Hockey-Bundestrainer Valentin Altenburg: "Wir scheitern daran, junge Menschen zu führen"
Hockey-Bundestrainer Valentin Altenburg über die Situation des Sports in Deutschland, woran mangelnde Anerkennung liegt und was ihn bei der Sport-Förderung stört.

Bereits zum siebten Mal hat Valentin Altenburg in der vergangenen Woche sein Wissen als Frauen-Hockey-Bundestrainer beim Camp des Hockeyclubs Heilbronn an 70 Kids weitergegeben. Nach einem langen Trainingstag hat sich der 42-Jährige Zeit genommen, um über den Tellerrand des Hockeys hinaus auf den Sport in Deutschland zu schauen.
Herr Altenburg, keine Medaille bei der Leichtathletik-WM, schwache Schwimmer und Fußballer: Ist Deutschland 2023 noch eine Sportnation?
Valentin Altenburg: Wir sind eine Sportnation. Wir sind auch eine leistungsorientierte Sportnation. Aber es stimmt: In vielen Sportarten ist es mittlerweile so, dass viele verschiedene Nationen Medaillen gewinnen können, ohne dass es gleich eine Sensation wäre. Der Wettbewerb ist größer geworden. Auch im Hockey. Wir sollten uns über jede gewonnene Medaille bei internationalen Turnieren - wie gerade durch die Basketballer bei der WM - richtig freuen können.
Was könnte für mehr Erfolge sorgen?
Altenburg: Mehr Diversität wagen - auch und gerade in den Führungsebenen im deutschen Sport -, das wäre hilfreich. Hier bewegt sich seit einigen Jahren vieles, und gleichzeitig sind wir weißen alten Männer noch zu oft unter uns. Wir hatten im Deutschen Hockey-Bund bisher auch im weiblichen U16-, U18- und U21-Bereich reine Männer-Trainerteams, das ändern wir nun endlich zu gemischten Trainerteams. Das finde ich total wichtig. Es kommt spät und wird uns stärker machen. Wir brauchen dieses Mehr an Diversität für unterschiedliche Perspektiven und Einflüsse - auch für die Entwicklung der jungen Athleten als Persönlichkeit.
Ist der Hockeysport zu männerfokussiert?
Altenburg: Fragt ein männlicher Journalist einen männlichen Bundestrainer … Aus meiner Sicht hat Hockey vor mehr als zehn Jahren angefangen, die Kurve zu bekommen. Wie im Übrigen auch andere Sportarten. Auch die finanzielle Förderung für die Maßnahmen der Nationalmannschaften wird gleichberechtigt verteilt. Auf der anderen Seite dürfen wir auch nicht vergessen, dass es noch gar nicht so lange her ist, da galt Damenhockey hinter vorgehaltener Hand als eine Augenkrankheit mit elf Buchstaben. Inzwischen hat sich das Ansehen und Selbstbewusstsein entscheidend verändert. Und im Ergebnis spielen genauso viele Spielerinnen wie Spieler Hockey.
Schauen wir mal über den Hockeysport hinaus: Liegen die vielen Misserfolge an den Sportlern, den Trainern oder den Umständen?
Altenburg: Im Sport steht und fällt sicherlich Entscheidendes mit der Qualität und der Fähigkeit unserer ´Trainer. Wenn wir in Deutschland wieder mehr Medaillen gewinnen wollen, dann brauchen wir noch mehr starke and auch besser bezahlte Trainer. Bald werden die deutschen Trainer, die mit Athleten im Ausland arbeiten, mehr Medaillen gewinnen, als es unsere Athleten tun. Unsere Medaillenprognosen gehen ja auch deshalb nach unten, weil die Medaillen oft von deutschen Trainern für andere Länder gewonnen werden.
Diskus-Olympiasieger Lars Riedel hat neulich erst gesagt, dass er mit dem Gehalt eines Leichtathletiktrainers seine Familie nicht ernähren könne.
Altenburg: Wenn das stimmt, braucht es keinen weiteren Kommentar. Ich hätte unter rein finanziellen Gesichtspunkten auch schon nach Indien oder China gehen müssen. Um unsere Top-Trainer im Land zu halten, ist es zielführend, sie nicht nur finanziell, sondern auch anders wertzuschätzen und viel mehr in die Verantwortung zu nehmen. Die Bundestrainer könnten auch gemeinsam noch häufiger die Gesichter sein, die für die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Sports sprechen, kämpfen und zu Rate gezogen werden.
Es gibt demnach keine gemeinsame Stimme, ähnlich wie in Sachen deutsche Olympia-Bewerbung.
