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"Es geht ums Lebensgefühl, nicht um die Kilos"

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Gesunde Ernährung ist Einstellungssache und hat viel damit zu tun, wie man sein möchte, erklärt die Ernährungsberaterin Adaeze Wolf. Wie man seine Essgewohnheiten ändern kann, darüber hat die Mosbacherin ein Buch geschrieben.

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Die Autorin und Ernährungsberaterin Adaeze Wolf. Foto: privat
Die Autorin und Ernährungsberaterin Adaeze Wolf. Foto: privat  Foto: privat/Thorbecke Verlag

Leicht ist es nicht, Gewohnheiten zu ändern. Noch dazu, wenn sie lecker schmecken. Warum es sich dennoch lohnt, erzählt die Mosbacher Ernährungsberaterin Adaeze Wolf im Interview. Sie sagt: Vor allem hat die Umstellung des eigenen Essverhaltens etwas damit zu tun, sich selbst ein wenig besser kennenzulernen.

Frau Wolf, Sie haben nigerianische Wurzeln und haben als Kind einige Jahre in dem Land gelebt. Das hat viel mit dem zu tun, was Sie heute tun, schreiben Sie in Ihrem Buch.

Adaeze Wolf: Als ich nach Nigeria kam, war ich sieben Jahre alt. Ich kannte also Dinge wie Pizza und Süßigkeiten aus Deutschland. Dann war all das von heute auf morgen nicht mehr da. Das war erst einmal eine ganz neue Erfahrung. Aber sie war auf keinen Fall negativ. Wir wurden halt kreativ. Wenn wir Lust auf Süßes hatten, gab es exotische Früchte im Garten, wir haben Datteln und Ananas gegessen oder Bananenkuchen gebacken. Wenn wir Lust auf Pommes hatten, haben wir Kartoffeln geschnitten und frittiert. Vieles war dort in den 80er Jahren wie hier bei uns zu Uromas Zeiten. Es gab eben keine Fertig-Produkte. Man hat saisonal eingekauft und gegessen, was verfügbar war. Und heute wollen wir da ja wieder ein bisschen hin. Nicht falsch verstehen: Ich will nicht das Rad der Zeit zurückdrehen. Aber wir sollten kritisch hinterfragen, was diese Art von Ernährung mit uns macht und die Balance wiederfinden.


Was läuft falsch in unserer Ernährung?

Wolf: Es gibt zu viele verarbeitete Lebensmittel. Convenience-Food. Und vielen ist nicht bewusst, was sie da essen. Zum Beispiel kennen wir oft den hohen versteckten Zuckeranteil nicht - in Tomatensauce zum Beispiel, in Ketchup oder Gemüsebrühe. Das einzige, das hilft ist: draufschauen. Man muss sich mit seinen Lebensmitteln auseinandersetzen. Und mit vielen Dingen kann man sich einfach selbst helfen, wenn man kreativ ist.


Also nie wieder Sahnetorte und Pommes?

Wolf: Verbote und Verzicht sind nicht mein Ansatz. Es geht nur darum, sich ein Bewusstsein zu schaffen. Ich sollte wissen, dass die Torte eigentlich nicht gut ist für mich, dass sie aber ab und zu in Ordnung geht, wenn ich grundsätzlich, sagen wir zu 80 Prozent, ausgewogen esse. Viele denken immer noch, gesunde Ernährung und Genuss gehen nicht zusammen. Das stimmt nicht. Es gibt leckere, auch süße Rezepte, die leicht im Alltag umzusetzen sind und aus denen man sich trotzdem sein Plus an Lebensenergie herausholen kann. Allein, weil man weiß, was drin ist.


Ihr Buch heißt "Natürlich gut - Entspannt essen, gesund und glücklich leben". Welche Idee verbirgt sich dahinter?

