Das waren noch Zeiten, als ein Bürgermeister noch Schultheiß hieß. Angestellte Reinigungskräfte, welche im Rathaus für Sauberkeit und Frische sorgten, gab es da wohl nicht. In Niedernhall jedenfalls musste stattdessen die Gemahlin des Schultheißen Hand anlegen und dem Amtssitz nach getaner Arbeit des Gatten und des Rates mit Schrubber und Wischwasser zu Leibe rücken. Wenngleich auch nicht einwandfrei historisch verbrieft, ist bis heute der Fauxpas der Niedernhaller Schultheißgemahlin im Kocherstädtchen so überliefert: Wohl aus Mitleid oder auch gedankenverloren hatte sie eines Abends beim Großreinemachen das Türchen des Käfigs, welcher auf dem Schreibtisch ihres Mannes stand, geöffnet. Darin befand sich ein Distelfink, das Haustier des damaligen Niedernhaller Schultheißen. Im Wonnemonat Mai sei das gewesen und der Stieglitz – wohl erfreut über die gewonnene Freiheit – flog flugs zum Fenster hinaus. Sofort ließ man daraufhin alle vier Stadttore schließen und die Feuerwehr musste anrücken, um den Vogel mit langen Stangen vom Dach des Amtssitzes zu holen. Der Distelfink allerdings erhob sich über die Dächer des Kocherstädtchens und ließ sich in den angrenzenden Weinbergen nieder.
Weinstadt
„In etwa so wird die Geschichte heute noch erzählt“, sagt Paul Lenk lachend. Der 82-Jährige, der sich selbst als „Niedernhaller Urgestein“ bezeichnet, war es auch, der den bunten Fink in der ehemaligen Niedernhaller Weingärtnergenossenschaft etablierte. Jahrzehntelang war er dort Geschäftsführer und brachte den schönen Vogel aufs Weinetikett. Der Niedernhaller Distelfink wurde damit weit über die Region hinaus bekannt. Und nicht nur auf den Weinflaschen prangte der Stieglitz. Prospekte, Briefbögen, Probiergläser, Steinkrüge und viele andere Weinutensilien schmückte der Vogel. Ende der 1960er Jahre wurde sogar ein überdimensionaler Distelfink angefertigt: „Aus einem Gestell aus Metall, Leinenstoff, Styropor und Gips“ weiß Paul Lenk. Dieser Distelfink diente lange Jahre als Weinbrunnen bei den Weinfesten in Niedernhall.
Werbeträger
Aber auch über den Wein hinaus verstehen sich die Niedernhaller als Distelfinken. So wird bei wichtigen Anlässen in der Gemeinde gerne das Distelfinkenlied angestimmt. „Das ist immer unser Schlusslied, da stehen wir auf und halten uns an den Händen“, erzählt Lenk.
Längst ist der Vogel auch Werbeträger der Stadt geworden. So etwa ziert seit 2016 eine Distelfinkstatue den Platz an der Stadtmauer. Und auch im Rathaus selbst ist der Distelfink vielfach präsent: als Wandbild oder auch als Melodie des „Distelfinkenlieds“ in der Telefonwarteschleife. Und seit März dieses Jahres ist der Stieglitz zudem unterwegs auf den Straßen Niedernhalls: Dabei trägt das städtische Seniorenmobil „E-Disti senior“ nicht nur den Namen des Distelfinken – auch ein Bild des bunten Vogels schmückt das Fahrzeug. Von Ute Böttinger
HNV-Fahrplantipps
In Niedernhall verkehren viele Regionalbuslinien, welche die Stadt mit den umliegenden Gemeinden im Hohenlohekreis verbinden. So existieren Verbindungen nach Forchtenberg, Weißbach, Ingelfingen, Künzelsau, Waldenburg und Öhringen. Auch in die benachbarten Landkreise nach Crailsheim und nach Osterburken sowie Adelsheim gelangt man per Bus. In Öhringen und Waldenburg bieten sich Möglichkeiten, auf den Regionalzug in Richtung Heilbronn oder Schwäbisch Hall und nach Crailsheim umzusteigen. In Öhringen gibt es die Möglichkeit zum Umstieg auf die Stadtbahn in Richtung Heilbronn und Karlsruhe. red