Ich musste mein ganzes Leben um die Periode herum planen.“ Geburtstagspartys absagen, Urlaube stornieren, sich wieder krankmelden müssen, nicht das Haus verlassen können und wenn, nur mit sorgfältiger Vorbereitung. „Ich war nicht lebensfähig.“ Für Sarah Nowak war das viele Jahre lang normaler Alltag. Sie leidet unter Endometriose, schätzungsweise 10 bis 15 Prozent der Frauen in Deutschland sind betroffen. Damit zählt Endometriose zu den häufigsten gynäkologischen Erkrankungen, weltweit geht die Weltgesundheitsorganisation von circa 190 Millionen betroffenen Frauen aus. Aber was ist Endometriose überhaupt?
„Bei Endometriose befindet sich gebärmutterschleimhautartiges Gewebe außerhalb der Gebärmutter“, erklärt Dr. Karin Pethke. Normalerweise wird die Gebärmutterschleimhaut jeden Monat durch die Periodenblutung abgetragen, um sich im nächsten Zyklus neu aufzubauen. Bei Endometriose setzt sich Gebärmutterschleimhaut auf andere Organe, beispielsweise auf das Bauchfell, die Harnblase oder den Darm. „In seltenen Fällen kann auch die Lunge befallen sein“, sagt die Ärztin. Diese Stellen werden als „Endometrioseherde“ bezeichnet. Sie können sehr schmerzhaft sein, müssen es aber nicht. „Das ist sehr unterschiedlich. Endometriose wird als Chamäleon der Gynäkologie bezeichnet.“ Warum die Symptomatik so unterschiedlich sei, wisse man noch nicht. Auch die Ursache von Endometriose ist bis heute nicht genau bekannt. In der Medizin orientiert man sich an fünf Hauptsymptomen: Schmerzen bei der Periode, beim Wasserlassen, beim Stuhlgang, beim Geschlechtsverkehr sowie zusätzlich der Unfruchtbarkeit.
Langer Weg zur Diagnose
„Seit ich denken kann, war meine Periode immer schlimm, schmerzhaft, viel und nicht normal“, sagt Sarah Nowak. Die 25-Jährige erinnert sich genau an ihre erste Periode. „Ich wusste ja nicht, was passiert. Aber mir ging es so schlecht, ich hatte über Tage so schlimme Bauchschmerzen. Irgendwann wollte mein Bruder mich ins Krankenhaus fahren. Dann habe ich meine Periode bekommen.“ Von da an ändert sich ihr Leben. „Ich habe ganz viel geweint. Verzweiflung ist ein großer Teil des Ganzen. Man denkt jedes Mal: So schlimm wird es nicht. Aber es wird so schlimm.“ Erbrechen, nicht gehen können, Kreislaufprobleme, ohnmächtig werden, stundenlang die Dusche nicht verlassen können, vor lauter Blut und Schmerzen. Was sich dramatisch anhört, begleitete Sarah Nowak jeden Monat für eine Woche.
Über die Jahre hat die 25-Jährige verschiedene Gynäkologen aufgesucht. Oft hat sie sich nicht ernst genommen gefühlt, auch das führe zu Verzweiflung. „Ich habe regelmäßig bei Ärzten gesagt, irgendetwas stimmt nicht. Habe gefragt, ob es wirklich normal sein kann, dass die Schmerzen so groß sind. Die Antwort war immer: ja.“ Auch das Wort „Instagramkrankheit“ habe sie öfter zu hören bekommen. Dass der Leidensweg vieler Frauen lang ist, kann Karin Pethke bestätigen. „Zwischen ersten Symptomen und Diagnose liegen meist sieben bis zehn Jahre.“ Sarah Nowak erhielt die endgültige Diagnose in der Frauenklinik Tübingen.


Endometriose kann unter anderem über eine Ultraschalluntersuchung der Gebärmutter diagnostiziert werden. Manchmal ist der Ultraschall aber auch unauffällig, je nachdem wo und in welcher Form Gewebe betroffen ist. Laut Karin Pethke gibt es je nach Ultraschallbefund und Beschwerden zwei Möglichkeiten: „Man kann mit der Patientin erst einmal einen konservativen, medikamentösen Behandlungsweg gehen.“ Das geschieht in Form einer hormonellen Therapie, beispielsweise durch ein sogenanntes Gestagenpräparat. Das pillenähnliche Medikament wird dauerhaft eingenommen und verhindert die Monatsblutung. Dadurch wird die Neubildung von Gebärmutterschleimhaut unterdrückt. Bereits vorhandene Endometrioseherde verschwinden zwar nicht, sie gehen aber in einen „nicht aktiven Zustand, in dem die Schleimhaut nicht mehr angeregt wird“. Bei 70 bis 80 Prozent der Betroffenen schlage eine medikamentöse Therapie gut an.
