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Erinnerungen an die Lawine von Galtür

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Familie Bär hat in dem österreichischen Skigebiet im Jahr 1999 ihren Urlaub verbracht, als die Katastrophe geschah

Von Adrian Hoffmann
Manchmal sagen Bilder mehr als Worte: Dieses Foto von Familie Bär hat ein Agenturfotograf kurz nach dem Lawinenunglück aufgenommen.Fotos: dpa/Adrian Hoffmann
Manchmal sagen Bilder mehr als Worte: Dieses Foto von Familie Bär hat ein Agenturfotograf kurz nach dem Lawinenunglück aufgenommen.Fotos: dpa/Adrian Hoffmann  Foto: Werner_Nosko (APA)

Erlenbach - Es ist schon dunkel, als Manfred Bär an den Unglücksort aufbricht. Er holt sich eine Schaufel aus dem Geräteschuppen, um nach Verschütteten zu graben, und geht zu einer Markierung, die die Suchtruppe der Bergrettung hinterlassen hat. Er hält diese elende Warterei nicht länger aus.

Manfred Bär und seine Familie aus Erlenbach haben das Lawinenunglück im österreichischen Galtür erlebt. Sie waren damals dort in Skiurlaub und konnten wie andere Urlauber wegen der Schneemassen nicht aus dem Alpental herausfahren. Genau neun Jahre ist es jetzt her, und noch immer nicht vergessen. Wie Familie Bär waren einige Menschen aus dem Unterland betroffen, von den 31 Todesopfern kamen auch welche aus der Region.

Angst im Nacken Die Erinnerung an die Szenerie in den Stunden nach der Lawine kommt schnell zurück. „Mir ist eine Angst im Nacken gesessen“, sagt Manfred Bär, „das war ein Zwiespalt. Ich dachte: Du musst bleiben. Und andererseits: Du musst helfen.“ Seine Frau Brigitte bittet ihn, mit ihr und den Kindern Anna-Lena und Dominik in der Pension auszuharren. So lange, bis es eine offizielle Entwarnung gibt. Er entscheidet sich anders.

Sein Freund und er graben zwei Meter tief in den Schnee, den die Lawine aufgehäuft hat. In der Hoffnung, eines der Opfer bergen zu können. „Der Schnee war hart wie Beton“, sagt Manfred Bär. Doch trotz der Mühe, die beiden finden niemanden. Nach wenigen Stunden sind sie körperlich am Ende.

Sie gehen zurück in die Pension, die rund 150 Meter vom Unglücksort entfernt ist. Vom Ausmaß der Tragödie bekommt die Familie in diesen Stunden gar nichts mit. Eine gute Woche sind sie bereits im Wintersportort Galtür von den Schneemassen eingeschlossen, die Zufahrtsstraße ist unbenutzbar. Aus dem Urlaub ist ein Zeit absitzen geworden, Familie Bär denkt mit einem Schaudern zurück.

Nur selten ist das Lawinenunglück neun Jahre danach noch Thema in der Familie. Höchstens dann, wenn sie von Bekannten angesprochen werden. Oder wenn sie wieder im Skiurlaub sind – darauf wollen sie nach wie vor nicht verzichten. „Auch wenn es ein mulmiges Gefühl ist“, wie Manfred Bär über seinen erneuten Aufenthalt in Galtür sagt, 2001, zwei Jahre nach der Lawine. Aber für die Familie bleibt es eine Katastrophe, die sie aus Zufall betroffen hat – und von der sie verschont geblieben sind. Erst kürzlich sind sie wieder im Zillertal gewesen.

Lauter Bäume Die Familie sitzt am Esstisch in Erlenbach und blättert durch die vielen Urlaubsfotos von Galtür 1999. Auf einem Foto bauen sie zusammen ein Iglu, auf einem anderen schaufeln die Kinder Schnee. Bis zum Tag des Unglücks war alles ganz friedlich, auch wenn sie in Galtür gefangen waren. Als die Lawine herunterging, saßen sie gerade in der Pension. Zum Glück, wie Brigitte Bär heute sagt. Zum Glück habe Tochter Anna-Lena Fieber gehabt. Die Familie kann sich ein an lautes Grollen erinnern und innerhalb von Sekunden waren die Fenster mit einer Schneeschicht bedeckt. Die Hausherrin rief verzweifelt die Treppen hoch: „Sind alle hier?“

Schnelle Heimreise Brigitte Bär hat noch heute den Tag nach der Lawine vor Augen. Als sie morgens aus dem Fenster der Ferienwohnung schaut, sieht sie einen tiefblauen Himmel. Die Sonne scheint, der Schnee glitzert. „Ich habe gedacht, ich bin im falschen Film.“ Sie habe so schnell wie möglich nach Hause gewollt. Der Hubschrauber-Landeplatz liegt ganz in der Nähe ihrer Pension. Weil Anna-Lena Fieber hat, dürfen sie mit einem der ersten Hubschrauber ausfliegen. Brigitte Bär läuft in die Küche und holt eine Packung Streichhölzer, die sie auf den Tisch leert. So haben die Wälder in den Bergen nach den Lawinenabgängen ausgesehen, sagt sie und zeigt auf die Streichhölzer. „Das waren lauter Bäume.“ Auch Sohn Dominik ist das Bild noch im Kopf. Als sie in Landeck ankommen, warten bereits Pressefotografen auf sie. „Das war komisch“, sagt Manfred Bär. „Da wird einem erst bewusst, in was für einer Lage man war.“ Wenn sie gewollte hätten, hätten sie noch eine Nacht in einem Landecker Hotel verbringen können, aber nach all den Strapazen zogen sie die schnelle Heimreise vor. 14 Tage später hat Manfred Bär das Auto abgeholt.

Bereits vor Beginn ihres damaligen Urlaubs war klar, dass sie in Galtür auf Schneemassen treffen werden. Sie sind Samstags losgefahren, weil sie gehört haben, dass die Zufahrtsstraße für Urlauber geöffnet wird. „Die Situation hat sich ja erst zugespitzt, als wir drin waren“, sagt Brigitte Bär. Außerdem dachten sie sich: Mal eingeschneit zu sein, wäre nicht schlecht. „Das werden wir niemals wieder sagen.“ Wenige Tage nachdem die Familie daheim in Erlenbach angekommen war, fand Brigitte Bär von einer Freundin eine Karte im Briefkasten, auf der stand: „Schön, dass ihr wieder da seid.“

Schauen sich die Fotos ihres Skiurlaubs in Galtür an und sprechen erneut über das Lawinenunglück (von links): Brigitte, Dominik, Anna-Lena und Manfred Bär.
Schauen sich die Fotos ihres Skiurlaubs in Galtür an und sprechen erneut über das Lawinenunglück (von links): Brigitte, Dominik, Anna-Lena und Manfred Bär.
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