FDP-Wehrexperte Müller: Wir brauchen keine Wehrpflichtigen
Der Obmann der Liberalen im Verteidigungsausschuss spricht sich in der Debatte über Konsequenzen aus dem Krieg gegen die Ukraine klar gegen eine Rückkehr der Wehrpflicht aus. Er sagt: „Ich will eine Armee von Profis, die sich freiwillig für diesen Job entschieden haben.“

Herr Müller, der Angriff auf die Ukraine hat die Debatte über die Ertüchtigung der Bundeswehr belebt. In der CDU Niedersachsen beispielsweise gibt es Stimmen, die für eine Rückkehr der Wehrpflicht sprechen. Gibt es aus Ihrer Sicht mehr Argumente gegen als für eine neue Wehrpflicht?
Alexander Müller: Es gibt eigentlich gar keine Argumente für eine Wehrpflicht: Das Argument „das hat keinem geschadet, das bringt jungen Männern mal Ordnung bei“, dem kann ich nur begegnen, dass der Staat nicht für die Erziehung zuständig ist. Im damaligen Kommunismus der DDR und der Sowjetunion hat sich der Staat sehr stark eingemischt in die Erziehung und Indoktrination der jungen Menschen, ein Horror für mich. Damals ist den Kindern „Wehrkunde“ beigebracht worden. Ich will so etwas hier nicht haben.
Was spricht noch gegen die Wehrpflicht?
Müller: Sie ist heute verfassungswidrig. Eine Wehrpflicht müsste heute Männer und Frauen einbeziehen. Als die Wehrpflicht ins Grundgesetz kam, gab es noch keinen Widerspruch zum Artikel 3 (Benachteiligung durch Geschlecht), weil Frauen der Dienst an der Waffe verboten war. Heute gibt es diesen Widerspruch, der sofort per Klage kommen würde. Eine Dienstpflicht muss heute Männer und Frauen einbeziehen.
Von Gegnern einer Wehrpflicht-Rückkehr wird oft auch angeführt, es gebe gar nicht mehr genügend Kasernen, um die Soldatinnen und Soldaten unterzubringen.
Müller: Das ist so. Wir können so viele Pflicht-Dienstleistende gar nicht beschäftigen. In jedem Jahrgang wären um die 800.000 junge Menschen unterzubringen, das ist völlig ausgeschlossen. Zuletzt ist die Wehrpflicht ja ausgesetzt worden, weil fast niemand mehr gezogen wurde, denn der Bedarf war gar nicht mehr da. Wir haben weder die Ausbilder, noch die Ausrüstung wie Uniformen, Waffen etc., noch die Unterkünfte, um auch nur im Ansatz eine große Zahl junger Leute in der Wehrpflicht auszubilden. Alleine die Vorbereitung würde Jahre dauern, und erfordert einen großen Betrag aus dem 100-Milliarden-Euro-Kuchen.
Lässt sich denn aus militär-strategischen Gesichtspunkten eine Notwendigkeit ableiten?
Müller: Wir brauchen die Wehrpflichtigen gar nicht. Der Krieg im 21. Jahrhundert wird immer weniger auf dem offenen Schlachtfeld geführt. Heute fliegen Raketen gezielt ins Ziel, haben Cyber-Hacker oft größere Zerstörungskraft als konventionelle Panzer. Wenn Deutschland per Cyber-Angriff attackiert wird, rekrutieren wir sehr schnell die nötigen Spezialisten, meiner Überzeugung nach arbeiten die überwiegend freiwillig mit an der Landesverteidigung. Egal ob in Uniform oder im Hoodie. Wir sehen es gerade im Fall der Ukraine, wie die Hacker dieser Welt Cyber-Attacken gegen das russische Militär führen, ohne darin organisiert zu sein.
Sie sprachen den 100-Milliarden-Sonderfonds an. Er soll vor allem für eine bessere Ausstattung verwendet werden. Der Inspekteur des Deutschen Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, hat vor dem Hintergrund der Ukraine-Invasion des russischen Militärs die deutsche Verteidigungspolitik der vergangenen Jahre scharf kritisiert und das deutsche Militär als lediglich bedingt einsatzbereit bezeichnet. „Die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da“, schrieb er.
Müller: Die Bundeswehr hat tatsächlich weniger ein Personal-Problem, sondern ein Ausrüstungs-Problem. Unsere Gerätschaften haben eine sehr niedrige Einsatzbereitschaft, das muss dringend geändert werden. Ein moderater Personal-Aufwuchs um etwa zehn Prozent ist ohnehin beabsichtigt, ist aber nicht entscheidend für unsere Schlagkräftigkeit.
Der Präsident des Reservistenverbands, Patrick Sensburg, hat sich für die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland im Rahmen einer allgemeinen Dienstpflicht ausgesprochen. Sensburg schlug vor: „Ein Jahr für Deutschland, ein Jahr, in dem junge Menschen, die volljährig sind und ihre Ausbildung absolviert haben, etwas für den Staat und die Gemeinschaft tun.“ Dann könne jeder entscheiden, „ob er zum Bund gehen will, in die Pflege oder zum Beispiel in die Entwicklungshilfe.“ Ein gangbarer Weg?
Müller: Das ist doch kein Argument, was er sagt. Schon heute kann jeder selbst entscheiden, ob er zum Bund geht, schon heute kann jeder freiwillig ein Jahr Wehrdienst leisten, oder ein freiwilliges soziales Jahr machen. Außerdem ist seine Argumentation schräg, denn ich musste damals meinen Zwangs-Dienst vor Ausbildung und Studium machen.
Die Wehrpflicht steht im Gegensatz zum Freiheitsgedanken?
Müller: Ja klar. Es ist am Ende das Grundrecht auf Freiheit, auf persönliche Entfaltung, welches ganz stark gegen die Wehrpflicht spricht. Ich will eine Armee von Profis, die sich freiwillig für diesen Job entschieden haben, und ihn professionell und motiviert durchführen. Es macht auch volkswirtschaftlich Sinn, jeden seinen Traumberuf ausüben zu lassen, und dadurch länger Steuern einnehmen zu können aus professioneller Arbeit, statt Steuern auszugeben für Zwangsdienende, die wenig effektiv arbeiten. Das Argument „jeder muss für die Gemeinschaft etwas tun“, das widerlegt unser Steuersystem. Jeder zahlt für die Gemeinschaft. Der IT-Experte, der Chefarzt, der Architekt, sie können in ihrem Traumberuf viel mehr für diesen Staat mit ihrem Steueraufkommen beitragen, als monatelang in Kasernen eingesperrt zu sein und etwas zu tun, worauf sie keine Lust haben, aber gezwungen werden - und dabei Steuergeld kosten.
Zur Person:
Alexander Müller, geboren 1969 in Bendorf (Rheinland-Pfalz), leistete nach dem Abitur von Oktober 1988 bis Dezember 1989 seinen Grundwehrdienst bei der Bundeswehr in der Heeresflugabwehrschule in Rendsburg und bei der Heeresflugabwehr in Koblenz. Müller ist Diplom-Informatiker, besitzt eine Berufspilotenlizenz und ist beorderter Reservist beim Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr im Rang eines Oberstleutnants der Reserve. Seit 2017 ist er Mitglied des Bundestages und ist Obmann der FDP im Verteidigungsausschuss.