Das beste Kunststück ist das Leben
Manchmal geht das Leben komische Wege. Und führt einen doch zur richtigen Zeit an den richtigen Ort. "Positiv denken. Immer positiv denken", sagt Waltraud Feinauer und wiederholt es wie ein Mantra.

Manchmal geht das Leben komische Wege. Und führt einen doch zur richtigen Zeit an den richtigen Ort. "Positiv denken. Immer positiv denken", sagt Waltraud Feinauer und wiederholt es wie ein Mantra. Dann schaut sie lächelnd zu Sebastian Hettenkofer hinüber. Hätte sie ihn als Teenager getroffen, sie wären wohl nie ein Paar geworden. Er, der Hippie mit den langen Zottelhaaren. "Und ich war eine richtige Landpomeranze", sagt sie augenzwinkernd. Stattdessen läuft sie ihm erst mit 40 über den Weg. Und da funkt es zwischen den beiden gewaltig. Mittlerweile sind die Macher des Jagsthausener Café Piano seit 23 Jahren zusammen. Verliebt haben sie sich bei einem Tanzkurs. Aber bei keinem gewöhnlichen. Denn gut hat es das Schicksal mit der 63-Jährigen nicht immer gemeint.
Schicksal
Als sie 15 Jahre alt ist, hat sie einen schweren Autounfall. Und sitzt seitdem im Rollstuhl. An das Geschehen kann sie sich kaum erinnern. "Mein damaliger Freund und ich kamen von einem Winzerfest", sagt sie. "Er ist wohl zu schnell gefahren und wir sind im Graben gelandet." 1967 sind Anschnallgurte noch keine Pflicht. Waltraud Feinauer wird aus dem Wagen geschleudert. So sagt man es ihr jedenfalls später im Krankenhaus, in dem sie acht Monate bleiben muss.
Ob sie nie gehadert hat mit ihrem Schicksal? Die Jagsthausenerin zuckt mit den Schultern. "Wenn man so viele Wochen nur im Bett liegt und von fremden Menschen hin und her gedreht werden muss, freut man sich geradezu auf einen Rollstuhl", erinnert sie sich. Er bekomme eine ganz andere Bedeutung. Eine positive. "Entweder du gehst zugrunde oder du machst das Beste daraus", erklärt Waltraud Feinauer. Auch als fünf Jahre danach ihr Zwillingsbruder tödlich verunglückt, gibt sie nicht auf - und heiratet später sogar dessen Unfallgegner. "Du hörst mich nicht jammern, oder?" Fragend schaut sie zu Sebastian Hettenkofer. Der schüttelt den Kopf.
Tanzkurs
Schließlich hat sich der frühere Sozialpädagoge genau in diesen Lebensmut verliebt. "Mit Waltraud habe ich Dinge erlebt, die ich als normaler Fußgänger nie kennengelernt hätte", sagt er. Grinsend reicht er ihr eine Tasse Kaffee. "Mit jemandem zusammen zu sein, der im Rollstuhl sitzt, hat auch Vorteile. Ich habe nie Parkplatzprobleme in der Innenstadt."
Dass er vor 23 Jahren bei dem Tanzkurs für Rollifahrer vom RSV Heilbronn auftauchte, war eigentlich reiner Zufall. "Eine damalige Kollegin hat mir davon erzählt - und ich als Alt-68er habe meine Abneigung gegen Standardtänze abgelegt", erinnert sich der 62-jährige Rolling-Stones-Fan. Irgendwann geht er mit Waltraud Feinauer, die zu dem Zeitpunkt Witwe ist, nach der Unterrichtsstunde noch aus. "Wir haben getanzt wie die Wilden und richtig die Sau rausgelassen." Danach ist zwischen den beiden alles klar, sie werden ein Paar. Und Sebastian Hettenkofer wird auf einen Schlag dreifacher Vater. Mittlerweile sind vier Enkel und ein Urenkel da. Sogar eine Familienband gibt es. Sie legen als erstes Rollstuhltanzpaar in Deutschland ein Sportabzeichen ab und schaffen es 2001 in Masserberg sogar bis zu den deutschen Meisterschaften.
Bei der Geschichte ist es kein Wunder, dass das Piano eigentlich ein Tanzcafé werden sollte. Auch wenn die Idee floppte. 2005 kaufen die beiden das Wohnhaus an der Sennenfelderstraße, der alte Dorfkrug im Erdgeschoss ist eigentlich nur Anhang. Aber brach liegen lassen ist keine Option. 2007 eröffnen sie den Laden. Und wandeln ihn nach dem ersten Misserfolg und einem Open Stage Besuch in Stuttgart in die Kunst- und Musikbühne mit Café um, die er heute ist. Waltraud Feinauer managt die Küche, Sebastian Hettenkofer die Technik. Ob sie das vor 23 Jahren gedacht hätten? Sicher nicht. Das verrückteste Kunststück ist eben doch das Leben.
Info: Fast 20 Jahre war der Kleinkunstverein Widdern im Kaisersaal zuhause. Differenzen mit dem Vermieter zwangen die Veranstalter, sich nach neuen Räumen umzusehen. Seit vergangenem Jahr läuft das Programm im Café Piano. Am Samstag, 17. Januar, um 20 Uhr bringt der Verein "Ines Martinez singt Kreisler"auf die Bühne. Schön und makaber - so klingen die Couplets von Georg Kreisler. Karten: www.kleinkunst-widdern.com, 06298 7379. Das Café Piano hat im Juni, Juli und August täglich außer Montag ab 14 Uhr, im Winter nur bei Veranstaltungen geöffnet. Info: 07943 943500, www.cafepiano.biz.