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Keine Chance für Eisesheim

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Wie aus Rivalen keine Partner wurden: Anfang der 70er Jahre ging es bei den Nachbarn von Neckarsulm hoch her

Von Christian Gleichauf

Gemeindereform - Turbulent begann das Jahr 1972 in Neckarsulm und seinen Nachbargemeinden Ober- und Untereisesheim. Es wurde um die Unabhängigkeit gekämpft, verhandelt, um Konditionen einer möglichen Eingliederung gefeilscht. Politiker taktierten und Bürger protestierten. Innerhalb weniger Wochen hatte ein Bürgermeister sein Glück in Weinsberg gemacht, ein anderer war zum Ortsvorsteher geworden, der dritte verlor zuerst eine Wahl und wurde anschließend doch ganz selbstverständlich zum Oberbürgermeister. Die einen fühlten sich als Gewinner, bei den anderen hing Trauerflor am Auto.

Auch für die Volksvertreter war dies eine "so harte Zeit, wie es sie vorher und nachher nie mehr gegeben hat", erzählt der damalige Obereisesheimer Gemeinderat Erich Schmidt. Er gehörte damals zu denjenigen im Ort, die sich in den Augen vieler Mitbürger verkalkuliert hatten, weil sie − vermeintlich vorschnell − für die Eingemeindung nach Neckarsulm plädiert hatten. Wie groß der Druck auf alle Beteiligten war, lässt sich dabei nur ansatzweise nachvollziehen.

Drohkulisse In Stuttgart regierte die Große Koalition. Ihre Vorgabe war: Kleine Gemeinden dürfen sich nach Wunschpartnern umschauen, doch irgendwann würde die Zwangseingemeindung folgen. Wunschpartner gab es aber sowohl in Ober- als auch in Untereisesheim nicht. Beide Gemeinden wollten selbstständig bleiben. Der damalige Obereisesheimer Bürgermeister Christian Fischer erinnert sich: "Uns wurde ganz klar gedroht. Sollten wir unsere Selbstständigkeit nicht freiwillig aufgeben, würden wir die Hauptschule verlieren."

Also wurde verhandelt. Zuerst mit Untereisesheim. "Aber das hatte keinen Zweck", sagt Fischer heute. "Die Untereisesheimer wollten einfach nicht mit uns." Die Einschätzungen hängen in diesem Fall von der Perspektive ab. Aus Untereisesheim wird berichtet, der Nachbar habe Finanzprobleme befürchtet, weil man beim Bau der Kläranlage auf Fels gestoßen war − hohe Mehrkosten waren die Folge. Deshalb habe Obereisesheim einen finanzstarken Partner gesucht.

Rivalität Die beiden Orte verbindet allerdings seit Generationen eine tiefgreifende Rivalität. Der langjährige Untereisesheimer Gemeinderat Hans Landvatter sagt zwar: "Es wäre damals ein Gebot der Stunde gewesen, dass wir zusammengehen." Doch die Konkurrenz sei ausgeprägt, wie eine überlieferte Geschichte illustriere: Ein junger Untereisesheimer stellt seiner Verwandtschaft sein Mädchen vor. Die Großtante mustert das zukünftige Familienmitglied und sagt: "Das Mädle wär schon recht, wenn"s bloß kei Oberneisemer wär."

Obereisesheim streckte also seine Fühler in andere Richtungen aus. Nach Heilbronn. Nach Neckarsulm. Dann ging es Schlag auf Schlag. Mitten in den Verhandlungen wurde in Weinsberg überraschenderweise der Bürgermeisterposten frei. Der Untereisesheimer Rathauschef Jürgen Klatte bewarb sich, gewann die Wahl am 30. Januar 1972 im ersten Anlauf und musste Untereisesheim kurzfristig verlassen. Und um den von ihm geräumten Posten bewarb sich wenige Tage später doch tatsächlich der Neckarsulmer Bürgermeister Dr. Erhard Klotz − er hätte somit übergangsweise in beiden Kommunen auf dem Chefsessel Platz genommen.

