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Finanzexperte Hartmut Walz im Interview
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Warum die geplanten Milliardenschulden keine Katastrophe sind

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Die Bundesrepublik will mit dem geplanten Sondervermögen Schulden in Milliardenhöhe machen. Finanzexperte Hartmut Walz ordnet die Pläne im Interview ein.

Die Bundesrepublik soll nach den Plänen von CDU/CSU und SPD Schulden in Milliardenhöhe machen. Ein Finanzexperte erklärt, was das bedeutet.
Die Bundesrepublik soll nach den Plänen von CDU/CSU und SPD Schulden in Milliardenhöhe machen. Ein Finanzexperte erklärt, was das bedeutet.  Foto: Christin Klose

Die Bundesrepublik will 500 Milliarden Euro Schulden für Infrastruktur aufnehmen, noch mehr für Verteidigung. Müssen sich die Bürger deshalb Sorgen machen?

Hartmut Walz: Klare Antwort: nein. Der bekannte Ökonom Keynes sagt: Ökonomie wird in den Köpfen gemacht. Man muss die Staatsverschuldung immer im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrachten. 2015 hatten wir 71,2 Prozent, jetzt gerade liegen wir bei 62,4. Wir bringen die Verschuldung also in guten Zeiten runter. Mit dem angekündigten Sondervermögen werden es 73,7 Prozent sein. Das ganze Prinzip Verschuldung ist nicht erfreulich. Wenn man die Verschuldungskennziffern aber mit anderen Ländern in der EU oder den USA, Japan und China vergleicht, ist es keine Katastrophe.

War es also klug, jahrelang an der Schwarzen Null festzuhalten und Schulden abzubauen?

Walz: Da wird es kompliziert. Der französische Weg ist es, stetig in die Infrastruktur zu investieren, damit man sie nicht in einem Kraftakt reparieren muss. Rückblickend wäre das der klügere Weg gewesen. Sie können mit Euro-Scheinen keine Brücken bauen, Sie brauchen Leute, Materialien, Teile und Werkzeuge dazu. Die Bauindustrie und die Verteidigungsindustrie reiben sich jetzt die Hände und werden horrende Preise verlangen.

Gibt es genug Investoren, die Deutschland Geld leihen wollen?

Walz: Wir haben da keine Probleme. Die Bundesrepublik ist der Musterschüler unter den Schuldnern in der Eurozone. Sie bekommen keine bessere Bonität als deutsche Bundesanleihen. Aber die Finanzmärkte haben sofort reagiert und ihre Zinserwartungen erhöht. Sie wollen eine höhere Risikoprämie, denn das Ausfallrisiko ist nicht null – das gibt’s nur im Paradies! Daher sind eine halbe Billion Euro Schulden eine Bonitätsverschlechterung. Auch die stillen Lasten müsste man hinzurechnen.

Was bedeutet das?

Walz: Die Bundesrepublik folgt bei der Verschuldung den Spielregeln, die sie im Maastricht-Vertrag unterschrieben hat. Das bedeutet, dass alle Pensionen für Beamte nicht einbezogen werden. Das machen andere Länder zwar auch nicht, die haben aber viel weniger Beamte als wir. Jedes Unternehmen muss Pensionsrückstellungen bilden, das sind oft hohe Werte. Erfahrene Makroökonomen sagen deshalb: Eigentlich müssten wir diese stillen Lasten miteinbeziehen und dann würde Deutschland um einiges schlechter dastehen.

Welche Folgen hat ein so hoher Schuldenberg langfristig?

Walz: Es gibt überhaupt keinen Grund für Panik oder Crashgedanken. Das schlimmste Problem ist aus meiner Sicht der mögliche Vertrauensverlust in unsere Währung, für den aber nicht das Sondervermögen alleine verantwortlich ist. Niemand will einen Währungscrash, selbst wenn die Inflation bei über zehn Prozent liegt. Aber langfristig ist das, was wir in der Eurozone, in den USA und auch in China treiben, nicht nachhaltig. Es gäbe Lösungsmöglichkeiten, diese sind politisch aber nicht gewünscht.

