Das große Kliniksterben
Die Kliniken Brackenheim und Möckmühl oder das Krankenhaus in Künzelsau sind nur einige Einrichtungen, denen die Schließung droht. Auch andernorts müssen kleine Klinik-Standorte schließen. Gibt es ein Modell für die Zukunft?
Kliniksterben.de - so heißt eine Seite im Internet, auf der Pressemitteilungen über die Schließung von Krankenhäusern in ganz Deutschland zusammengetragen sind. Einige aktuelle Einträge beziehen sich auf das Hohenloher Krankenhaus in Künzelsau. Jetzt kommen vermutlich die beiden SLK-Kliniken in Möckmühl und Brackenheim dazu.
Der Kreistag des Hohenlohekreises hat mit seiner Entscheidung am 30. September beschlossen, Geld aus dem Strukturfonds des Bundes für einen Klinikneubau in Öhringen zu beantragen. Bedingung für einen Investitionszuschuss ist jedoch, dass die Kapazitäten insgesamt reduziert werden - der Krankenhaus-Standort Künzelsau steht damit ab 2021 vor dem Aus.
Am Montagabend haben auch der Heilbronner Gemeinderat und der Kreistag des Landkreises Heilbronn dafür gestimmt, dass die kleinen SLK-Kliniken in Brackenheim und Möckmühl geschlossen werden sollen.
"Es spricht Einiges dafür, große Einheiten zu bilden"
Sie sind einige von vielen kleinen Kliniken im Land, denen die Schließung droht oder die bereits vom Netz genommen wurden. "Backnang, Waiblingen, Plochingen, Hechingen, Leutkirch", zählt Matthias Einwag, Geschäftsführer der BWKG Beispiele aus den vergangenen Jahren auf. Die BWKG - Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft - ist der Zusammenschluss von 210 Krankenhäusern sowie Pflege- und Reha-Einrichtungen im Südwesten und deren Interessenvertretung gegenüber Politik und Krankenkassen.
Die Kliniklandschaft sei massiven Veränderungen unterworfen, sagt Einwag. Durch den medizinischen Fortschritt, die demografische Entwicklung, veränderte Finanzierungsvoraussetzungen für Krankenhausleistungen und den Fachkräftemangel in der Pflege und im ärztlichen Dienst. "Damit müssen die Träger umgehen. Es spricht Einiges dafür, große Einheiten zu bilden."
Bevölkerung hat selten Verständnis für Schließungen
Gleichzeitig gelte es, die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen - und mit zunehmendem Alter würden die Menschen immobiler. "Da kann man die Abstände auch nicht zu groß werden lassen." Sonst komme es zu Versorgungsproblemen. Einwag nennt als Beispiel Münsingen. Dort wäre es seiner Meinung nach nicht möglich, das kleine Krankenhaus zu schließen. Der Weg nach Reutlingen sei zu weit, der Versorgungsgedanke in dieser Konstellation entscheidend. "Jeder Fall liegt anders."
Was die vielen Einzelfälle eint: Soll das Krankenhaus vor Ort geschlossen oder umgebaut werden, hat die Bevölkerung dafür meist wenig Verständnis. "Das ist ein extrem emotional besetztes Thema", sagt Professor Jörg Martin, Geschäftsführer der Regionalen Kliniken Holding Ludwigsburg, RKH. Das eigene Krankenhaus sei ein Stück Heimat, manche seien in den ehemaligen Geburtshilfe-Stationen geboren worden.
"Mit rationalen Argumenten gelingt es nicht immer, die Emotionen einzufangen"
Auch Martin hat in jüngster Zeit Erfahrungen mit dem Umbau zweier kleiner Häuser seiner Holding gemacht. In Vaihingen, einem ehemals 61-Betten-Haus der RKH, ist Anfang des Jahres eine Internistisch-Diagnostische Tagesklinik für geriatrische Patienten mit zwölf Plätzen an den Start gegangen. Dort werden zum Beispiel ältere Patienten nach einer Hüft-OP behandelt - sie bekommen Physiotherapie oder Ergotherapie und verbringen die Nacht wieder zu Hause. Das Krankenhaus der Grundversorgung gibt es dort nicht mehr.
Die Auseinandersetzungen um den Umbau in Vaihingen wurden hart geführt. Es gab Demonstrationen und turbulente öffentliche Versammlungen. "Da mussten wir Einiges aushalten", sagt Martin. Um Akzeptanz zu schaffen, "müssen Sie möglichst früh sehr transparent Ihre Pläne darlegen" - mit öffentlichen Aufsichtsratssitzungen oder Info-Veranstaltungen für die Bürger.