Ergänzende Behandlungswege
Die zweite Möglichkeit ist eine Operation. Bei einer Bauchspiegelung, geht man mit Kameras unter anderem über den Bauchnabel in den Bauchraum. So kann zum einen Endometriose diagnostiziert werden, die auf dem Ultraschall nicht erkennbar ist und zum anderen können Endometrioseherde direkt entfernt werden. Dabei wird das Gewebe von den betroffenen Organen abgetragen. Trotz der großen Schmerzen war die Endometriose bei Sarah Nowak auf dem Ultraschall nicht zu erkennen. Sie entschied sich für eine Operation - nach zwei Jahren Wartezeit war es Ende Juni soweit, jetzt nimmt sie ein Gestagenpräparat ein.
Info
Dr. Karin Pethke ist Oberärztin in der Frauenklinik Esslingen. Die Klinik ist unter anderem Zentrum für Endometriose. Das bedeutet, es werden spezielle EndometrioseSprechstunden angeboten sowie entsprechende Operationen durchgeführt. Betroffene Frauen können auf der Seite der Stiftung Endometriose Forschung Endometriosezentren in ihrer Nähe finden, unter www. endometriose-sef.de .
Karin Pethke betont, eine ausführliche Beratung sei sehr wichtig. Denn allein mit einer Operation sei es meist nicht getan, Endometriose ist nicht heilbar, Entzündungsherde können sich neu bilden. „Es gibt Frauen, die nur die Operation machen möchten und denken, dann ist es vorbei. Das funktioniert leider meist nicht.“ Es sei empfehlenswert, auch nach einer Operation mit einer hormonellen Therapie weiterzumachen. Die Gynäkologin sagt aber auch, dass ergänzende Therapien bei Endometriose nicht zu unterschätzen seien. Dazu zählen beispielsweise Physiotherapie, Osteopathie und anti-entzündliche Ernährung. „Da gibt es ein sehr breites Feld, wo Frauen sich selbst schlau machen können, um zu schauen: Was tut mir im Alltag gut?“, empfiehlt die Ärztin.
Frauengesundheit im Fokus
Für Sarah Nowak hat sich nach der Operation auch mental viel verändert. Die Diagnose „schwarz auf weiß“ zu haben, habe ihr psychisch sehr geholfen. „Das macht viel mit einem. Es zeigt: Ich bin kein Hypochonder.“ Zwar geht sie schon immer offen mit ihren Schmerzen um und erzählt, dass sie in ihrem Umfeld immer auf viel Unterstützung und Verständnis gestoßen ist. Doch die Glaubwürdigkeit gegenüber ihren Mitmenschen sei jetzt trotzdem eine andere, wenn sie sagt: Ich habe Endometriose und ich wurde operiert. Durch das Gestagenpräparat hat sie keine Periode, leichte Schmerzen hat sie noch durch Schmierblutungen. Wie sich die Endometriose weiter entwickelt, muss sie abwarten. Doch für sie steht fest: Sollten die Schmerzen zurückkommen, kommt für sie auch die komplette Entfernung der Gebärmutter infrage. „Ich habe so schrecklich gelitten und weiß nicht, was ich für Worte verwenden soll, um zu verdeutlichen, wie viel Leid dahinter steckt.“ Dem wolle sie auf keinen Fall noch einmal ausgesetzt sein. Sarah Nowak möchte anderen Frauen Mut machen und betont: „Man will sich am liebsten verstecken, so ging es mir auch. Aber das darf man nicht tun, man muss dranbleiben und sich Hilfe holen.“
„Sowohl dem Thema Endometriose als auch dem Thema Frauengesundheit im Allgemeinen wird langsam mehr Aufmerksamkeit gewidmet.“ Junge Frauen seien heute aufgeklärter, würden sich in digitalen Medien besser vernetzen, informieren, sich gegenseitig stärken und selbstbewusster positionieren. Trotzdem brauche es ein gesellschaftliches Umdenken, zu lange sei die Medizin auf Männer fokussiert gewesen. „Aber langsam findet hier ein Wechsel statt. Frauen haben eine Stimme.“
Text von unserer Redakteurin Marie Provençal