Ein Vorschlag ist: Wenn künftige Generationen die Zinslast tragen müssen, sollte man jetzt die Steuern erhöhen. Eine gute Idee?

Walz: Das wäre eine Möglichkeit, allerdings kann dabei keine Rede von höheren Einkommenssteuern sein. Da ist die Last schon immens, sie würgen damit die Konjunktur ab und fördern Vermeidungsverhalten – die Leute machen mehr selbst, gehen eher in Teilzeit, hören noch früher auf zu arbeiten.

Was kann man stattdessen machen?

Walz: Ganz nüchtern betrachtet würde es Vertrauen aufbauen, wenn der Staat wieder ein Vermögen aufbaut, das den Schulden gegenübersteht. Dafür müsste man an die Vermögen ran, und zwar an die ganz großen. Eine einmalige Abgabe, aber auch eine Vermögensbesteuerung wären möglich. Sie könnten locker alle Menschen mit weniger als 10 Millionen Euro davon ausnehmen. Politisch ist das allerdings ein absolutes No-go. Wir haben außerdem keine weltweite Solidarität. Superreiche kennen keine Staatsgrenzen und es wird immer Länder geben, die sie aufnehmen.

Die wahrscheinlich nächste Regierung hat sich erst mal einen Blanko-Scheck ausgestellt, will das viele Geld in vielen Bereichen investieren. Führt das garantiert zu Wachstum?

Walz: Je höher ein Staat verschuldet ist, desto weniger Wachstumsimpulse bringen neue Schulden. Da sind sich Ökonomen weltweit einig. Das liegt daran, dass immer mehr von dem Geld für künftige Kapitaldienste verloren geht, also zum Beispiel für das Begleichen von Zinsen. Das ist kontraproduktiv!

In was muss man das Geld investieren, damit echtes Wachstum entsteht?

Walz: Man sollte Infrastruktur schaffen, die tatsächlich die Produktivität erhöht. Züge, die pünktlich kommen, Glasfaser auf dem Land. Sie bekommen dann einen Gegenwert, der zu Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen führt. Konsumtive Schulden wie mehr Bürgergeld und die Mütterrente haben dagegen eine Wachstumswirkung von null. Dieses Geld verpufft, die Schulden bleiben.

Warum verhandeln Union und SPD trotzdem darüber?

Walz: Die unerwartet zähen Verhandlungen zwischen Union und SPD stellen sich wohl so dar, dass die SPD als starker Juniorpartner sehr viel durchsetzen kann. Dadurch wird wohl ein hoher Anteil des Sondervermögens in konsumtive Ausgaben fließen. Am Ende werden dann gar nicht so viele Brücken gebaut und Schienen saniert.

Wie könnte aus Ihrer Sicht eine generelle Reform der Schuldenbremse aussehen, wie sie geplant ist?

Walz: Wir haben aus bitterer Erfahrung in der Forstwirtschaft gelernt, dass man Bäume nicht alle abholzen darf, weil man sonst die Lebensgrundlagen der künftigen Generationen tötet. Jeder der die Augen aufmacht sieht, dass es ohne eine Art der Schuldenbremse nicht geht: Kapitaldienste wie Zinsen entwickeln sich exponentiell, das endet immer böse und ist das Gegenteil von nachhaltig. Es ist deshalb sinnvoll, die Verschuldung an Wachstum zu koppeln. Wir haben uns daran aber nicht wirklich gehalten, sondern Investitionen zurückgefahren und Sozialleistungen verteilt, die wir uns nicht leisten können. Dass man das in der Not korrigiert, ist okay, langfristig müssen wir die Schuldenbremse wieder einhalten – ohne die Infrastruktur marode werden zu lassen.

Hartmut Walz (Jahrgang 1960) kommt aus Pforzheim, ist ausgebildeter Bankkaufmann und hat BWL, VWL sowie Wirtschaftspädagogik studiert. Als Professor lehrt er Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule in Ludwigshafen am Rhein. Walz hat mehrere Bücher über Finanzlehre geschrieben, sein aktuellstes Buch „Einfach genial entscheiden im Falle einer Finanzkrise – Konstruktive Crashgedanken“ ist 2023 erschienen.

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