Das Problem nach Martins Erfahrung: "Mit rationalen Argumenten gelingt es nicht immer, die Emotionen einzufangen." Dabei sei der Krankenhausbetrieb schon deshalb oft nicht weiterzuführen, weil das Personal fehle. Gerade in der Pflege herrsche ein großer Mangel, sagt er. Und Chirurgen alten Typs, die alles operierten, geben es auch nicht mehr. Heute sei die Ausbildung viel spezialisierter. Seine Prognose: "Es wird künftig nicht mehr so viele Krankenhäuser geben."
Zukunftsfähige Modelle
Auch das RKH-Haus in Marbach ist der Entwicklung zum Opfer gefallen. Dort wird aus dem Krankenhaus mit einst 84 Betten eine Belegklinik, in der niedergelassene Ärzte Patienten operieren. 20 Ärzte haben bereits Interesse angemeldet, Martin rechnet mit bis zu 40 Belegbetten für chirurgische Leistungen. Zusätzlich wird darüber nachgedacht, das Areal zu einer Art Campus weiterzuentwickeln - mit Reha-Einrichtung und einem psychosomatischen Angebot.
In Marbach sei der Transformationsprozess wesentlich ruhiger gelaufen, berichtet der Holding-Chef: "Wir haben gezeigt, wo wir hinwollen und klar gesagt, dass es das Krankenhaus in dieser Form nicht mehr geben wird, dass aber trotzdem ein Gesundheitsstandort bleibt."
Spezialisierung kann funktionieren
Solche Belegmodelle oder auch Lösungen, in denen ein Ärztehaus an das bestehende Krankenhaus angegliedert wird, hält Matthias Einwag für zukunftsfähig. Dazu Spezialisierungen - also den Versuch, Leistungen an ein Haus zu holen, die wachsen. Ein Herzkatheter-Messplatz etwa verspricht bei guter Auslastung lukrative Einnahmen.
Innerhalb eines Verbundes funktionierten Spezialisierungen aber nur, wenn man sich gegenseitig keine Konkurrenz mache, sagt Martin. Jedes Haus bis etwa 500 Betten brauche die Anbindung an einen Verbund und dazu eine passende Nische mit einem exzellenten Experten, damit es zum Leuchtturm werden könne, davon ist er überzeugt.
Kleine breit aufgestellte Krankenhäuser haben es schwer
In Künzelsau will man nun versuchen, ein Medizinzentrum, dessen genaue Ausgestaltung noch offen ist, anzusiedeln. Gleichzeitig setzt man auf Gespräche mit dem Diakonie-Klinikum in Schwäbisch Hall, kurz Diak. Landrat Matthias Neth soll mögliche Kooperationen ausloten. Welche Auswirkungen das auf die Struktur der Regionale Kliniken Holding RGHF mit Sitz in Heilbronn haben würde, zu der die Krankenhäuser in Künzelsau und Öhringen bislang gehören, ist völlig offen.
Für Matthias Einwag steht jedenfalls fest: "Kleine Krankenhäuser, die relativ breit aufgestellt sind und die keine Partner haben, werden es superschwer haben." Als Teil eines größeren Verbundes gehe es vielleicht noch etwas länger gut, "aber irgendwann bekommt man da auch Probleme".
Standpunkt der Krankenkassen
Strukturpolitik im Klinikwesen ist ein heikles Thema. Kaum ein Landrat oder Oberbürgermeister wird ein Krankenhaus in seinem Bereich gern aufgeben wollen. Auch wenn das nächstgelegene Krankenhaus − im nächsten Kreis − nur wenige Kilometer entfernt ist. Bei Strukturdebatten wird deshalb häufig nur der eigene Kreis betrachtet und nicht die medizinische Versorgung über die Kreisgrenzen hinweg.
Den Krankenkassen als Kostenträgern ist das ein Dorn im Auge. Sie plädieren für eine landes- oder sogar bundesweite Betrachtung. Ihr Standpunkt: Es gibt zu viele Kliniken. Deutschland habe im internationalen Vergleich überdurchschnittlich viele Krankenhausbetten und -standorte. Sie fordern Konzentrationen − und argumentieren, dass damit die Qualität, etwa bei Operationen, gesteigert werden könne.
Um eine Übersicht über alle 1138 Krankenhäuser mit mindestens einer Grundversorgung in Deutschland zu bekommen, hat der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) Anfang September einen Kliniksimulator im Internet in Betrieb genommen, mit dem man ermitteln kann, wie weit es von rund 80.000 Wohnbezirken bis zum nächsten Krankenhaus mit einer Basisabteilung Chirurgie und Innere Medizin ist. Kreis- oder Landesgrenzen spielen dabei keine Rolle. Damit, so heißt es vom GKV-Spitzenverband, "wollen wir den Entscheidungsträgern vor Ort eine solide Grundlage für anstehende Standortentscheidungen geben". Der Simulator im Internet ist unter www.gkv.kliniksimulator.de zu finden. Eine weitere Berichterstattung dazu folgt.
Stimme.de