"Reichsbürger" im Mittelpunkt der Kriminalstatistik
Der Schusswechsel in Reutlingen überlagert die Vorstellung der Kriminalstatistik. Innenminister Strobl warnt vor "brandgefährlicher" "Reichsbürger"-Szene und fordert erneut schärferes Waffenrecht durch den Bund.

Eigentlich ist die Vorstellung des Sicherheitsberichtes und der Polizeilichen Kriminalstatistik alljährlich ein Höhepunkt für den baden-württembergischen Innenminister - gilt es doch zu verkünden, wie erfolgreich die Polizei arbeitet und wie sicher Baden-Württemberg für die Bürger ist. Die bundesweite Razzia gegen "Reichsbürger", in deren Rahmen am Mittwoch bei einer Hausdurchsuchung in Reutlingen ein Polizist durch einen schwer bewaffneten "Reichsbürger" angeschossen worden war, verhagelte dem CDU-Minister Thomas Strobl und Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz am Donnerstag allerdings diesen Termin. Die Erfolgsbilanz der Polizei aus dem Jahr 2022 wurde so durch die Ereignisse in Reutlingen in den Hintergrund gedrängt.
22 Waffen
So ging es bei der Pressekonferenz vor allem darum, wie gefährlich die "Reichsbürger"-Szene im Südwesten ist - und wie es sein kann, dass ein Mann aus dieser Szene wohl 22 legal von den Behörden registrierte Waffen bei sich zu Hause aufbewahrt sowie offenbar illegal noch zahlreiche weitere Waffen. Strobl forderte erneut eine rasche Verschärfung des Waffenrechts durch den Bund. Es sei höchste Zeit, dass das, was man in der Innenministerkonferenz im Dezember besprochen habe, nun endlich umgesetzt werde, so Strobl.
Markus L., so der Name des Mannes, war aber laut Strobl weder der Polizei noch dem Verfassungsschutz bislang als Teil der landesweit rund 3500 Personen umfassenden "Reichsbürger"-Szene bekannt gewesen. Erst im Zuge der Ermittlungen nach den aufgedeckten Putschplänen rund um den "Reichsbürger"-Prinz Reuss vom Dezember 2022 sei der Reutlinger in den Fokus der Ermittler geraten. Im Rahmen der Razzia vom Mittwoch, an der die baden-württembergische Polizei an mehreren Orten mit mehr als 160 Beamten im Einsatz war, war auch bei Markus L. in Reutlingen als Zeugen eine Durchsuchung angeordnet worden, wie die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mitteilte.
Ermittlungen wegen Mordversuchs
Weil auf Markus L. 22 Waffen registriert waren, war die Polizei zur Durchsuchung mit dem SEK angerückt, wie Strobl am Donnerstag erklärte, eine durchaus übliche Vorsichtsmaßnahme. Markus L. habe die Beamten in der Wohnung mit einer großkalibrigen Schusswaffe empfangen und sich geweigert, die Waffe wegzulegen. Beim darauffolgenden Schusswechsel war der SEK-Beamte in den Unterarm getroffen worden. "Er ist nicht lebensgefährlich verletzt, aber es handelt sich um eine Schussverletzung, das ist keine leichte Verletzung", sagte Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz. Mittlerweile hat die Bundesanwaltschaft Ermittlungen wegen Mordversuchs in mehreren Fällen gegen den Mann aufgenommen. Noch am Donnerstag liefen Sicherungs- und Ermittlungsarbeiten, teilte Strobl mit. Die Bundesanwaltschaft gab zu den weiteren Durchsuchungsergebnissen auf Anfrage allerdings keine Auskunft. Strobl selbst, der in Reutlingen vor Ort war, zeigte sich am Donnerstag einigermaßen entsetzt von dem "perversen Waffenarsenal", das die Einsatzkräfte vorgefunden hätten. "Was ich dort gesehen habe, braucht wirklich kein Mensch", sagte Strobl, und sprach von "Kriegswaffen".
Brandgefährliche Staatsfeinde
Der Innenminister warnte zudem erneut davor, die "Reichsbürger" als einen "Haufen Spinner" abzutun. "Ich weise seit Jahren darauf hin, dass das brandgefährliche Staatsfeinde sind." Baden-Württemberg habe die Szene schon lange im Blick und Verfassungsschutz sowie das Landeskriminalamt personell gestärkt, um "Reichsbürger" und Rechtsextremismus besser bekämpfen zu können. "Die vergleichsweise hohe Zahl von 3500 Personen in dieser Szene mag damit zusammenhängen, dass wir uns um dieses Thema intensiv und schon verhältnismäßig lange kümmern", sagte Strobl.
In Baden-Württemberg wurden bislang im Rahmen gezielter Kontrollen bei bekannten "Reichsbürgern" seit 2017 insgesamt 512 Waffen eingezogen. Damals waren Waffenbehörden angewiesen worden, "Reichsbürgern", Selbstverwaltern und Extremisten keine waffenrechtlichen Erlaubnisse zu erteilen und bereits erteilte Erlaubnisse soweit möglich zurückzunehmen. Nach Angaben des Innenministeriums waren zum 1. Februar landesweit noch elf bekannte Reichsbürger sowie zwei Extremisten im Besitz mindestens einer erlaubnispflichtigen Waffe.