„Gretchen 89ff.“: Nah an der Realität - wie eine gute Komödie

Laura Remmler inszeniert „Gretchen 89ff.“ von Lutz Hübner im Burggraben: Eine Parodie auf die Theaterwelt

Die österreichische Schauspielerin Josephine Wessely (1860-1887) als Gretchen. Foto: imago images

Faust I“ von Goethe, Seite 89 folgende. Gretchen auf ihrem Zimmer, nach der ersten Begegnung mit Faust, ziemlich durcheinander. Seit der Uraufführung von Goethes „Faust“ 1829 haben unzählige Schauspielerinnen in der Rolle des Gretchen jenes unheilvolle Schmuckkästchen gefunden, das Mephisto ihr ins Zimmer schmuggelte, die sogenannte Kästchenszene. Die unterschiedlichsten Regiekonzepte versuchen seither, der Schlüsselszene der Tragödie ihre Lesart zu verpassen.

Unzählige Interpretationen von Anfängerinnen, von Diven, hochdramatisch leidenden und abgeklärten Schauspielerinnen waren auf den Bühnen zu sehen. Jetzt gibt es (fast) sämtliche Lesarten an einem Abend kurz und munter im Burggraben der Götzenburg zu erleben, seit vergangenem Sommer neben dem Burghof und dem Gewölbekeller eine dritte, charmante Spielstätte in Jagsthausen.

Seit ihrer Uraufführung 1997 ist die Komödie„Gretchen 89ff.“ von Lutz Hübner ein Publikumserfolg auf deutschsprachigen Bühnen. So wie der 1964 in Heilbronn geborene Dramatiker überhaupt zu den meist gespielten Gegenwartsautoren gehört. Hübners „Frau Müller muss weg“ wurde von Sönke Wortmann fürs Kino verfilmt, seine Jugendstücke „Das Herz eines Boxers“ oder „Gotteskrieger“ sind moderne Klassiker. Aufgewachsen in Weinsberg, lebt der Autor in Berlin. Was Regisseurin Laura Remmler aus seinem Gretchen macht, will er sich im Sommer ansehen. Remmler, Regisseurin aus Köln, hat einen handfesten Bezug zu den Burgfestspielen. Der Großvater, der Schauspieler Robert Remmler, stammt aus Jagsthausen, war seit den 50er Jahren dort in verschiedenen Rollen aufgetreten, im Alter hatten die Großeltern in Jagsthausen ihre Residenz, auch die Großmutter war Schauspielerin. „Die Burg war mein erstes Theater“, erinnert sich Laura Remmler, die im Alter von vier ihren ersten„Götz“ gesehen hat.

Teufelswerk

In den vergangenen zwei Sommern hat die freischaffende Regisseurin Kinderstücke bei den Burgfestspielen inszeniert, nun kehrt sie mit zwei großen Produktionen zurück. Mit „Brassed off“ in den Burghof, mit dem „Gretchen 89ff.“ in den Graben. Eine Spielstätte mit „ganz spezieller Atmosphäre“.

Die Kästchenszene? Die Szene, bei der Grete ihre Begegnung mit Faust hinter sich hat und ein Kästchen mit Schmuck findet, ein Symbol für Verführung und Teufelswerk: Hübners Komödie auf dem Theater über das Theater ist eine Art Making-of dieser Schlüsselszene, unterteilt in neun Szenen, in denen unterschiedlichste Typen von Schauspielerinnen und Regisseuren aufeinandertreffen.

„Hübner seziert äußerst witzig Theaterstereotype“, sieht Laura Remmler sehr wohl die Besonderheiten und Macken all jener, die im Theaterkosmos tätig sind. „Eine Parodie auf die Theaterwelt.“ Und wie das so ist mit guten Komödien: Sie sind nah dran an der Realität. „Ich finde es gar nicht so stark überzogen“, erkennt Remmler sich und ihr Umfeld wieder. „Hübners Stück, das sind szenische Schnappschüsse, keine Entwicklungen, sondern Typen, in denen man sich begegnet.“

Da gibt es den klassischen Regisseur, der rumbrüllt, den, der analysiert, den, der alles streichen möchte, und das Tourneepferd, das ständig Kaffee trinkt. Maximal eineinhalb Stunden soll der Spaß dauern. Bei der Umsetzung lässt Autor Hübner der Regisseurin freie Hand.

Von Claudia Ihlefeld

Information

„Gretchen 89ff.“
Komödie von Lutz Hübner
Regie: Laura Remmler
Bühne: Line Sexauer
Kostüme: Stefanie Stuhldreier
Mit Bernadette Hug, Dirk Emmert
Premiere: 1. Juni, 19 Uhr.