vorschlaghammer Sicherheitsverglasung. Beute: 4800 Mark.

  • 21.12.1984 Waldparkplatz Rohrtäle bei Großbottwar (Kreis Ludwigsburg), Mord durch Gesichtsschuss, um an Fluchtauto zu kommen.

  • 21.12.1984 Cleebronn (Kreis Heilbronn), Banküberfall mit Hammer auf Volksbank, Beute: 79.000 Mark.

  • 5.7.1985 TV-Fahndung im ZDF "Aktenzeichen XY".

  • 22.7.1985 Waldparkplatz zwischen Ilsfeld und Flein (Kreis Heilbronn), Mord durch Gesichtsschuss, Autodiebstahl.

  • 22.7.1985 Spiegelberg (Rems-Murr-Kreis), Banküberfallversuch auf Raiffeisenbank, keine Beute.

  • August 1985 Ein Polizist wird unter dem Verdacht festgenommen, der Hammermörder zu sein, und der Öffentlichkeit präsentiert. Der Verdacht stellt sich als falsch heraus, er kommt wieder frei.

  • 27.9.1985 Rosenberg, Hammermörder überfällt Raiffeisenbank, Beute: 11.000 Mark. Täter flüchtet mit Auto eines Bankkunden.

  • Oktober 1985 Norbert Poehlke (33), Diensthundeführer bei der Landespolizeidirektion Stuttgart II, gerät in Verdacht, der Hammermörder zu sein. Er wird vernommen und dann wieder frei gelassen. Sein Alibi wird nicht sorgfältig genug überprüft.

  • 13.10.1985 Poehlke erschießt seine Frau mit einem Kopfschuss, einen Sohn mit einem Gesichtsschuss im Wohnhaus der Familie in Backnang-Strümpfelbach (Rems-Murr-Kreis). Er flüchtet mit dem zweiten Sohn und fährt mit seinem Mercedes-Kombi nach Süditalien.

  • 22.10.1985 Poehlke fährt mit seinem Sohn zum Strand von Torre Canne bei Brindisi. Er tötet sein Kind mit einem Gesichtsschuss und sich selbst mit einem Kopfschuss.

 

 

 

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