Wolf: Oft denkt man beim Thema "Gesund leben" nur an die Ernährung. Aber es geht um das große Ganze. Und so gehören zu einem bewussteren Leben erst einmal viele Fragen, die man sich stellen sollte: Wo stehe ich? Wie gehe ich mit mir um? Was habe ich für eine Einstellung zum Leben? Und dann eben auch Fragen zum Essverhalten. Warum esse ich und wann? Weiß ich noch, wie der Kaffee heute morgen geschmeckt hat oder was es zum Frühstück gab? Was verlangt mein Körper gerade - süß, salzig? Was tut mir gut? Wie geht es mir vor, während und nach dem Essen? Der Schlüssel zu einem achtsamen Essverhalten ist in jedem Fall: Zeit. Das gilt schon bei der Auswahl des Essens. So kann man am Ende auch lernen, mit Gelüsten umzugehen. Deswegen bedeutet "Natürlich gut" für mich ein Gefühl oder Konzept, das man verinnerlicht und das letztlich zu einem gesunden Leben führt. Und zu einem glücklichen auf allen Ebenen. Dazu gehört auch, sich Dinge nicht zu verbieten, milde und liebevoll mit sich umzugehen, auch wenn es mal nicht so funktioniert im Alltag. Es gibt einfach Tage, da isst man die Tafel Schokolade. Dafür sollte man sich nicht fertigmachen. Auch das gehört zum Leben dazu.


Die Sünden mal außen vor gelassen: Wie sollte ich einkaufen?

Wolf: Man sollte überlegen, aus welchen Quellen man seine Lebensmittel bezieht. Ich empfehle immer regional und saisonal zu essen, zu schauen, wo ich einkaufe, vielleicht beim Bauern vor Ort. Natürlich: Das geht nicht immer und nicht durchweg in allen Bereichen. Das ist aber auch nicht das Thema. Es geht ums grundsätzliche Bewusstsein für die Dinge, die man tut, kauft und isst.


Und doch sitzen unsere schlechten Gewohnheiten oft so tief. Man kommt nicht aus seinem Trott. Und wenn man sich gar nicht mehr leiden kann, verfällt man der fünf-Tage-fünf-Kilo-Diät. Um später dem Jojo-Effekt zu erliegen. Obwohl man es theoretisch so viel besser weiß. Woran liegt das? Sind wir zu träge? Zu bequem?

Wolf: Gewohnheiten zu durchbrechen, ist unheimlich schwer. Es ist unbequem. Anstrengend. Nicht umsonst heißt es, der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wir haben Dinge verinnerlicht, und die geben wir nicht gerne her. Ziele, die wir uns dann stecken, sind oft kurzfristig. Wie nehme ich schnell möglichst viel ab, um in den Bikini zu passen? Dabei sollte es um das Thema Abnehmen gar nicht gehen, sondern darum, wieder gesünder zu werden, fitter, aktiver. Es geht um das Lebensgefühl und die langfristige Gesundheit. Damit sind wir wieder bei den Fragen: Man sollte dahinkommen, für sich zu definieren, was man eigentlich möchte.


Und wie gelingt es mir, alte Muster zu durchbrechen?

Wolf: Ich habe zum Beispiel eine Morgenroutine. Die Art, wie man seinen Tag beginnt, hat großen Einfluss darauf, wie er verläuft. Deshalb habe ich vor vielen Jahren beschlossen, mir zu Beginn des Tages Zeit für mich zu nehmen, meine Gedanken zu sammeln und zu notieren. Ziele, Glücksmomente, wofür ich dankbar bin. Dann trinke ich ein Glas lauwarmes Wasser und ein bis zwei Gläser Ingwer- oder Zitronenwasser. Und anschließend gehe ich joggen oder mich einfach bewegen. Hinterher gibt es Frühstück.


Klingt gut, aber ist vermutlich so nicht für jedermann denkbar - und machbar ...

Wolf: Genau! Der größte Grund, warum Dinge nicht durchgehalten und nicht dauerhaft im Alltag verankert werden, ist, dass man sich von Äußerem berieseln lässt, Superdiäten zum Beispiel. Dingen, die überhaupt nicht zu einem passen. Mein Ritual ist ganz sicher nicht für jeden das Richtige. Das habe ich so zusammengestellt, wie es mir persönlich gut tut. Und ich kann nur jeden dazu ermutigen, sich selbst etwas in der Art zu schaffen. Ich merke jeden Tag, wie dieser Ablauf morgens meine Akkus auflädt und dass ich entspannter und gelassener bin. Und auch viel mehr geben kann. Dinge, die in solch einer Morgenroutine enthalten sein können, sind zum Beispiel Stille, Meditation, Lesen, Tagebuch schreiben, gedanklich den Tag planen und auch Sport und Bewegung.


