TuSEM setzt auf Handball-Exoten
TuSEM Essen, Tabellen-Schlusslicht, startet bei seiner Bundesliga-Abschiedstournee mit fünf aktuellen Nationalspielern aus dem Handball-Entwicklungsland England in die Rückrunde.

Der einstige Europacup-Sieger musste zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren Insolvenz anmelden und steht daher als Absteiger fest.
Für die stärkste Liga der Welt sind die Akteure aus dem Mutterland des Fußballs eigentlich zu schwach, sollen aber bei den Olympischen Spielen 2012 in London die Ehre der Gastgeber retten. «Das war ein großes Erlebnis, vor 2500 Zuschauern zu spielen. Nervös waren wir nicht. Es lastet schließlich kein Druck auf uns», sagte Merlin Braithwaite nach der Feuertaufe bei der klaren 23:41- Niederlage gegen den TV Großwallstadt am vergangenen Wochenende. In der Partie hatten die Exoten ihr Pflichtspiel-Debüt gegeben. Braithwaite ist 21 Jahre alt, Sohn einer Deutschen und eines Engländers, in Münster aufgewachsen und spricht fließend Deutsch. Er übersetzt auch für seinen Nationalteamkollegen Sebastian Prieto. Der in Frankreich aufgewachsene Akteur schrieb mit dem ersten Tor eines Briten sogar schon Bundesliga-Geschichte. «Und es war sicher nicht das letzte», verspricht Prieto vor dem Heimspiel gegen HSV Hamburg.
Stephan Krebietke, beim TuSEM für Marketing und Kommunikation zuständig, ist überzeugt von seinem England-Projekt und freut sich über die ungewöhnliche Verstärkung des 15er-Kaders beim Tabellen- Letzten. «Jetzt haben wir wieder genug Leute, um die Saison anständig zu Ende zu spielen.» Das «Essener Modell» wurde aus der Not geboren. Nachdem zwei Sponsoren abgesprungen waren, musste der TuSEM seine Personalkosten laut Krebietke um 75 Prozent senken. Die Folge: Ein gestandener Akteur nach dem anderen verabschiedete sich. «Wir konnten unseren Leistungsträgern kein angemessenes Gehalt mehr bieten», sagte Krebietke. Neue Klasse-Spieler konnte man nicht nach Essen locken.
Eine andere Lösung musste her. Im Internet wurde Krebietke fündig. Dort stieß er auf die Geschichte über die Britische Handball-Association (BHA), die bis Olympia 2012 ein halbwegs konkurrenzfähiges Team im dänischen Aarhus formen wollte - mit finanzieller Unterstützung der britischen Regierung. Doch durch die Finanzkrise wurden die Mittel für das Sportinternat um zwei Drittel gekürzt. Damit sich die Spieler aber auf London vorbereiten können, sollten sie in starken europäischen Ligen Matchpraxis sammeln.
Die Essener machten den Deal perfekt, seit Februar trainieren Braithwaite, Prieto, Dan McMillan, Chris McDermott und Ciaran Williams beim TuSEM. Die fünf Freunde leben in einer Wohngemeinschaft, für ihren Lebensunterhalt sorgt die BHA. Ex- Nationalspieler Krebietke spricht von einer Lösung, von der sowohl der TuSEM als auch der britische Verband profitieren. Während die Spieler Erfahrungen auf hohem Niveau sammeln, spart der Club Geld.
Auch wenn die Briten nur Regional- oder Oberliga-Niveau besitzen. «Sie hauen sich rein, sind sehr fleißig», lobt Krebietke. Essens Trainer Kristof Szargiej sieht ebenfalls Potenzial: «Die Jungs sind fit und hungrig, marschieren und kämpfen.» Vor allem Dan McMillan scheut keinen Körperkontakt. Der Schotte kommt vom American Football und schaffte es mit den Lübeck Cougars bis in die zweite Liga. Seit eineinhalb Jahren spielt McMillan Handball. Kiels Weltstar Nikola Karabatic, versichert der 26-Jährige, «den kenne ich nicht.»