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Interview
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Leiterin der Antidiskriminierungsstelle Baden-Württemberg: "Wir haben ein tiefsitzendes Problem"

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Nina Guérin leitet die Antidiskriminierungsstelle des Landes. Sie spricht über die Präsenz von Rassismus in unserer Gesellschaft und wie sehr sie das Umfragehoch der AfD besorgt.

Nina Guérin von der Antidiskriminierungsstelle des Landes erzählt von ihrer Arbeit, und warum diese wichtig ist.
Nina Guérin von der Antidiskriminierungsstelle des Landes erzählt von ihrer Arbeit, und warum diese wichtig ist.  Foto: Till Junker

Seit November 2018 gibt es in Baden-Württemberg die Antidiskriminierungsstelle des Landes (LADS). Deren Leiterin Nina Guérin erklärt im Interview, worin die Aufgabe der LADS besteht und warum Antidiskriminierungsarbeit heute so wichtig ist.

Frau Guérin, worin besteht die grundsätzliche Arbeit der LADS?

Nina Guérin
Nina Guérin  Foto: Markus Milcke

Nina Guérin: Es gibt drei Aufgabenbereiche: Der erste Bereich ist die Beratung. Hier ist die LADS Erst- und Verweisberatungsstelle für alle Menschen, die von Diskriminierung jeglicher Form betroffen sind. Seien es rassistische, ableistische (Anm. d. Red.: Diskriminierung von Menschen mit Behinderung) oder sexistische Diskriminierung, Queerfeindlichkeit oder Antiziganismus, Antisemitismus oder Islamfeindlichkeit. Wir verweisen weiter an Anlauf- und Beratungsstellen, insbesondere an die Beratungsstellen gegen Diskriminierung im Land. Der zweite Bereich ist die Prävention und Netzwerkarbeit. Hier gibt es beispielsweise den Landesaktionsplan gegen Diskriminierung und Rassismus, ein wichtiges Vorhaben im aktuellen Koalitionsvertrag der Landesregierung. Der dritte Aspekt ist die behördliche Antidiskriminierungsarbeit, in der wir die Sensibilität für Diskriminierungsrisiken schärfen. Das heißt, wir bringen einen diskriminierungssensiblen Blick mit in alle Vorgänge, die es in einer Behörde gibt, indem wir beispielsweise Stellungnahmen zu Gesetzen, die verabschiedet werden sollen, erstellen.

Warum ist Antidiskriminierungsarbeit so wichtig?

Guérin: Jeder Mensch hat das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft und auf ein Leben ohne Diskriminierung. Das ist heute leider keine Realität und Antidiskriminierungsarbeit trägt dazu bei, dieses Ziel zu erreichen.

Einerseits ist unsere Gesellschaft immer aufgeklärter, weltoffener. Andererseits gibt es beispielsweise die NSU-Morde, den Anschlag in Hanau, zuletzt vermehrt Angriffe auf Synagogen und jüdische Mitmenschen. Nimmt Rassismus wieder zu oder ist er nur sichtbarer in der Öffentlichkeit?

Guérin: Diese Beispiele zeigen, dass in der Gesellschaft, in der wir leben, Diskriminierung in all ihren Facetten einen viel zu großen Platz hat. Sowohl was Gewalt als auch was Alltagsdiskriminierung angeht. Es ist sicher so, dass es inzwischen ein größeres Bewusstsein für Diskriminierungen gibt, was positiv ist und dazu führt, dass wir genauer hinsehen. Aber ich glaube schon, dass diese Diskriminierungen nicht nur sichtbarer werden, sondern sie sind weiterhin massiv vertreten. Ein Beispiel dafür ist der Bericht der europäischen Agentur FRA "Being black in the EU". Hier wurden Umfragen unter Schwarzen Menschen in der EU durchgeführt zu der Frage, wie oft sie rassistische Diskriminierungen erleben. Fast in keinem EU-Staat antworteten so viele Schwarze Menschen, dass sie Diskriminierung erfahren wie in Deutschland. Das zeigt mir: Wir haben ein echtes und tiefsitzendes Problem, das wir dringend noch besser angehen müssen.

