Giftige Pestbeulen und zänkische Weiber
Theatergruppe Aderlass sucht weitere Mitspieler für Reichsstadtfest 2017

Am Morgen wird das Entsetzliche offenkundig: Mit Pestbeulen an Kopf und Gesicht übersät, liegt der versoffene Kuntz auf seiner Treppe. Sogleich erhebt sich ein mächtiges Geschrei, der Pestarzt und sein Helfer kommen herbeigeeilt. Doch anstatt den Todgeweihten vor die Tore der Stadt zu schleifen, halten alle inne, als dessen Ehefrau Irmel mit einer ebenso einfachen wie einleuchtenden Erklärung aufwartet.
Kurzweilig und mit prallem Mittelalterwitz angereichert sind die Szenen und Stücke, die die Gruppe Aderlass insbesondere beim Reichsstadtfest mitten in die Wimpfener Gassen und Winkel, vor das Rathaus oder die Brunnen bringt. Und dennoch historisch fundiert aus dem Leben der Stadt, um das geschichtliche Verständnis der Zuschauer zu wecken und aktiv in die Geschichte einzubinden.
Historisch So hat es Pestereignisse tatsächlich mehrere Male gegeben: "Im 14. Jahrhundert und auch nach dem 30-jährigen Krieg, als gerade einmal zehn Prozent der Einwohner Wimpfens übriggeblieben sind", sagt Fremdenführerin Sabine März, die die zu Recht erboste Irmel beim Reichsstadtfest 2017 darstellen wird. Zwei weitere neue Stücke hat die Gruppe, die im August bei der Öhringer Landesgartenschau mit der "Frau am Pranger" aufwartete, in Petto: "Was, wird aber noch nicht genau verraten", sagt Dr. Hansjörg Diehm, erster Vorsitzender des 2012 gegründeten Vereins und künstlerischer Leiter. Zwei stammen aus seiner Feder, eine von Sibylle Beck und Susanne Reinmuth.
Zusätzlich zu den acht Szenen von der "Justiz im Mittelalter" über "Bauernunruhen" bis hin zum hessischen "Wimpfen das Schmugglernest" und quer durch mehrere Jahrhunderte: Szenen, die der inzwischen nicht mehr aktive Initiator und Ehrenvorsitzende Dr. Hanno Monauni geschrieben hat.
Auch ein Teil neue Gewandungen für das Reichsstadtfest 2017 am 21. und 22. Mai hat das Nähteam in der Mache. Schließlich lautet das Thema "Reformation": Die Kleider dürfen bunter, prächtiger und prunkvoller werden. "Wir sind sonst ja eher bäuerlich mit Leinenstoffen, Lederschuhen und Naturfarben von Kopf bis Fuß", sagt Sabine März.
Aus 35 Darstellern besteht die Gruppe eigentlich, aber nur 16 sind derzeit aktiv. Deshalb sind neue Schauspieler und Schauspielerinnen jeden Alters gesucht, insbesondere für die "Bauernunruhen" auch junge Männer: "Es würde ein bisschen komisch aussehen, wenn vier Hansel und 25 Frauen den Aufstand proben", räumt Diehm ein, dessen Töchter Pauline und Luise (10) sowie Anabel (14) seit einigen Jahren mit von der Partie sind.
Eine erste Fingernagelprobe hat Stephanie Falkenhain bestanden: Alles natürlich, keine aufgesetzten Kunststoffkrallen. "Das würde zum Mittelalter nicht passen", versichert Sabine März. Ebenso wenig Uhren oder Turnschuhe.
Latex Die Nachbarin von Regina und Jürgen Köninger hat Interesse als Neu-Mimin und schon Erfahrung: Immerhin hatte sie einst während der Ausbildung im Krippenspiel die Rolle der Maria übernommen. Die rot, blau und lila unterlaufenen Latex-Pestbeulen, die Diehm in der Plastikschale mitgebracht und Jürgen Köninger alias Kuntz mit dem Theaterkleber Mastix auf die hohe Stirn sowie ins Gesicht geklebt hat, sehen täuschend echt aus. Begleitet von Helfer Detlef Schäfer hat Pestarzt Willi Weyhing sicherheitshalber die nach historischem Vorbild gefertigte Pestmaske aus Leder wieder aufgesetzt. Wie man sich unter der langen Hakennase, die mit Kräuteressenzen zur Desinfektion gefüllt war, und den Bullaugen fühlt? Er gesteht lachend: "Ein bisschen wie das Monster von Lochness."