Schleckiger Pensionsgast bewohnt Badewanne
Flügellahmer Eisvogel wurde auf einem Parkplatz gefunden – Rundumversorgung mit Fischen

Oedheim - Das entspannende Vollbad am Abend kommt bei Familie Hiemer aus Oedheim im Moment etwas zu kurz, sie hat sich stattdessen aufs Duschen verlegt: In der trockengelegten Badewanne wohnt seit einigen Wochen ein Eisvogel und fühlt sich darin sichtlich wohl.
„Er muss gegen ein Auto geflogen sein“, erzählt Dieter Hiemer von seinem etwa 15 Zentimeter großen Mitbewohner. Flugunfähig und mit einem verletzten rechten Flügel sei der noch junge Vogel auf einem Parkplatz in Neuenstadt gefunden und bei ihm abgegeben worden.
Aufprall Bei 40 bis 50 Stundenkilometern, die so ein Vogel fliege, könne ein Aufprall mitunter heftig sein. Seitdem fängt der 64-Jährige, der seit 35 Jahren Mitglied im Naturschutzbund Bad Friedrichshall ist und früher 15 Jahre lang die Kleinvogelpflegestation übernommen hatte, jeden Tag mit einem Netz fünf bis zehn kleine Fischchen – nur soviel, wie der petrolfarbene Fischer selbst aus dem Kocher holen würde.
Für seinen arbeitsintensiven Pensionsgast, der die ersten Tage nach dem Unfall zunächst in einem dunklen Karton ruhig gestellt und mit einer Wärmflasche umsorgt wurde, hat der vogelbegeisterte Rentner die Badewanne gemütlich eingerichtet: Eine Sitzstange und ein mit Wasser gefüllter Blechzuber, in dem sich Fische tummeln, sollen ihn an seinen natürlichen Lebensraum erinnern. „Der ist ganz schön schleckig“, verrät Dieter Hiemer. Obwohl er größere Fische problemlos schlucken könnte, lässt er sie sich lieber klein schneiden.
Eigenständig fressen will er auch nicht: „Wie in der Natur holt er die Fische raus, schlägt sie an den Zuberrand, lässt sie dann aber liegen“, erzählt Mechthild Hiemer, die Belagerung ihrer Badewanne nimmt sie gelassen hin. „Wir müssen ihn halt mehrmals täglich stopfen, damit er nicht vom Fleisch fällt.“
Neu, selbst für die erfahrenen Vogelkundler: Gräten und Schuppen verdaut er nicht, sondern spuckt sie in Form eines weißen runden Speiballens wieder aus. Lebhaft versucht der sonst pfeilschnelle Kocherbewohner inzwischen wieder hin und herzuflattern, auch wenn der Flügel derzeit nicht recht funktioniert. „Noch wäre er eine leichte Beute für einen Falken zum Beispiel.“ Die Badewanne ist bewusst gewählt: „In einem Vogelkäfig wäre die Gefahr zu groß gewesen, dass er sich das Gefieder am Gitter kaputt macht.“ Helmut Weber, erfahrener Kollege von der Greifvogelstation in Bad Friedrichshall, stimmt zu: „Im Käfig rennt er sich alles zusammen, die Badewanne ist schon richtig.“ Bald könnte das Intermezzo bei den Menschen jedoch ein Ende haben: „Wenn er sich weiter so gut erholt, werden wir ihn in einigen Tagen an der Kocherbrücke aussetzen“, hofft sein Pflegevater.
Freiheit Dann kann der Eisvogel mit seinem kurzen schnellen Flügelschlag und einem schrillen Schrei wieder selbst ins Wasser schießen, um sich seine Nahrung zu holen. Am Ufer kann er Lehmröhren für den Nachwuchs bauen. Probleme wird es nicht geben: „Der Vogel hat bisher in der freien Natur gelebt, der weiß, was er machen muss.“ Auch Mechthild Hiemer weiß, was dann passiert: Dann wird die Badewanne gründlich geschrubbt, damit dem entspannenden Vollbad nach all der Arbeit nichts mehr im Wege steht.