Hoffenheims Nachwuchschef: "Straßenfußballer sind abhanden gekommen"
Hoffenheims Nachwuchschef Marcus Mann spricht im Interview über die Probleme der Talente durch ein Jahr fast ohne U19-Spiele und verrät, warum die U23 für viele Spieler und Vereine wichtig ist.

Das Kommunikationsmittel passt zu Marcus Mann, dem Sportchef der Nachwuchsakademie der TSG Hoffenheim. Via Microsoft Teams nimmt sich der 37-Jährige fast eine Stunde Zeit, um über die Situation im Nachwuchsfußball zu sprechen. Marcus Mann ist nämlich seit vergangenem Sommer für gleich drei TSG-Teams verantwortlich. Die U17, U19 und U23. Nur die U23 spielt aktuell um Punkte in der Regionalliga Südwest.
Herr Mann, der Profifußball läuft, im Jugendfußball herrscht Stillstand. Was ist im Hoffenheimer Nachwuchsleistungszentrum momentan überhaupt erlaubt?
Marcus Mann: Wir sind mit geringen Einschränkungen im Trainingsbetrieb. Duschen hinterher ist nicht erlaubt, unsere Krafträume dürfen nur mit zwei Haushalten belegt sein. Es gibt keinen Fahrdienst für die Spieler.
In der U17 und U19-Bundesliga ruht der Spielbetrieb seit Monaten, die U19 hat innerhalb eines Jahres nur vier Pflichtspiele bestritten.
Mann: Wenn ich nur im Training bin, aber der Wettkampf fehlt, dann wird es irgendwann hart. Dann brauchst du eine brutale Eigenmotivation. Wir haben den großen Vorteil, dass in Baden-Württemberg aktuell Testspiele erlaubt sind, die Jungs wenigstens ab und zu samstags aufs Spielfeld können. Selbst die Nachbesprechungen finden anschließend per Videoschalte statt. Da ist es wesentlich schwieriger Emotionen rüberzubringen. Es fehlt das Miteinander.
Vergangenes Jahr gab es in der TSG-Akademie rund drei Monate gar keinen Trainingsbetrieb, nun fehlen die Pflichtspiele. Was macht das mit den Nachwuchstalenten?
Mann: Sie haben die Zeit sinnvoll genutzt, viel im athletischen Bereich gearbeitet. Auch mal am Freitag oder Samstag eine richtige Einheit im Kraftraum gemacht. Das lässt sich auch an den athletischen Werten ablesen. Fußball findet aber nun mal samstags auf dem Platz statt, der Wettkampfcharakter fehlt.
Wie ist das für die Spieler, die nicht wissen, wie es weitergeht? Gerade im Übergangsbereich in den Männer-Fußball.
Mann: Natürlich sehr belastend. Die Jungs beschäftigt das sehr: Wie geht es für mich weiter? An Weihnachten war mit den Spielern besprochen, dass wir die Spiele als Bewertungsgrundlage nehmen, wenn es wieder losgeht. Das fällt jetzt weg.
Zur Person
Marcus Mann ist Schwabe und Berufspendler. Der 37-jährige Sportchef der Hoffenheimer Nachwuchsabteilung lebt mit seiner Familie in Rutesheim. 2020 führte er den 1. FC Saarbrücken als Sportchef in die 3. Liga und ins Halbfinale im DFB-Pokal. Seit vergangenem Sommer ist er als Nachfolger von Dirk Mack in Hoffenheim. Als Spieler war er unter anderem für den Karlsruher SC, die Stuttgarter Kickers und die TSG Hoffenheim II aktiv, meist in der 3. Liga und Regionalliga. Marcus Mann ist der Schwager von KSC-Trainer Christian Eichner.
Nicht jeder schafft den Sprung aus der U19 in die U23-Regionalligamannschaft.
Mann: Es ist klar, dass nicht jeder bei uns bleiben kann. In der U23 haben wir schon etliche Spieler aus dem 2002er-Jahrgang, auch bei den Profis sind es schon vier.
Diese Spieler brauchen einen neuen Verein. Normalerweise wimmelt es bei U19-Bundesligaspielen um diese Jahreszeit nur so von Scouts und Vereinsvertretern.
Mann: Das ist ein Problem. Wir versuchen natürlich die Jungs zu unterstützen, indem wir ihnen Videomaterial zur Verfügung stellen, damit sie was zum Vorzeigen haben. Mit Empfehlungen und Mundpropaganda sind wir auch behilflich. Aber nicht nur die Spieler, sondern auch alle Vereine haben ein Problem: Bei potenziellen Neuzugängen geht es hauptsächlich über Videomaterial, das meist nicht aktuell ist. Unsere Neuzugänge im Sommer kommen sicherlich nicht aus Übersee.
Durch Corona müssen alle Bundesliga-Teams sparen. Bei den Hoffenheimer Profis soll der Gehaltsetat sinken. Wie wird sich die Pandemie auf den TSG-Nachwuchs auswirken?
Mann: Wir werden wirtschaftlich vernünftig handeln, das ist keine Frage. Auch wir in der Akademie passen uns der aktuellen Lage an. Nichtsdestotrotz ist die Jugendarbeit die Zukunft des Vereins und wir wissen, dass wir nicht am falschen Ende sparen dürfen.
Einschnitte drohen auch bei der Hoffenheimer U23. Die Mannschaft steht aktuell in der Regionalliga auf einem Abstiegsrang. Ist es Wettbewerbsverzerrung, wenn da wie zuletzt Profis wie Kevin Akpoguma oder Georginio Rutter aushelfen?
Mann: Den Punkt kann man uns nicht vorwerfen, wenn ich sehe, wer da in anderen Teams so alles mitspielt. Manche Spieler geben nach Verletzungen ihr Comeback bei uns. Georginio Rutter hat die ganze Saison noch nicht 90 Minuten durchgespielt. Er wäre - wie zum Beispiel auch Melayro Bogarde und Maxi Beier - ja sogar noch in der U19 einsatzberechtigt.
Andere Bundesligavereine haben ihre U23 abgemeldet.
Mann: Ich glaube, die bereuen das mittlerweile. Wir haben intern mal Zahlen erhoben. 86 Prozent aller Spieler, die Profi werden, schafften diesen Sprung über die U23. Nehmen wir zum Beispiel mal Stefan Posch, der mittlerweile österreichischer Nationalspieler ist. Im ersten Jahr saß der hier in der U23 nur auf der Bank, im zweiten Jahr hat er dann gespielt. Für solche Spieler ist die U23 wichtig. Der hätte den Sprung direkt aus der U19 in die Bundesliga der Profis nicht geschafft, manche brauchen eben einen Zwischenschritt.
Woran fehlt es dem deutschen Nachwuchs aktuell? Bei der nun anstehenden U21-EM mangelt es vielen deutschen Spielern an Erstligaerfahrung.
Mann: Es gibt solche Phasen eben, England und Frankreich haben gefühlt drei Mal so viele Talente wie wir. Vor allem in den Bereichen unterhalb der U16 gibt es Handlungsbedarf, den auch der DFB erkannt hat. Wenn man nur mal schaut, wie viele Spieler aus den Pariser Vororten kommen, für die der Fußball ein Sprungbrett ist. Uns sind zudem die Straßenfußballer abhanden gekommen. Ich glaube, wir müssen schauen, dass wir in Deutschland als Gesellschaft nicht zu bequem werden, da gehört sicherlich auch der Fußball dazu.
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