Demonstrieren für Klima, Landwirtschaft oder Frieden: Gehen die Menschen heute mehr auf die Straße als früher?
Blockierte Autobahnauffahrten durch Traktoren und festgeklebte Klimademonstranten auf der Straße: So hat sich politischer Protest in Deutschland verändert.

Protest, wie man ihn in Deutschland seit einigen Wochen in vielen Städten und Gemeinden erlebt, ist eine grundlegende Form demokratischer Partizipation. Demokratie lebt von der Beteiligung ihrer Bürger, die elementarste Beteiligungsmöglichkeit ist das Recht, wählen zu gehen.
Daneben ist auch politischer Protest eine Möglichkeit, seine Meinung zu äußern, beziehungsweise auf den politischen Prozess Einfluss zu nehmen. Es gibt verschiedene Formen von Protest, und auch die Protestkultur hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten verändert.
Protestkultur in Deutschland: Diese Formen des Protests gibt es
Die Politikwissenschaftlerin Sabrina Mayer von der Universität Bamberg erklärt, wie sich politischer Protest kategorisieren lässt: "Man kann zwischen appellativem, demonstrativem, konfrontativem und gewaltförmigem Protest unterscheiden."
Beim appellativen Protest geht es um Unterschriftensammlungen und Petitionen, beim demonstrativen Protest handelt es sich um angemeldete Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen. Zum konfrontativen Protest zählen unter anderem Blockaden und Besetzungen, aber auch unangemeldete Demonstrationen. Zur Kategorie der gewaltförmigen Proteste zählen Angriffe auf das Leben, beispielsweise durch Brand oder Sprengstoffanschläge, aber auch schwere Sachbeschädigung.
Politikwissenschaftlerin: "Das Lösungsorientierte ist nicht verloren gegangen"
Im Vergleich zu den Protesten in den 1960er und 1970er Jahren hebt Sabrina Mayer eine Veränderung besonders hervor: "Was man sehen kann ist, dass es weniger konfrontativen und gewaltförmigen Protest gibt. Am stärksten vertreten ist auf jeden Fall der demonstrative Protest." Das Recht zu demonstrieren ist eines der wichtigsten Bürgerrechte. In Deutschland ist es in Artikel 8 des Grundgesetzes festgeschrieben.
Allerdings gehen mit der Versammlungsfreiheit bestimmte Pflichten einher, die im Versammlungsgesetz des Bundes festgeschrieben sind. Versammlungen unter freiem Himmel müssen zwar nicht erlaubt werden, sie müssen aber 48 Stunden vor der Bekanntgabe bei der Versammlungsbehörde angemeldet werden.
Denkt man zurück an die Demonstrationen während der Corona-Pandemie, an die Gelbwestenproteste in Frankreich oder auch an die Proteste der letzten Generation, hat man den Eindruck, dass Proteste nicht mehr so konsens- und lösungsorientiert sind wie früher. Die Politikwissenschaftlerin kann diesen Eindruck nicht bestätigen: "Das Lösungsorientierte ist nicht verlorengegangen. Schaut man sich die Anti-Atomkraft-Bewegung an, hatten sie auch große Ziele. Letztlich verfolgt auch die letzte Generation ein großes Ziel."
Bei den jüngsten Demonstrationen in Deutschland standen insbesondere die Landwirte im Mittelpunkt und haben es geschafft, die öffentliche Aufmerksamkeit bundesweit auf sich zu lenken. Für den Erfolg beziehungsweise die Lautstärke dieses Protests sieht Sabrina Mayer mehrere Gründe: "Bei den aktuellen Protesten waren ganz bestimmte Bevölkerungsgruppen dabei, die sonst eher nicht bei Protesten vertreten sind. Das heißt, auch eher konservative Personen, viele Proteste in der Vergangenheit sind sonst eher in der linken Ecke angesiedelt." Außerdem seien diese Art der Bauernproteste etwas Neues, was unter anderem durch die erzeugten Bilder an medialem Nachrichtenwert gewinne.
Landtagswahlen im Osten: Ist mehr Protest zu erwarten?
Durch die Protestbewegungen der letzten Jahre, beispielsweise die Black-Lives-Matter-Bewegung, Fridays for Future, Proteste gegen den Ukraine-Krieg oder auch den Konflikt im Nahen Osten, haben viele Menschen das Gefühl, in einer Art "Protest-Hochphase zu leben" - aber ist das so? "Wir haben eigentlich genauso viel Protest wie früher", sagt die Politikwissenschaftlerin. Doch für dieses subjektive Gefühl gebe es zwei Erklärungen: Zum einen gebe es den sogenannten "Recency-Effekt", das bedeutet, dass ein zeitlich näheres Ereignis einem deutlicher im Gedächtnis ist, als eines, das bereits länger vergangen ist. Außerdem würden sich Protestaktionen heute medial viel schneller verbreiten.
Im Herbst stehen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Landtagswahlen an, in allen drei Ländern könnte die AfD laut aktuellen Umfragen stärkste Kraft werden. Als Begründung für den Erfolg wird oftmals die Unzufriedenheit mit den "Alt-Parteien" vorgebracht. Doch dass sich diese Unzufriedenheit auch direkt auf das Demonstrations- und Protestverhalten der Bevölkerung auswirken könnte , sieht Sabrina Mayer derzeit nicht: "Ich sehe aktuell kein Protestereignis, das bei den Landtagswahlen relevant ist - das kann sich aber schnell ändern."
Versammlungen: Nach Artikel 8, Absatz 1 des Grundgesetzes haben alle Menschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Allerdings kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel eingeschränkt werden. Um die Sicherheit zu gewährleisten, müssen öffentliche Versammlungen 48 Stunden vor Bekanntgabe vom Veranstalter bei der Versammlungsbehörde angemeldet werden. Bilden sich Versammlungen aus aktuellem Anlass sofort, gilt es als sogenannte Spontanversammlung und muss nicht angemeldet werden.