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Historiker Wolffsohn: Israels Araber sind gespalten

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Seit Anfang vergangener Woche sind in Israel bei einer Anschlagsserie elf Israelis getötet wurden. Der Historiker Michael Wolffsohn sagt: Die Lage ist sehr angespannt.

von Hans-Jürgen Deglow
Am 29. März hatte ein bewaffneter Palästinenser in Bnei Brak bei Tel Aviv das Feuer auf Passanten eröffnet. Er wurde daraufhin von Polizisten erschossen.
Am 29. März hatte ein bewaffneter Palästinenser in Bnei Brak bei Tel Aviv das Feuer auf Passanten eröffnet. Er wurde daraufhin von Polizisten erschossen.  Foto: Oded Balilty (AP)

 

Herr Wolffsohn, die jüngsten Anschläge markierten die blutigste Woche in Israel seit 16 Jahren. Wie angespannt ist die Lage?

Michael Wolffsohn: Über die 16 Jahre könnten wir streiten, denn es gab zum Beispiel 2015 die Messerstecher-Intifada. Wie alle Gewaltaktionen der Palästinenser seit 1882 brachten sie letztlich auch dem Palästinenser-Volk nur noch mehr Leid. So wird es auch diesmal sein, obwohl, ja, die Lage sehr angespannt ist. Politisch hilft sie den Gegnern der Palästinenser. In Israel, der Arabischen Welt, überall. Es wird Zeit, dass die Palästinenser von Gewalt auf Politik umschalten. Im eigenen Interesse.

 

Der muslimische Fastenmonat Ramadan beginnt am Samstag. 2022 fallen Ramadan, das jüdische Pessachfest und Ostern zusammen. Eine besonders kritische Gemengelage, die Extremisten ausnutzen könnten?

Wolffsohn: Natürlich. Mit einem Unterschied: Politisch schadet die Palästinenser-Gewalt den Palästinensern und nicht dem Kollektiv ihrer Opfer, also Israelis und Juden allgemein. Dass der Tod der Opfer zu beklagen ist, versteht sich von selbst, egal ob Juden oder Palästinenser.

 

Drei der Täter der Angriffe aus der vergangenen Woche waren nach bisherigen Erkenntnissen israelische Araber und Unterstützer der Terrororganisation Islamischer Staat (IS), ein weiterer war ein Palästinenser aus dem Westjordanland. Wer hat aus Ihrer Sicht ein starkes Interesse an einer Eskalation in Nahost?

Wolffsohn: Unabhängig davon, ob es Einzeltäter oder vom IS oder wem auch immer gesteuerte Mörder waren, wird hier zweierlei sichtbar. Erstens: Israels Araber sind gespalten. Sie streiten darüber: Sollen sie, wie die arabische Raam-Partei – ursprünglich islamische Fundamentalisten - mit und im System des Jüdischen Staates zum Alltagswohl ihrer Wähler beitragen oder gegen das System des Jüdischen Staates arbeiten? In dieser Schärfe muss die Frage erstmals seit dem Frühjahr 2021 beantwortet werden, denn: Seitdem ist Raam, wie gesagt, die erste arabische Partei, die Koalitionspartner einer israelischen Regierung ist. Sie hat auch schon für ihre Klientel eine ganze Menge erreicht. Die Gewalt der antijüdischen Araber Israels richtet sich daher politisch auch gegen vermeintliche Kollaborateure aus den eigenen Reihen. Zweitens: Immer mehr arabische Staaten arbeiten inzwischen ganz offen gut und gerne mit Israel zusammen. Das versuchen Hardliner in der Arabischen Welt zu sabotieren. Ergo: Die jetzigen Ereignisse spiegeln die regionalen Rahmenbedingungen wieder.

 

Fürchten Sie, dass Palästinenser im Westjordanland den Kampf gegen Israel wieder aufnehmen könnten?

Michael Wolffsohn, Historiker und Publizist.
Michael Wolffsohn, Historiker und Publizist.  Foto: Karlheinz Schindler (ZB)

Wolffsohn: Nicht im Sinne eines organisierten Aufstands der Massen. Die sind müde. Aber getragen von Fanatikern ja. Gleich gilt bezüglich der israelischen Araber, die in ihrem Selbstverständnis mehrheitlich ebenfalls Palästinenser sind.

 

Könnte eine tiefere Ursache des neuen Terrors sein, dass der IS wieder erstarken und die Sunniten in der Region im Kampf gegen Israel hinter sich vereinen will?

Wolffsohn: An der Spitze des gesamtislamischen Kampfes gegen Israel steht derzeit die schiitische Mullah-Diktatur des Iran. Doch ja, die Rivalität Schiiten gegen Sunniten und umgekehrt spielt auch eine Rolle. Sie kämpfen gegen Israel und auf diese Weise um die innerislamische Vorherrschaft. Zugleich ist das ein innersunnitischer Kampf. Hier gemäßigte wie die Emirate und Marokko, dort die IS-Terroristen.

 

Eine neue geostrategische Ordnung in der Region stand auch im Mittelpunkt einer Konferenz in der Negev-Wüste, wo sich jetzt die Außenminister Israels, Marokkos, Bahrains, der Vereinten Arabischen Emirate, Ägyptens und der USA trafen. Radikale Muslime lehnen diplomatische Beziehungen zwischen Israel und arabischen Staaten grundsätzlich ab, die Palästinenser sollen wütend sein, weil sie in dieser neuen Kooperation keine Rolle mehr spielen. Was ist Ihre Meinung dazu?

Wolffsohn: Aus den genannten Gründen haben sich die Palästinenser selbst in die Isolierung entweder gebombt oder politisch manövriert. Seit 1947, als die UN den Palästinensern und Juden je einen eigenen Staat zusprach. Stets wollte die palästinensische Führung alles oder nichts. Mal mit Gewalt, mal gewaltlos, aber immer nur alles oder nichts. Sie ließ auch goldene Gelegenheiten aus. Ich erinnere an das Camp-David-Abkommen von 1978, den „Oslo-Vertrag“, das Angebot Israel in den Jahren 2000 und 2008, 97 Prozent des Westjordanlandes plus Ostjerusalem den Palästinensern zu überlassen. Die Tragödie der Palästinenser, und es ist eine Tragödie, besteht darin, dass sie weitgehend selbst verschuldet ist, meist durch Gewalt. Und die schlägt gegen sie zurück.


Zur Person

Michael Wolffsohn, geboren am 17. Mai 1947 in Tel Aviv, ist Historiker und Publizist. Er lehrte von 1981 bis 2012 Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Michael Wolffsohn ist der Sohn einer 1939 nach Palästina geflüchteten jüdischen Kaufmannsfamilie und Enkel des Verlegers und Kinopioniers Karl Wolffsohn. Nach der Einschulung in Israel 1953 siedelte er 1954 mit seinen Eltern nach West-Berlin über und begann 1966 sein Studium. Er studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft an der Freien Universität Berlin, der Universität Tel Aviv und der Columbia University in New York City. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet der Internationalen Beziehungen, der israelischen und deutsch-jüdischen Geschichte sowie der historischen Demoskopie. Er ist Autor zahlreicher Bücher. In Kürze erscheint im Herder-Verlag sein neues Werk mit dem Titel „Eine andere Jüdische Weltgeschichte“. 

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