Das lichtdurchflutete Büro von Müller Architekten PartGmbB liegt im Innenhof des Quartiers Wilhelmstraße/Cäcilienstraße. Im Innern des Gebäudes zeugen Pläne, Bilder und Skizzen an den Wänden von der innovativen Architektur und Formsprache, die Matthias Müller und sein Team seit mehr als 30 Jahren entwerfen. Und das nicht nur in Heilbronn. So wurde in Wetzlar kürzlich ein von ihnen entworfenes Medienprojekt mit Fernseh- und Radiostudios fertiggestellt. Schul- und Fassadensanierungen, Wohnungsbau im Neckarbogen, spektakulär anmutende Firmenzentralen im In- und Ausland, Holzhäuser in Kanada - wo anfangen, wo aufhören bei der Vielzahl an Bauvorhaben? An diesem Tag kommen Matthias Müller und Partner Benjamin Brötzler gerade von einem Termin mit dem Behördenzentrum in Heilbronn zurück, für dessen Gebäude sie eine umfangreiche Sanierung mit Photovoltaik-Fassade konstruieren.
Herr Müller, Herr Brötzler, was würden Sie aktuell als die größten Herausforderungen im Bereich Architektur bezeichnen?
Matthias Müller: Da wir aufgrund der Unterschiedlichkeit der bisherigen Projektanforderungen permanent neue Fragen gestellt bekommen, gibt es eigentlich keine wirklich neuen Herausforderungen, sondern die Unterschiedlichkeit der Zusammensetzung der Aufgabenstellungen machen jedes Projekt spannend und interessant. Natürlich kommen nun verstärkt ökologische Betrachtungen hinzu. Wir mussten aktuell für eine DGNB-Zertifizierung (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, A.d.R.) eines neuen Büro- und Laborgebäudes einen Fragekatalog mit 600 Punkten beantworten - das hat andere Dimensionen, als wenn ein Kindergarten nach dem Gebäude-Einspargesetz geplant wird. Die größte Herausforderung ist aber generell, immer die richtige städtebauliche und architektonische Antwort auf die jeweilige Fragestellung der Auftraggeber zu finden. Und die hat man nicht immer gleich parat.
Benjamin Brötzler: Vielleicht kann man es auch so sagen: Die größte Herausforderung trotz der Probleme, die das Bauen aktuell mit sich bringen - seien es Fragen finanzieller Natur oder der Regulierungseifer in der Baubranche - ist, die beste Architektur für den jeweiligen Ort zu finden. Wir versuchen, das architektonische Niveau des Bauwerks hochzuhalten, es soll Qualität in die Umgebung bringen. Und zwar nicht nur von außen, sondern auch für den Nutzer im Innern. Es soll ein Ort werden, an dem er sich in einem wirtschaftlichen Rahmen wohlfühlt. Früher hatte man als Architekt vielleicht etwas mehr Freiheit in der Gestaltung, konnte auf hochwertiges und auch Kosten intensiveres Material zurückgreifen. Das gilt nicht für jeden, aber der Kreis derjenigen, die günstig bauen möchten, wird tatsächlich größer.
Und das trifft ja nicht nur auf private Bauherren oder Firmen zu, sondern auch auf den öffentlichen Sektor ...
Müller: Ja, aber es geht heute vor allem darum, nachhaltig zu bauen. Das kann wie im Fall einer hochwertigeren Fassade bedeuten, dass man zunächst zwar mehr investiert, aber längerfristig betrachtet keine Kosten für Fassadensanierung im Unterhalt einkalkulieren muss. Unsere Aufgabe als Architekten ist es, unter allen Parametern eine sehr gute und optimale architektonische Lösung im Außen- und Innenbereich zu erarbeiten.
Brötzler: Im öffentlichen Sektor ist die Chance am größten, innovative Vorhaben zu entwickeln und zu realisieren.
Müller: Das rührt daher, dass ein Land wie Baden-Württemberg einen gewissen Vorbildcharakter für beispielhafte Projekte als Vorgabe hat. Es muss sich wie beim Beispiel einer PV-Fassade darstellen lassen, dass sich eine höhere Investition im Bereich Energiegewinnung lohnt, wenn ein positiver Ertrag sich erst in einigen Jahren amortisiert. Das ist kein Hindernis für die sinnvolle Umsetzung.
Herr Müller, Sie hatten vor ein paar Jahren in einem Interview mit der Heilbronner Stimme gefordert, dass aus sozialen und ökologischen Gründen in der Gesellschaft ein Umdenken notwendig ist: weg vom Eigenheim, hin zum Geschosswohnungsbau. Wo steht Heilbronn heute bei diesem Thema?
Müller: Es ist schwierig, einen genauen prozentualen Vergleich herzustellen. Unser Architekturbüro war eigentlich nie die Adresse für den klassischen „Häuslebauer“.
Da haben wir wahrscheinlich ein anderes Profil. Zu uns kamen eher private Bauherren aus der Industrie- und dem Managementbereich. Im Zuge der 2019 sind Bundesgartenschau wir in den Geschosswohnungsbau mehr „reingekommen“, allerdings waren die Vorgaben für die Vorhaben qualitativ hochwertiger als der einfachere soziale Wohnungsbau.
Brötzler: Entscheidend ist, ob die Stadtverwaltung es einem leicht macht, umfangreichere Projekte zu entwickeln. Wenn man sich nicht traut, über bestehende Grenzen und Volumen hinaus zu denken, in dem man auf ein Gebäude beispielsweise mit einem Holzbau ein oder zwei Geschosse mehr draufsetzt, ist das meist nicht förderlich für Projektentwicklungen, welche entgegen dem Flächenfraß von Neubaugebieten in die Höhe mehr Wohnraum schaffen. Wenn man ein Gebäude nur in den bestehenden Volumen veralteter Bebauungspläne genehmigt, ist eine Sanierung wirtschaftlich meist nicht darstellbar und führt dazu, dass innerstädtische Projekte nicht angegangen werden.
