Beim Fingerbillard ist jeder Stoß eine Geometrieaufgabe
Einer von vier vorbereitenden Wettkämpfen zur Deutschen Meisterschaft im Carrom-Spiel fand in Bönnigheim statt - Jürgen Frey stellt selbst Bretter her

Das Carrom-Spiel stammt aus Indien und wird auf einem quadratischen Holzbrett, 74 mal 74 Zentimeter groß, gespielt. Es hat sich aus dem Billard entwickelt, das die britischen Kolonialherren nach Indien brachten. Da Elfenbeinkugel, Queue und Billardtisch für die einheimische Bevölkerung zu kostspielig waren, ersann man diese kleinere Version, die auch Fingerbillard genannt wird. Sie wird mit flachen, runden Steinen gespielt, die mit Hilfe eines Strikers, einer etwas größeren Scheibe, in die Ecklöcher geschnippt werden.
Jeder Spieler erhält neun Spielsteine, weiß oder braun, und Sieger ist, wem es zuerst gelingt, die eigenen Steine zu versenken. Eine besondere Bedeutung kommt einem zusätzlichen, farbigen Spielstein, zu, Queen genannt.
"The green Queen" heißt der Carrom-Verein, der sich vor acht Jahren in Bönnigheim gründete. Jürgen Frey, der an der Bönnigheimer Sophie La Roche-Realschule Sport unterrichtet, war irgendwann auf eine Beschreibung des Carrom-Spiels gestoßen, und weil es nirgends Bretter dafür zu kaufen gab, baute er sich selber eins und machte das Spiel, das Feinmotorik und Konzentration fördert, in seiner Schule und im Freundeskreis bekannt.
Und dass in diesem Jahr eines der offiziellen Turniere in Bönnigheim ausgetragen wird mag daran liegen, dass Jürgen Frey, gemeinsam mit einem Schreiner und einem Siebdrucker, die Herstellung der Bretter inzwischen dermaßen perfektioniert hat, dass diese nun vom Deutschen Carrom Verband für die offiziellen Turniere eingesetzt werden.
50 Carrom-Spieler aus dem ganzen Bundesgebiet sind angereist. Jörg Kijanski aus Bergisch Gladbach zum Beispiel, der mit dem Bönnigheimer Heiko Wurst im letzten Jahr Europameister im Doppel wurde. Auch der deutsche Meister, Peter Böcker, will den Titel verteidigen. Die Spieler sitzen sich gegenüber, bestäuben die Bretter mit Kartoffelstärke-Puder, damit die Steine besser gleiten, und bauen mit großer Sorgfalt in der Mitte des Spielfeldes eine Rosette aus den 19 Spielsteinen. Sie bewegen ihre Striker entlang der Abschusslinie und spannen den Zeigefinger am Daumen.
"Wenn's gut läuft", sagt Jürgen Frey, "gehen beim Anstoß drei Steine ins Netz." Wenn's gar nicht gut läuft, versenkt man den Striker gleich mit. Selten gelingt der "White Slam", der Durchmarsch, das große Abräumen: Alle eigenen Steine sind im Netz, bevor der Gegner überhaupt zum Zug gekommen ist.
Angespannte Ruhe liegt über der Aula. Man hört nur das leise Schnalzen der Finger, das Schaben der Steine auf dem Spielfeld, das Klicken, mit dem sie aneinander stoßen oder ins Netz rutschen. Und ab und zu ein tiefes Seufzen der konzentrierten Spieler, die Fingerspitzengefühl und räumliches Vorstellungsvermögen beweisen müssen. Jeder Stoß ist eine Geometrieaufgabe. Man arbeitet nach dem Gesetz des Impulserhaltungstriebs und nach der Erkenntnis: Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel.
Acht Spiele gilt es zu bestreiten, jedes dauert eine Stunde. "Man muss fit sein, um das durchzuhalten", sagt Heiko Wurst, der große Hoffnungsträger des Bönnigheimer Vereins, der King unter den Green Queens.
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