Bewegung ist ein wichtiges Thema für Sie. Wie motivieren Sie die Menschen?

Wolf: Wir hatten ja gesagt: Es geht um das große Ganze. Dazu gehört schlicht, sich zu bewegen - um gesund zu bleiben. Das meint aber keinesfalls ein Riesensportprogramm. Wenn man sich ordentlich ernährt und ausgeglichen ist, also sich gut fühlt, spazieren geht, einfach viel draußen und dort aktiv ist, dann ist das gut.


Ein Thema, das über Ihrem ganzen Buch steht, ist Zucker. Sie verwenden keinen Haushaltszucker. Nun wissen wir, dass zuviel davon gänzlich schlecht ist, aber mit Alternativen tut man sich trotzdem oft schwer. Was empfehlen Sie?

Wolf: Am Ende ist Zucker natürlich Zucker. Das heißt, man muss selbst bei den Alternativen achtsam sein. Aber: Natürliche Varianten wie Honig, Ahornsirup, süße Früchte oder Trockenobst enthalten über die Kohlenhydrate hinaus wertvolle andere Dinge. Ballaststoffe, Mineralstoffe, Vitamine. All das hat raffinierter Zucker nicht, der ist komplett isoliert. Und ich finde: Man braucht ihn auch nicht. Es gibt so viele andere Möglichkeiten.


Nun greifen Sie bei Ihren Rezepten teilweise auf Produkte zurück, die nicht Teil jeder Grundausstattung sind. Viele sind vegan, sie verwenden Körner und Nüsse, Hirse, Buchweizen, Chia und Quinoa, Milchalternativen, aber auch Reissirup und Kokosöl. Der Gedanke, alles umstellen zu müssen, wenn man seine Ernährung ändern möchte, überfordert schnell. Wie geht man vor?

Wolf: Ich lege großen Wert darauf, dass die Produkte nicht zu exotisch und gut erhältlich sind. Ein gesunder Vorrat, den man sich zu Hause mit der Umstellung seiner Ernährung anlegt, darf aber wachsen. Vieles von dem, was vielleicht im ersten Moment ungewohnt ist, kann nach und nach ersetzt werden. Deshalb mein Rat: Langsam anfangen. Man kann sich erstmal zwei Frühstücksrezepte aussuchen und die konsequent umsetzen. Dann erweitert man. Alles auf einmal zu ändern, ist schwierig, weil man tatsächlich überfordert ist und frustriert aufgibt. Aber ein langsames Umschwenken kann auf lange Sicht wirklich zufriedener und glücklicher machen.


 Foto: Verlag Thorbecke

Infos zum Buch und zur Person 

Adaeze Wolf (44) ist ganzheitliche Ernährungsberaterin und zertifizierter Health & Life Coach. Seit 2015 betreibt sie den Blog Naturally Good. Dort beschäftigt sie sich mit Fragen rund um die Themen Ernährung, Wohlbefinden, natürliche Schönheit und Anti-Aging. Auch offline ist sie unterwegs, hält Vorträge, veranstaltet Koch- & Health-Food-Workshops und gibt Retreats in Deutschland und auf Mallorca zum Thema "Ganzheitlich gesund leben". Adaeze Wolf lebt mit zwei Kindern und ihrem Mann in Mosbach.

Ihr erstes Buch "Natürlich gut" - die deutsche Übersetzung des Blognamens Naturally Good - bietet 100 Rezepte rund um eine bewusste, ausgewogene und gesunde Ernährung mit ursprünglichen Produkten, darunter viel Gemüse, Obst, Nüsse, Gewürze und Milch-, Zucker- und Mehlalternativen. Ziel ist es, durch die positiven Eigenschaften der Produkte wie entzündungshemmende und antibakterielle Wirkungen, Ballaststoffe und Vitamine, zu mehr Wohlbefinden zu gelangen. "Natürlich gut" ist im Thorbecke Verlag erschienen (232 Seiten, 30 Euro).

 
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