Wie hat sich Ihre Arbeit in den vergangenen Jahren verändert?

Guérin: Es ist selbstverständlich geworden, dass es überhaupt eine LADS gibt. Das Bewusstsein bei vielen Menschen für Diskriminierung ist gestiegen und damit auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Antidiskriminierungsarbeit. Gleichzeitig sehe ich, gerade im Austausch mit Betroffenen, dass sich die Grenze des Sagbaren verschoben hat. Damit meine ich, dass es bestimmte, beispielsweise rassistische, sexistische, antisemitische Äußerungen gibt, von denen ich denken würde, dass es einen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, dass es nicht angemessen ist, so etwas zu sagen, weil es Hass streut und diskriminierend ist. Viele Betroffene erfahren mehr Diskriminierung und Hass als früher. Ein Beispiel anhand von Queerfeindlichkeit für die Unterschiedlichkeit der Entwicklungen: Es gab in den letzten Jahren große Errungenschaften. 2017 wurde die Ehe für Alle eingeführt, die Verabschiedung eines Selbstbestimmungsgesetzes durch den Bund steht im Koalitionsvertrag. Gleichzeitig sehen wir in verschiedensten Studien, dass die Zustimmungswerte für sogenannte "moderne Homofeindlichkeit" laufend steigen. Das bedeutet, die Zustimmungsraten zu Aussagen wie "Queere Menschen nehmen zu viel Platz ein im öffentlichen Leben" nehmen zu.

Was rassistisch ist und was nicht - Von wem sollte das definiert werden?

Guérin: Für unsere Arbeit gibt es bei der LADS einen einfachen Grundsatz: Bei einer Diskriminierung zählt nicht die Absicht, sondern die Wirkung. Die Sicht der betroffenen Person ist zentral. Wenn sie sagt: "Ich erfahre hier gerade Diskriminierung", dann liegt hier die Deutungshoheit und nicht bei demjenigen, von dem die Diskriminierung ausgeht. Die Person, von der Diskriminierung ausgeht, hat vielleicht rassistische oder sexistische Stereotypen so sehr verinnerlicht, dass sie nicht merkt, dass sie gerade ein solches Stereotyp bedient und sich unabsichtlich diskriminierend äußert.

Die AfD ist im Umfragehoch, in einigen Monaten könnte sie in zwei Bundesländern bei Landtagswahlen Wahlsieger sein. Wird in Ihren Augen diese Bedrohung von Seiten der Politik und Gesellschaft ernst genug genommen?

Guérin: Diese Entwicklung besorgt mich sehr. Sie ist nicht überraschend, aber dennoch furchteinflößend. Ich bin davon überzeugt, dass wenn Menschen ausgeschlossen, angefeindet oder diskriminiert werden, es die Aufgabe von uns allen ist, an ihrer Seite zu stehen und unmissverständlich deutlich zu machen: Das Recht auf ein Leben ohne Diskriminierung ist niemals verhandelbar. Die Demonstrationen sind ein tolles Hoffnungszeichen. Dennoch habe ich das Gefühl, dass wir alle noch mehr tun könnten, um gegen diese rechtsextremen Positionen einzustehen. Speziell auf meine Arbeit bezogen ist es mir sehr wichtig, dass wir uns nicht einschüchtern lassen und uns schützend vor Betroffene stellen, beispielsweise durch einen starken rechtlichen Schutz vor Diskriminierung.

In der Vergangenheit stand die Antidiskriminierungsstelle Heilbronn mit ihrer Arbeit wegen unterschiedlicher Punkte in der Kritik. Halten Sie das für berechtigt?

Guérin: Alle Beratungsstellen gegen Diskriminierung im Land machen aus meiner Sicht eine extrem wichtige Arbeit für die Unterstützung von Betroffenen und auch zur Sensibilisierung. Ich finde die Arbeit auch in Heilbronn vor Ort sehr wichtig. Es ist Teil der Aufgaben der Beratungsstellen, dass, wenn sich Betroffene an sie wenden, sie entsprechende Schritte gehen und für bestehende Diskriminierung sensibilisieren, damit sich diese in der Zukunft nicht wiederholen.

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