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Wenn Kirchenbänke auseinander brechen, tut Renovierung Not

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Die evangelische Kirche in Roigheim wird nach 50 Jahren wieder gründlich renoviert

Von Walter Schmid
Kräftig mit anpacken mussten die Männer bei der Renovierung. Recht marode waren die Bänke bereits. (Fotos: Walter Schmid)
Kräftig mit anpacken mussten die Männer bei der Renovierung. Recht marode waren die Bänke bereits. (Fotos: Walter Schmid)

Gemeindemitglieder befreiten in Eigenleistung die Kirche von jeglichem Inventar und fanden eine vergessene und völlig verstaubte Engelfigur. Als aber die 20 Männer der Kirchengemeinde die Bänke abschraubten und aus der Kirche trugen, einige Bänke aus dem Leim gingen und eine Sitzgelegenheit sogar total zusammenbrach, meinte Artur Schäfer: Jetzt sieht s hoffentlich jeder ein, dass es höchste Zeit wird, in unsere Kirche mal wieder etwas zu investieren.

Ein anderer Helfer fügt hinzu: Eine Wohnung renoviert man doch auch, sogar mehrmals in einer Generation? Die Daten sprechen für sich. Schließlich wurde die Kirche vor gut 100 Jahren erbaut. Vor genau 50 Jahren wurde sie das letzte Mal renoviert. In der Zwischenzeit wurde zwar einmal eine modernere Heizung eingebaut, ansonsten passierte aber nichts mehr.

Fremde, die die Kirche betreten, sind zwar von der Ausstattung der Kirche angetan, unverkennbar hat sich aber der Schleier grauer Vergilbtheit über die Ausstattung gelegt. Elektrik, Beleuchtung, Farben, Mobiliar, Unbeweglichkeit der Bänke - alles Standard der 50er Jahre. Der graugrüne Anstrich der Bänke, der zudem an vielen Stellen abgewetzt ist, hat den Roigheimern noch nie gefallen.

Susanne Höldrich meint verärgert: Die kirchenrätlichen Architekten damals waren an den Vorstellungen der Roigheimer nicht interessiert; wir sind einfach überfahren worden. Dabei haben die evangelischen Roigheimer nur diesen einen Raum zur Verfügung. Und weil sich die Gläubigen wenigstens hier zuhause fühlen sollten, unterstützen der Kirchenbezirk und der Oberkirchenrat in Stuttgart dieses Renovierungsvorhaben.

Zwei der Helfer, Erich Fahr und Hans Mäurer, gemeinsam mit Pfarrer Walter Schmid mit der wieder entdeckten Engelsfigur.  Foto: Foto: Walter Schmid
Außerdem handelt es sich um eines der wenigen noch unveränderten Dolmetsch-Kleinodien. Heinrich Dolmetsch war am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der meist beschäftigten Kirchenbauarchitekten im ehemaligen Königreich Württemberg. Während seiner nahezu drei Jahrzehnte umfassenden beruflichen Tätigkeit baute, sanierte, restaurierte und erweiterte er rund 100 Gotteshäuser.

Ausgeprägtes Interesse hatte Dolmetsch an kunstgewerblichen und dekorativen Details. Holzarbeiten, Bänke, Emporenbrüstungen und Säulen zeigen Schnörkel und kunstvolle Figuren.

Über diesen viel gefragten Baumeister wird geschrieben, dass er in so vielen Kirchen gleichzeitig beschäftigt war, dass er Bänke und Kanzeln für verschiedene Kirchen buchstäblich am Fließband fertigen ließ. So stellt die Roigheimer Kirchengemeinderätin Christel Schreiweis in mehreren anderen besichtigten Dolmetsch-Kirchen im Lande fest, dass sich die Kanzeln verschiedener Gotteshäuser verblüffend ähneln.

Wenige Roigheimer haben wohl schon ihre einmalige Dolmetsch-Besonderheit in ihrer Kirche wahrgenommen: etwas versteckt und total verstaubt und leider seither unbeachtet thront sie über der Orgel: eine 100 Zentimeter hohe kunstvoll geschnitzte Engelfigur. Wegen der Schutzhülle für die Orgel musste sie abgenommen werden.

Der Pfarrer trägt den posaunenden Engel vorsichtig ins Pfarrhaus und meint: Der hat jetzt eine Vergoldung verdient . Die Evangelischen feiern ihren Gottesdienst während der Renovierung in der katholischen Kirche.

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