Lippenbekenntnisse der unauffälligen Art
Die junge Firma Lab Six synchronisiert Spielfilme für den DVD-Markt

Heilbronn - Der letzte Sprengkopf wird gerade aufgeladen. Alles klar? Es geht los." Fünf Mal schon hat der Schauspieler Thomas Fritsche heute diesen Satz gesprochen. Regisseur Simon Mora ist immer noch nicht zufrieden. "Dieser Ingenieur steht unter Dauerstrom. Der Mann ist ein schmales Hemd, Du musst mit der Stimme höher gehen", wendet er ein. Auch Techniker Antonio Fernandes Lopes mäkelt: "Das passt nicht auf die Lippen."
Fritsche versucht es erneut: "Der letzte Sprengkopf wird gerade aufgeladen. Alles klar? Es geht los." Misstrauisch äugt der Mime aus dem Studio auf die beiden Männer draußen am Mischpult. Vor beiden Arbeitsplätzen läuft der amerikanische Sci-Fi-Action-Film "2012 Supernova" von Anthony Fankhauser in der Originalfassung. Das Display mit dem Timecode zeigt die Stelle im Film an: 1:13:59.
Klinkenputzen
"Etwas ernster noch?", fragt Fritsche. Mora nickt: "Amerikanischer. Treibend amerikanisch." Lopes spult zurück. Fritsche legt einen Zahn zu: "Der letzte Sprengkopf wird gerade aufgeladen. Alles klar? Es geht los." "Ein guter Take", urteilt Mora. Lopes stimmt zu: "Die Breite hat super gestimmt."
Ein Hinterhof in der Heilbronner Werderstraße. Hier residiert seit 2007 die Firma Lab Six Sound Medien von Antonio Fernandes Lopes und Gernot Wurst. Seit Juni 2009 werden dort Spielfilme synchronisiert und komplett vertont. Stolz verweist Lopes auf die Komödie "The Boss Of It All" des dänischen Regie-Exzentrikers Lars von Trier, die in Heilbronn teilsynchronisiert wurde.
Stimme aus dem Off
Auf der Suche nach Sprechern wurden die Lab-Six-Leute im Stadttheater fündig. Ein Aushang genügte. Seitdem gehen Mitglieder des Ensembles in der Werderstraße ein und aus, aber auch ehemalige Kollegen wie Thomas Fritsche. Judith Raab und Nils Brück sind an diesem Freitag dran. Judith Raab muss eine Stimme aus dem Off sprechen. Der Timecode zeigt 1:18:37. "Du hast 20 Sekunden für den Text", verkündet Lopes. Raab setzt an: "Italien wurde von einem massiven Erdbeben erschüttert. Dieses löste der noch immer aktive Vesuv aus. Der letzte Großausbruch fand im Jahr 79 nach Christus statt. Jetzt, fast 2000 Jahre später, wurden erneut Hunderte Quadratmeter unter Lava und Asche begraben." "Perfektes Timing, leider mit ein paar Unreinheiten", kriegt sie zu hören.
Judith Raab versucht es noch einmal. "Sauber", meint Lopes, "aber zu abgelesen. Du musst den Vesuv und den Großausbruch hervorheben." Auch der dritte Versuch floppt: "Keine künstlichen Bögen bitte. Das machen die Leute vom Radio, deshalb nehmen wir die nicht mehr." Lopes fehlt die journalistische Dramatik: "Das ist ja ne krasse Sensationsmeldung." Der vierte Versuch ist perfekt. "Gekauft", atmet Lopes auf. Die Filme, die Lab Six synchronisiert, haben eine IT-Spur. Das bedeutet internationaler Ton mit allen Dialogen, mit Musik und Geräuschen wie Straßenlärm und Türenzuschlagen. Beim Film "Criminal Desire" mit Michael York und David Carradine fehlte die IT-Spur, Lab Six musste eine Vollvertonung organisieren. "Wichtig ist die raumklangliche Gestaltung der Stimmen. Wenn die Szene in einer Höhle spielt, muss das auch so klingen", sagt Lopes. Eine gute Synchronisation nimmt der Zuschauer nicht wahr. Nur wenn sie holpert und nicht lippensynchron ist, registriert man sie. Bei der Technik lässt sich Lab Six nicht lumpen: Ein Mikrofon der Marke Neumann kostet 2400 Euro, die Computer-Software kommt von Steinberg.
Die Synchronisation eines 80-minütigen DVD-Spielfilms dauert fünf Wochen: eine Woche Übersetzung, eine Woche Dialogbuchschreiben, zwei Wochen Studioaufnahmen, eine Woche Abmischen. Das Drehbuch überträgt ein Übersetzer ins Deutsche, Mora feilt dann an dieser Version, bis sie lippengerecht ist.
Während Lab Six den Sprechern Pauschalen im zwei- bis dreistelligen Eurobereich bezahlt, kriegen Profi-Synchronsprecher in Berlin 3,50 Euro pro Sprecheinheit (Take). Eine große Rolle in einem 90-Minuten-Film umfasst etwa 200 Sprecheinheiten. Thomas Fritsche hat an seinem Vormittag 40 Takes gesprochen: drei Stunden Arbeit.
Knock- und Mockbuster
Die Filme, die Lab Six synchronisiert, sind sogenannte Knock- oder Mockbuster: DVD-Filme wie "2012 Supernova", die Blockbuster (Straßenfeger) wie Roland Emmerichs "2012" verulken oder billig kopieren, aber in den Videotheken im Hochglanzgewand daherkommen. Mit diesen B-Filmen verfolgen die Verleiher eine zusätzliche Abschöpfungsstrategie. Für Judith Raab und Nils Brück bedeutet das Synchronsprechen ein kleines Zubrot und großen Spaß. "Es ist dabei nicht hinderlich, Schauspieler zu sein", sagt der rundfunkerprobte Brück. Muss er sich mit dem Filminhalt identifizieren? "Bei kleinen Rollen nicht."
"Du weißt doch, Männer sind einfach die härteren Astronauten", sagt Raabs Astronauten-Gegenüber. Lopes und Mora lachen: "So ein Nonsens." "Very funny", kontert die Astronautin im Original. Judith Raab: "Oh, sehr lustig." Lopes will noch einen "Atmer" vor dem Oh. Fertig.
Drei Rollen, 15 Sätze und eine halbe Stunde Zeitaufwand lautet Judith Raabs Bilanz an diesem Tag. "Na, dann retten wir mal wieder den Planeten" ist der letzte Satz, den sie heute im Studio spricht.