Altenburg: Alle klagen immer, dass es doch nicht sein kann, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands keine Olympischen Spiele hierzulande ausrichten möchte. Und gleichzeitig gibt es leider sehr gute Gründe, warum Menschen sagen: Ich will kein großes Sport-Event in meiner Stadt. In unserer Gesellschaft gibt es viele Menschen, die ein schlechtes Bild vom Leistungssport haben, auch und besonders, weil es Dinge wie Korruption, Doping und Vetternwirtschaft gibt. Wir als organisierter Sport sollten bei uns mit der Frage anfangen: Was tragen wir aktiv dazu bei, diesem schlechten Bild ein realistisches positives Bild gegenüberzustellen?
Sie haben da offenbar Ideen ...
Altenburg: Zumindest einen Wunsch. Ich wünsche mir, dass wir uns bei der Sport-Förderung in Deutschland fragen: Wofür wollen wir stehen? Was sind das für Sportarten, die in Deutschland eine Vorbildfunktion erfüllen können? Die deshalb auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt werden.
Dafür müssen aber Kriterien her.
Altenburg: Ein wichtiges Förder-Kriterium sollte Nachhaltigkeit sein. Nachhaltig in der Bildung. Stichwort: Duale Karriere. Nachhaltig im Bezug auf die mentale und physische Gesundheit. Und ebenfalls Nachhaltigkeit im klimatischen Sinne. Dass man die ganze Zeit im Flieger sitzt und um die Welt tourt, ist nicht zielführend.
Da gehört Hockey mit Turnieren rund um den Globus aber auch dazu.
Altenburg: Absolut. Ich nehme uns da als Sportart gar nicht aus. Und ich bin überzeugt, dass eine strategische Neu-Ausrichtung in den deutschen olympischen Sportarten in Richtung nachhaltigem und menschlichem Hochleistungssport zu einer großen Unterstützung in großen Teilen der Gesellschaft führen wird. Und die brauchen wir, damit Leistungssport in Deutschland wieder attraktiv wird. Steigende Medaillenprognosen sind dann das, was darauf folgt.
Wie sieht denn Nachhaltigkeit mit Blick auf den einzelnen Sportler aus?
Altenburg: Wir müssen aufhören, in Deutschland Sportarten mit viel Geld zu fördern, in denen die Athleten nicht als Menschen behandelt werden. Ein Leistungssport, der auf Teufel komm raus versucht, Erfolg aus Menschen herauszudrücken, sollte finanziell nicht weiter mit Steuergeldern unterstützt werden. Leider ist genau das in ganz vielen Sportarten in Deutschland nachweislich der Fall. Das liegt nicht an Einzelpersonen, sondern am System.
Welche konkreten Ansätze für Veränderungen gäbe es denn?
Altenburg: Für eine Förderung von Athleten braucht es einen Nachhaltigkeitsnachweis, dass diese sich um ihre berufliche Karriere für die Zeit danach kümmern können. Es sollte zudem einen Deutschen Olympischen Sportbund geben, der sich auf die Fahnen schreibt, einen humanistischen und nachhaltigen Leistungssport zu propagieren.
Wäre das nicht international gesehen ein Wettbewerbsnachteil?
Altenburg: Ich glaube an das Gegenteil. Wir können einen anderen Weg finden, unsere Athleten besser und wettbewerbsfähiger zu machen. Dann wäre die gesellschaftliche Akzeptanz für den Sport viel höher und damit auch die Akzeptanz für eine Olympia-Bewerbung und andere Sport-Großveranstaltungen in Deutschland.
Ein derzeit gerne auch medial geäußerter Vorwurf geht an die junge Sportler-Generation: Die ist zu faul, zu satt, zu träge und will sich nicht quälen, heißt es.
Altenburg: Wenn man in der Geschichte der Menschheit zurückblickt, dann sagen die Alten das seit 3000 Jahren über die nächste Generation. Ganz losgelöst vom Sport. Wo wären wir, wenn wir Menschen wirklich von Generation zu Generation immer fauler und satter geworden wären? Wir scheitern nicht an der Leistungsbereitschaft unserer jungen Athleten in Deutschland. Wir scheitern daran, sie erfolgreich zu führen. Es fehlt nicht an der Leistungsbereitschaft, die ist da. Unsere Führungsqualität, unsere Führungskultur im deutschen Sport hinkt einfach hinterher. Wir brauchen eine führende Institution im deutschen Spitzensport, welche sich wirklich darum kümmert, dass Spitzensport in Deutschland wieder einen gesellschaftlichen Auftrag erhält und an Vorbildfunktion gewinnt.
Zur Person
Seit bald zehn Jahren ist Valentin Altenburg Nationaltrainer beim Deutschen Hockey-Bund. 2016 führte der 42-Jährige die deutschen Männer in Rio de Janeiro zu Olympia-Bronze. Er verantwortete unter anderem lange den Nachwuchsbereich. Seit dem 1. Januar 2022 ist er Chef der "Danas", der Damen-Nationalmannschaft. Nach Heilbronn pflegt er seit Jahren enge Kontakte. Altenburg ist mit der ehemaligen Nationalspielerin Lisa Altenburg (geborene Hahn) verheiratet; die beiden leben mit ihren zwei Kindern in Hamburg.