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Alexander Gerst bereitet sich im Esa-Trainingszentrum auf seine Reise ins All vor

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So ein Astronautentraining ist kein Zuckerschlecken. Tauchen, Sport, Biologie, Orbitalmechanik, Relativitätstheorie und Russisch stehen auf dem Stundenplan.

Von Matthias Stolla
Geschafft: Alexander Gerst beim gar nicht so problemlosen Übergang von der Raumstation ins Transportvehikel. Das Training im Kölner Esa-Zentrum soll so realistisch wie möglich sein.Fotos: Matthias Stolla
Geschafft: Alexander Gerst beim gar nicht so problemlosen Übergang von der Raumstation ins Transportvehikel. Das Training im Kölner Esa-Zentrum soll so realistisch wie möglich sein.Fotos: Matthias Stolla

Köln - Dort, wo es nicht mehr weiter geht, ist die Esa", sagt der Mann an der Pforte. Tatsächlich endet die Zufahrt vor dem Gebäude, in dem die Astronauten der Europäischen Raumfahrtgesellschaft (Esa) in Köln-Wahnheide trainieren. Andererseits steht die Arbeit dort erst am Anfang einer Reise, die den Hohenloher Alexander Gerst aller Voraussicht nach weit über seine bisherigen Grenzen hinaus bringen wird. Der 34-jährige gebürtige Künzelsauer soll der nächste Deutsche im Weltraum werden.

So ein Astronautentraining ist kein Zuckerschlecken. Tauchen, Sport, Biologie, Orbitalmechanik, Relativitätstheorie und Russisch stehen auf dem Stundenplan. "Am Ende hat man einen ganz guten, langen Tag", sagt Alexander Gerst. Seit 8.30 Uhr steckt er im Robotic Training. Das klingt spektakulärer als es aussieht. Gerst sitzt in einer Trainingskabine vor zwei Bildschirmen und versucht, mit einem Greifarm einen Behälter zu fassen − nicht real, sondern virtuell mit zwei Joysticks.


Dass es um mehr geht als um ein Computerspiel, verrät die angespannte Körperhaltung: Alexander Gerst sitzt aufrecht auf dem vorderen Drittel seines Drehstuhls. Längst hat er ins Englische gewechselt: "Looking good, moving in." Sein französischer Trainer Lionel Ferra ist mehr als zufrieden: "Very good job, very good correction."

Der Greifarm soll zur verlängerten Hand des Astronauten werden. "Dabei muss man ganz exakt und fein steuern, ohne etwas anderes zu berühren", sagt Gerst. Schon gar nicht die Außenhülle der Raumstation, "denn die besteht nur aus millimeterdickem Aluminium."

Greifarm

Die Internationale Raumstation ISS soll ab 2014 eine Zeit lang Gersts Zuhause sein. Teile des knapp 80 Meter langen Ungetüms stehen im Esa-Trainingszentrum als 1:1-Modell. Der Greifarm nicht. "Der profitiert im All von der Schwerelosigkeit", erklärt Gerst, "auf der Erde ginge er wegen der tonnenschweren Lasten zu Boden. Und der kostet mehrere Millionen Euro." Deshalb die Simulation. Die nächste Trainingseinheit wirkt real. Gerst und sein Trainer Ferra sitzen im Modell der Raumstation. Der Astronaut soll das Andocken des Automatischen Transportvehikels (ATV) überwachen, ein "sehr kniffliges Manöver". Wieder sitzt er vor einem Bildschirm. Aus dem Bordlautsprecher kommen Angaben. Auf Russisch, denn seit das amerikanische Space Shuttle nicht mehr fliegt, haben die Europäer und die Russen den Transport übernommen. Und obwohl das ATV das erste rein europäische Raumschiff ist, dockt es am russischen Teil der Station an.