Winkelzüge "Ich war mir darüber im Klaren, dass das wahrscheinlich nicht klappt", erzählt Klotz heute. Schließlich hatte er sich offiziell mit dem Ziel beworben, Untereisesheim zügig nach Neckarsulm einzugemeinden. Ein weiterer Bewerber aus dem Landratsamt, Regierungsoberinspektor Wilfried Mohl, wurde von Landrat Otto Widmaier "zurückgepfiffen", wie es heißt. Die Untereisesheimer fühlten sich gegängelt. Kurz vor Ablauf der Frist warf dann ein 26-Jähriger Referent des Bietigheimer OBs noch den Hut in den Ring: Karlheinz Weigelt trat offensiv für die Selbstständigkeit von Untereisesheim ein. Dafür wurde er von den Wählern am 16. April mit mehr als 90-prozentiger Zustimmung belohnt.

Versprechungen Zu diesem Zeitpunkt war das Rennen in Obereisesheim allerdings schon gelaufen. Nachdem Bürgermeister Fischer Anfang Februar mit zwei Verhandlungsangeboten in Untereisesheim abgeblitzt und umgekehrt eine Delegation aus dem Untereisesheimer Gemeinderat in Obereisesheim auf wenig Gegenliebe gestoßen war, fühlte sich vor allem Obereisesheim im Zugzwang. Neckarsulm hatte eine lange Liste an Versprechungen vorgelegt: Den Bau eines Kindergartens, eines neuen Sportplatzes, einer neuen Hauptschule, Anschluss an den Neckarsulmer Omnibusverkehr, den Weiterbetrieb des Freibads und einiges mehr. Das alles stünde auf dem Spiel, sollte Stuttgart die Eingemeindung erzwingen.

Eine Bürgeranhörung brachte das eindeutige Signal: 62 Prozent der Obereisesheimer stimmten für den Anschluss nach Neckarsulm, der dann zum 1. Mai vollzogen wurde. Kurz zuvor war in Stuttgart allerdings ein neuer Landtag gewählt worden. Die CDU konnte allein regieren und machte dann den Weg für die kleinen Gemeinden frei, doch ihre Selbstständigkeit behalten zu können. Glück für Untereisesheim, die letztlich nur eine lose Verwaltungsgemeinschaft mit Neckarsulm eingehen mussten. Als sie davon erfuhren, fühlten sich viele Obereisesheimer an der Nase herumgeführt und ließen das nicht zuletzt ihren zum Ortsvorsteher degradierten Ex-Bürgermeister auch wissen.

Wer nun die Gewinner, wer Verlierer dieser Geschichte waren, darüber gehen die Meinungen heute noch weit auseinander. "Ich will nicht nachkarten", sagt Christian Fischer. "Für Untereisesheim wäre das Problem Umgehungsstraße gelöst worden, wenn es die Eingemeindung gegeben hätte", behauptet Erhard Klotz. Hans Landvatter weiß: "Man hört noch heute überall viele Stimmen des Bedauerns." − "Wir waren Obereisesheim jahrelang weit voraus", findet Karlheinz Weigelt. Und Erich Schmidt sagt: "Heute wird auch von vielen Widerständlern von damals anerkannt, dass es für Obereisesheim doch die richtige Entscheidung war."

Aus diesen Nachbarn wurde eine Einheit: Ein Blick über das Industriegebiet Neckarsulms auf den neuen Teilort Obereisesheim Mitte der 70er Jahre.Fotos: Archiv/Eisenmenger
Aus diesen Nachbarn wurde eine Einheit: Ein Blick über das Industriegebiet Neckarsulms auf den neuen Teilort Obereisesheim Mitte der 70er Jahre.Fotos: Archiv/Eisenmenger
Klare Ansage auf einem Verkehrsschild in Untereisesheim im April 1972.
Klare Ansage auf einem Verkehrsschild in Untereisesheim im April 1972.
Das neue Ortsschild gefiel vielen Obereisesheimern überhaupt nicht.
Das neue Ortsschild gefiel vielen Obereisesheimern überhaupt nicht.
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