Lidl-Baustelle: Täglich grüßt der Bagger
Krach, Dreck und leere Versprechen: Anwohner an der riesigen Lidl-Baustelle in Bad Wimpfen sind frustriert. Klärungsversuche mit den Verantwortlichen würden mit schwammigen Aussagen enden, lautet ein Vorwurf.

Gehofft hatte sie auf gute Nachbarschaft. "Jetzt wache ich morgens auf und denke, das Leben ist nicht mehr lebenswert", erklärt Bettina Fentzloff niedergeschlagen. Nervös und gereizt sei ihre permanente Gemütslage. Mit ihrem Mann Claus wohnt sie seit 20 Jahren am Scheffelweg in Bad Wimpfen und damit neuerdings direkt neben der Baustelle der Lidl-Deutschland-Zentrale.
Nach Vorstellung des drei Jahre andauernden Bauprojekts der Lidl Dienstleistung GmbH im vergangenen Jahr schrieben die Anwohner der Sackgasse gemeinsam einen Brief an die Stadtverwaltung Bad Wimpfen und Lidl-Geschäftsführer Klaus Gehrig, um ihre Bedenken zu äußern und Lösungsvorschläge zu erfahren. "Nicht, weil wir gegen den Bau der Zentrale sind. Wir sehen ja die Vorteile für Wimpfen", versichert Fentzloff.
Seit Mai sind die Aushubarbeiten nun in vollem Gang. Vonseiten der Bauherrin sei viel versprochen worden, um die Zeit der Bauphase so erträglich wie möglich zu machen. "Bekommen haben wir bis heute nur Dreck, Lärm und leere Versprechen", resümiert sie.
Lärmschutzfenster auf eigen Kosten

Da Claus Fentzloff seit einem halben Jahr gepflegt werden muss, ist das Paar ans Haus gebunden. Normalerweise verbringen sie viel Zeit im Garten, der direkt an die Baustelle grenzt. Die gelernte Grafikerin öffnet die Terrassentüre. Sofort dringt ohrenbetäubend
er Lärm herein. Das Piepsen eines rückwärtsfahrenden Lkw vermischt sich mit dem zischenden Geräusch des riesigen, gelben Spezialbohrers. "Ans Draußensitzen ist nicht zu denken", so Fentzloff.
Uhu und Turmfalke, beide hatten seit neun Jahren im Gärtchen ihr Zuhause, mussten die Fentzloffs an das Wildparadies Tripsdrill abgeben. "Sie haben plötzlich nicht mehr gefressen." Im Innern ist es abgesehen von einem dumpfen Brummen verhältnismäßig ruhig. Das Paar hat auf eigene Kosten Lärmschutzfenster installieren lassen.
"Unser Ansprechpartner von Lidl, Josef Klug, meinte im persönlichen Gespräch, wer einen Antrag stellt, bekommt eine Pauschale, um Lärmschutzfenster einbauen zu lassen." Sie habe daraufhin Kostenvoranschläge eingeholt. "Plötzlich hieß es, es sei eine temporäre Angelegenheit, dafür brauche es keine Schutzfenster."
Mobile Schutzwände bringen keine Besserung

