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Andere Zeiten, andere Spritzen

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Region - Was wussten die Athleten? In welcher Form waren sie beteiligt, und unter welchen Vorzeichen wurde das Thema Doping in den 70er und 80er Jahren gesellschaftlich diskutiert? Zwei ehemalige Spitzensportler aus der Region erinnern sich an den Umgang mit dem Thema.

Von Valerie Blass und Jürgen Kümmerle


Region - Was wussten die Athleten? In welcher Form waren sie beteiligt, und unter welchen Vorzeichen wurde das Thema Doping in den 70er und 80er Jahren gesellschaftlich diskutiert?

Der frühere Turn-Weltmeister und heutige CDU-Bundestagsabgeordnete Eberhard Gienger spricht von „völlig unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben heute und damals“, von „unzureichendem Unrechtsbewusstsein und großer Unwissenheit“: All das bringe die Studie zum Ausdruck. Gienger schließt für seine Person bewusstes oder unbewusstes Doping aus.

Eberhard Gienger in den 70ern.
Eberhard Gienger in den 70ern.

Einzig zum Ausgleich von Muskelschwund nach einer Operation am Oberschenkel sei er einige Tage lang mit einem Anabolikum behandelt worden, sagt der 62-Jährige. Über Missbrauchsfälle habe man zur damaligen Zeit nur vereinzelt über die Medien erfahren. Gienger: „Von einem offenen Geheimnis unter allen westdeutschen Athleten kann man nicht sprechen.“

Rudolf Blass im Jahre 1972. Fotos. privat
Rudolf Blass im Jahre 1972. Fotos. privat
Rudolf Blass aus Neckarsulm nahm 1972 und 1976 als Kajakfahrer bei den Olympischen Spielen in München und Montreal teil. „Wir hatten damals vermutet, dass der Ostblock dopt. Beweisen konnten wir es nicht“, sagt der 64-Jährige. Er habe als Kajakfahrer nie Kontakt zu Doping gehabt. „Zu einem zielgerichteten Doping gehört ein medizinische Unterbau“, sagt der mehrfache Deutsche Meister. Den habe es in seiner Sportart nicht gegeben. Als Laie hätte er nicht beurteilen können, welche Mittel leistungssteigernd seien und welche nicht.

Über das Ergebnis der Studie habe er sich nicht gewundert. „Überall dort, wo mit Sport Geld verdient wird, ist der Anreiz zum Dopen da.“

Kajakfahren war damals eine Randsportart, die Athleten Amateure und für den Werbemarkt unattraktiv. „Sprint und Leichtathletik waren werbewirksame Sportarten. Damit steigt auch der Leistungsanspruch. Der Sportler ist verpflichtet, was zu bringen“, sagt Blass. Darin sieht er die eigentliche Motivation des Dopens.

Blauäugig

Auch ein Dokument aus dem Archiv der Heilbronner Stimme zeigt, wie sehr sich Einstellung zum Doping in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat: Bei einem Sportler-Stammtisch anlässlich des Doping-Skandals bei den Olympischen Spielen in Seoul 1988 hatte Ex-Sportchef Lothar Strobl Unterländer Sportler geladen, um über das Thema zu diskutieren.

Strobl selbst bezeichnete es laut Bericht als „blauäugig, sich Dopingmittel und vor allem muskelbildende Präparate aus dem Sport noch wegzudenken“. Weil „Kreislaufmittel und Psychopharmaka auch im täglichen Leben eine wichtige Rolle spielen“, so die Stimme weiter, werde es „nicht mehr lange dauern, bis sie im Sport unter ganz legalen Bedingungen eingesetzt werden“.  

 

Hintergrund: Zur Studie

Die Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute“ wurde in Auftrag gegeben und gefördert vom Bundesinstitut für Sportwissenschaften (BISp), das beim Innenministerium angesiedelt ist. Forscher aus Berlin und Münster haben die rund 800-seitige Arbeit erstellt. Auf den Internet-Seiten des BISp ist ein Auszug abrufbar. Darin heißt es unter anderem: „über Jahre hinweg... wurde Forschung realisiert und finanziert, die Doping begünstigte“. Oder: „unternommen wurde ein verdeckter Versuch systemischen Dopings, der die Sphäre der Grundlagenforschung hinter sich gelassen hatte“.

Sportausschuss

In einer Sondersitzung wird sich der Sportausschuss des Deutschen Bundestags am 2. September mit der Studie befassen. Ausschussmitglied Eberhard Gienger sagt: die „Studie ist kein Tatsachenbericht, sondern stellt eine retrospektive und historische Aufarbeitung von primären und sekundären Quellen dar“. Nun müssten die im Raum stehenden Vorwürfe zunächst von unabhängiger Seite geprüft werden. Erst danach könne man mögliche Initiativen erwägen. vbs

 

Spektakuläre deutsche Dopingfälle

  • Birgit Dressel, 1987 †, Siebenkämpferin, u. a. Anabolika

  • Katrin Krabbe, Grit Breuer, Manuela Derr, 1992, Leichtathletik, Clenbuterol

  • Roland Wohlfahrt, 1995, Fußball, Norephedrin

  • Jörg Jaksche, 1997, Radfahren, Epo

  • Dieter Baumann, 1999, 5000-Meter-Läufer, Nandrolon

  • Uwe Ampler, 1999, Radfahren, Testosteron

  • Alexander Leipold, 2000, Ringen, Nandrolon

  • Johann Mühlegg, 2002, Langlauf, Epo

  • Nina Kraft, 2004, Triathlon, Epo

  • Danilo Hondo, 2005, Radfahren, Epo

  • Jan Ullrich, Radfahren, 2006, Wachstumshormone

  • Stefan Schumacher, Radfahren, 2006, Epo

  • Christian Henn, Udo Bölts, Rolf Aldag, Erik Zabel, Radfahren, 2007, Epo

  • Claudia Pechstein, Eisschnelllauf, 2009, Blutdoping (kein positiver Test aber internationale Sperre)

 

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