Lineal
 
Immer wieder überprüft Gerst mit einem schlichten Lineal am Bildschirm den Abstand zwischen ATV und ISS und überwacht damit die korrekte Funktion des Computers. Die seltsame Mischung aus Hi-Tech und Low-Tech stamme von den Russen und habe sich bewährt, sagt Ferra: "Der Computer kann lügen, das Bild nicht." Das Andockmanöver misslingt dennoch. Für den Trainer Lionel Ferra ist es gerade deshalb ein Erfolg: "Wir wollten sehen, wie Alexander im Notfall reagiert." Gerst hat das Manöver abgebrochen und damit getan, was nötig war, damit die empfindliche Raumstation nicht beschädigt wird. Im All könnte das bedeuten, dass das Versorgungsmodul erst 24 Stunden später einen neuen Anlauf nehmen kann.

Im Training in Wahnheide kriecht der künftige Astronaut dennoch gleich in den engen Verbindungsgang. "Hinter dieser Luke ist jetzt das All", sagt er. Die Enge des Modells, der simulierte Funkverkehr aus den Lautsprechern, Gerst in seinem Astronauten-Blaumann − Apollo-13-Atmosphäre kommt auf. Dass die Journalisten genau darauf gewartet haben, ist Alexander Gerst klar. "Houston, wir haben ein Problem", scherzt er deshalb, als die Verriegelung der Verbindungsluke klemmt. "Das ist ein schönes Beispiel, wie es im All tatsächlich laufen kann", sagt er und löst das Problem mit handwerklichem Geschick und mit seinem Trainer. Alleine, erklärt er, dürfe man die Luke im Weltraum ohnehin nicht öffnen.

"Man muss gut improvisieren können", sagt der 34-Jährige und ist überzeugt, dass ihm dieses Talent auf dem Weg zur Esa geholfen hat. Als studierter Geophysiker hat er zuvor aktive Vulkane aus nächster Nähe erforscht. "Das hat der Esa wohl gezeigt, dass ich auch in Gefahrensituationen handlungsfähig bin."

Tatsächlich wirkt der Hohenloher höchstens angestrengt, aber nie gestresst. Mit einer Engelgeduld und einem erkennbaren Talent zum Entertainer beantwortet er zwischen und während der Trainingseinheiten die Fragen der Journalisten und posiert für die Kameras.

Im Modell des Forschungslabors Columbus wird aus dem Astronauten Gerst beinahe wieder ein Wissenschaftler. "Ich bin im Prinzip Laborant", sagt er und steckt seine Hände in die Schutzhandschuhe der gläsernen Glove Box. Der Glaskasten ermöglicht Experimente im Vakuum oder mit Stoffen, die die Astronauten gefährden könnten.

Schwerelos
 
"85 Prozent der Funktionalität des Labors ist vom Boden ferngesteuert", erklärt Trainer Norbert Brauer. Alle restlichen Handgriffe müssen die Astronauten beherrschen. Etwa das Ausrichten einer Videokamera auf eine Versuchsanordnung. Ob Pflanzenwachstum im All, ob Legierungen, die im All herzustellen sind, oder Kristalle, die nur in Schwerelosigkeit wachsen − Gerst interessiert sich für alles: "Ich bin ja nicht nur Geophysiker, sondern auch neugierig."

Diese Neugier lässt nicht nach, als er das mit Technik vollgestopfte Columbus-Modell verlässt und die nächste Trainingskabine betritt. Trainerin Elisabeth Jambor lässt den Astronauten einen Laborofen in das European Drawer Rack, ein Regal mit allen für Experimente notwendigen Installationen, einbauen. Die Versuchsanordnung gehört zum Sphinx-Experiment. Dabei geht es um den Austausch von Nährstoffen in Zellen etwa bei Arteriosklerose, sagt Gerst. Den Laborofen baut er fachgerecht ein und schafft die scheinbar harmlose Hürde: "Die Astronauten wickeln oft das Kabel nicht richtig auf. Daran kann man sich verheddern", erklärt die Trainerin. Im November wird Alexander Gerst das Basistraining beenden und, wenn alles weiter so gut läuft wie an diesem Trainingstag, einer Weltraummission zugeteilt. Dann steht er vor dem wohl größten Abenteuer seines Lebens. Dennoch scheint der Mann an der Pforte Recht zu behalten, denn für den Astronauten aus Hohenlohe steht fest, dass es zumindest in einem Punkt nicht mehr weiter gehen wird: "Ich habe den besten Job der Welt."

  
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