Aktuell finden die Bohrungen für die fünf Meter hohe Lärmschutzwand statt, die bis Ende September stehen soll. Bislang wurden mobile Schutzwände eingesetzt, die Fentzloff als "absoluten Flop" bezeichnet. Denn die würden gar nicht bis zur Lärmquelle reichen, seien viel zu niedrig. Ende Juli habe es obendrein eine starke Erschütterung gegeben. "Das war die Folge", sagt Fentzloff und zeigt auf Risse in der Wand ihres Büros.
"Warum wurde nicht erst die Wand errichtet und dann mit den Aushubarbeiten in der ganzen Fläche begonnen?", fragt Nachbar Peter Beck verärgert. "Eine Errichtung vor den Erdarbeiten war aus technischen Gründen nicht möglich", erklärt Anita Wälz, Sprecherin für das Projekt Lidl Bad Wimpfen. Maßnahmen wie Lärmschutzfenster seien aus immissionsschutzrechtlichen Gründen und nach gutachtlicher Erkenntnis nicht erforderlich.
Bauarbeiter teilweise von 6 bis 20 Uhr im Einsatz
Über einen längeren Zeitraum dokumentierte die Interessengemeinschaft Scheffelweg zudem die Arbeitszeiten der Bauarbeiter. Daraus geht hervor, dass sowohl im Juni und Juli teilweise bereits vor 6 Uhr und bis nach 20 Uhr gearbeitet wurde. "Mein Sohn Silas wurde häufig vor dem Weckerklingeln aus dem Schlaf gerissen", berichtet Evelyn Celen, die neben Fentzloffs wohnt.
Mittags konnte der Achtjährige auch seine Hausaufgaben nicht machen. "Er kann sich nicht konzentrieren, weil es zu laut ist. Wir haben keine Lärmschutzfenster", berichtet die junge Mutter.
Lidl-Standortentwickler spricht von Anlaufschwierigkeiten
In der Gemeinderatssitzung vom Juli räumte Lidl-Standortentwickler Josef Klug Anlaufschwierigkeiten ein. "Wir haben veranlasst, dass die vereinbarten Betriebszeiten entlang des Landgrabens verbindlich eingehalten werden", bestätigt auch Wälz. Das heißt, dass die Betriebszeit der Baumaschinen und Geräte auf maximal acht Stunden begrenzt ist. Daran scheint man sich auch zu halten. "Die Arbeitszeiten haben sich gebessert", teilt Bettina Fentzloff mit.
Seit Mai lüftet Fentzloff schon um 5 Uhr. Andernfalls würde sich der Staub der Baustelle auf das Sofa, den Esstisch und den Schreibtisch legen. "Außerdem putze ich pausenlos die Terrasse", berichtet sie. "Wenn der Staub nass wird, verwandelt er sich in eine hartnäckige Lehmschicht." Mit einer Berieselung der Bauabschnitte sollte eigentlich die Staubentwicklung im Rahmen gehalten werden, doch "wir haben noch nie eine Berieselung beobachtet", berichtet Bettina Fentzloff. In der Juli-Sitzung begründete Josef Klug das mit einem fehlenden Wasseranschluss.
"Die Berieselung der Fahrbereiche im Baufeld ist nun in die Wege geleitet", verspricht die Leiterin der Unternehmenskommunikation, Anita Wälz. Auch um eine mögliche Verschmutzung der Häuser wolle sich das Unternehmen kümmern. "Wir werden mit einer Fachfirma die Reinigung beauftragen." Sowohl Berieselung als auch Reinigung hätten bislang jedoch nicht stattgefunden, lässt Fentzloff zu Wochenbeginn wissen.
Anwohner: Neue Tiefgaragenzufahrt sorgt für zusätzliche Belastung

In früheren Plänen seien die Zufahrten der künftigen Tiefgarage an der westlichen, unbebauten Seite des Gebiets eingezeichnet gewesen, so Fentzloff. Nun sind sie am Landgraben geplant, der zum Fuß- und Radweg modifiziert wird. "Dadurch schafft man für uns eine dauerhafte und nicht mehr korrigierbare Lärm- und Abgasbelastung", ist Fentzloff überzeugt. Anita Wälz weist jedoch daraufhin, dass die Tiefgaragenzufahrten von Beginn an ausschließlich dort mit direktem Einbezug der Kreisverkehre geplant gewesen seien.
"Keine Hilfe von Lidl, keine Unterstützung von der Stadt", fasst Peter Beck mit enttäuschter Miene zusammen. Klärungsversuche würden mit schwammigen Aussagen enden. "Wir hätten uns gewünscht, dass auch die Stadt unsere Interessen vertritt. Aber die scheinen aus dem Fokus gerückt." Bürgermeister Claus Brechter bedauert diesen Eindruck, "zumal es meines Erachtens objektiv keinen Grund hierfür gibt". Eine Baustelle sei nie ohne Belastungen zu betreiben. Dennoch müssten die Auflagen eingehalten werden. Gemeldeten Verstößen würde die Verwaltung nachgehen. Darüberhinaus stehe er bei allen nachbarschützenden Belangen für Gespräche zur Verfügung.
"Uns ist sehr an einem guten Miteinander gelegen, weswegen wir uns gerne um entsprechende Lösungen bemühen", betont Anita Wälz. Das Unternehmen wisse um die Beeinträchtigungen, die das Großprojekt mit sich bringe. Die Bürger des Scheffelwegs reagieren indes ungläubig ob solcher Aussagen. Fentzloff: "Lidl lohnt sich? Für uns nicht."