An welchen Projekten arbeiten Sie im Moment?
Brötzler: Aktuell erarbeiten wir unter anderem zwei Wettbewerbsbeiträge für den Abschnitt Neckarbogen 3. Da geht es um Themen wie modulares Bauen beziehungsweise Bauen mit Holz. Da geht es auch darum, innovative, flexible Grundrisse zu entwickeln. Müller: Eine andere Aufgabenstellung, aber auch ein gutes Beispiel für ein innerstädtisches Projekt ist unsere Zusammenarbeit mit einem Investor, wie eine bestehende innerstädtische Blockrand-Bebauung im Innenbereich des Quartiers entwickelt und neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Dieses Thema wurde vor vielen Jahren von der Stadtverwaltung aufgegriffen und bekommt wieder eine aktuelle Bedeutung, wenn man die innerstädtische Situation Heilbronns betrachtet. Es mangelt an attraktiven Geschäfts- und Wohnflächen, die zu einer Wiederbelebung der Fußgängerzonen dienen. In vielen Bereichen werden die öffentlichen Verkehrsflächen mit klimatisch wirksamen Grünzonen verbessert und nun sind eigentlich die Eigentümer der angrenzenden Immobilien daran, sich den Herausforderungen der Innenstadt-Entwicklung zu stellen.
Sie hatten das Stichwort „innovativer Grundriss“ genannt. Was versteht man darunter?
Müller: Früher hatte man als Paar mit Kind ein Haus mit circa 120 Quadratmetern zur Verfügung, jetzt ist es vielleicht eine Dreizimmerwohnung mit etwa 85 Quadratmetern Größe. Die Herausforderung liegt darin, dennoch eine gute Wohnqualität zu erzielen - und zwar selbst mit kleinsten Möglichkeiten. Die Baupreise werden nicht mehr runtergehen. Die Energiekosten, die Materialkosten, die Löhne sind hoch. Wo kann man da noch sparen? Da muss man anders, innovativer ran, um eine andere qualitativ hochwertige Wohnqualität zu finden.
Brötzler: Lange Zeit wurden bei der Frage, wie der Grundriss gestaltet ist, die Familienwohnung eher vernachlässigt, Mikroapartments waren gefragt. Da hat ein Umdenken stattgefunden. Die Wohneinheiten werden jetzt zwar kleiner, aber zugunsten von flexiblen Bereichen innerhalb und außerhalb der Wohnungen, in denen man lebt und zusammenkommt. Man beschäftigt sich auch wieder mehr mit den Themen Hausgemeinschaft und Sharing. Gemeinsam genutzte Dachflächen und Erdgeschosszonen gewinnen an Bedeutung.
Was hat sich beim Thema Baumaterialien verändert?
Müller: Man war sportlicher in konstruktiven Entscheidungen, die heute architektonisch gar nicht mehr umsetzbar sind, weil die bauphysikalischen Anforderungen strenger gehandhabt werden. Wird heute quadratisch, praktisch, gut gebaut, herrschte in den 1980er-Jahren eine andere Haltung vor - man nannte dies demokratisches Bauen, wie es zum Beispiel Günther Behnisch bezeichnet hat.
Brötzler: Man geht heute auch deutlich bewusster mit dem um, was man verwendet. Früher hat man nicht darüber nachgedacht, dass auch der Bausektor ein großer Verursacher von CO₂-Emissionen ist. Heute gehen wir zu Schulungen und schulen explizit unsere Mitarbeiter in diesen Fragen. Wir haben auch Bauherren, welche für jede erstellte Wohneinheit 100 neue Bäume pflanzen. Das sind Themen, die noch vor einigen Jahren weniger Bedeutung gehabt hätten.
Zum Abschluss des Gesprächs die Frage an Sie beide: Was ist gute Architektur?
Brötzler: Auf jeden Fall keine Mode, denn dafür ist sie einfach zu beständig. Eine Zeitlang wurden beispielsweise Fassaden mit bunten Elementen versehen, aber das ist etwas, an dem man sich schnell sattgesehen hat.
Müller: Gute Architektur ist automatisch mit Bildern hinterlegt. Dazu gehören für mich die Weißenhofsiedlung in Stuttgart oder die Regierungsbauten in Berlin. Die Architektur ist klassisch, zeitlos, werthaltig, unterliegt keinen modischen Dingen und hat den Anspruch, über Jahrzehnte Bestand zu haben. Man muss das Gebäude auch noch in 40 oder 50 Jahren anschauen können.
Brötzler: Gute Architektur muss sich für mich immer auch mit den Menschen und mit der Umgebung auseinandersetzen.
Von unserer Redakteurin
Andrea Eisenmann
Zur Person
Der international tätige Architekt Matthias Müller (66) ist in Stuttgart geboren und in Heilbronn aufgewachsen. Von 1980 bis 1985 studierte er an der HFT in Stuttgart Architektur. Sein vor 32 Jahren gegründetes Büro realisierte prominente Bauten wie den Glaskubus auf dem Kaiser's Turm und den Firmensitz von Münzing Chemie in Abstatt. Benjamin Brötzler (37) studierte Architektur an der FH in Biberach an der Riss und gehört seit 2015 zum Team von Müller Architekten. Seit April 2022 ist er Gesellschafter und Büropartner von Matthias Müller. ae
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