Eike Immel erinnert sich an seine Zeit als Trainer des VfR Heilbronn
Der ehemalige Nationaltorwart Eike Immel erklärt, warum sein Abgang aus Heilbronn vor fast 20 Jahren ein Fehler war und warum er seine Memoiren geschrieben hat. Von seinem Ex-Club VfB Stuttgart zeigt sich der 59-Jährige enttäuscht.

Das Landleben in Stadtallendorf bei Marburg hat seine Tücken. Eike Immel lebt im Funkloch, er hat in seiner kleinen Wohnung nur sehr schlechten Handyempfang. Fürs Telefon-Interview begibt sich der 59-Jährige ins Freie. Von dort blickt der ehemalige Fußball-Nationalspieler in die Vergangenheit und Gegenwart.
Herr Immel, vervollständigen Sie doch mal folgenden Satz: Denke ich an den VfR Heilbronn, ...
Eike Immel: ... dann denke ich an tolle Momente. 95 Prozent der Zeit waren sehr schön. Ich denke oft an damals.
Sie übernahmen den Club im Sommer 1998 nach dem Abstieg aus der Oberliga als Ex-Nationalspieler mit reichlich Profierfahrung.
Immel: Ich habe bei dem Angebot damals als Trainer-Neuling keine Sekunde gezögert. Der VfR war 1998 ein schlafender Riese, ein Traditionsverein in einer Stadt voller Fußball-Begeisterung. Beim ersten Verbandsligaspiel gegen die Stuttgarter Kickers II waren fast 2000 Leute da. Peter Wagner verwandelte in der 92. Minute einen Elfmeter zum 1:0. Wann immer ich in den vergangenen Jahren nach Stuttgart musste, ich bin immer von der Autobahn runter und durch Heilbronn gefahren. Ich habe auch mitbekommen, dass es den VfR jetzt wieder gibt. Irgendwann will ich mal vorbeikommen.

Sie haben den VfR 1999 in die Oberliga zurückgeführt. So hochklassig hat kein Heilbronner Fußball-Verein seither mehr gespielt.
Immel: Ich erinnere mich noch ganz genau an das entscheidende Relegationsspiel beim SV Linx. Als ich zur Abfahrt in Heilbronn in den Bus steigen wollte, war der schon gefüllt mit Edelfans. Was hatte ich deshalb für eine schlechte Laune. Ich schrie: "Mit dem Bus fahren wir nicht!" Ich ließ alle Spieler aussteigen. VfR-Präsident Horst Eisele und Abteilungsleiter Peter Markgraf redeten mir dann gut zu. Am Ende saß die Mannschaft hinten, die Fans vorne. Aber als die dann auch noch anfingen, Lieder zu singen und Bier zu saufen, da ist mir die Sicherung durchgebrannt. Würde mir heute auch nicht mehr passieren (lacht). Die Rückfahrt nach dem dramatischen Aufstieg (3:4-Niederlage nach Verlängerung, die nach dem 2:0-Hinspielsieg zum Aufstieg reichte, Anmerkung der Redaktion) war wesentlich angenehmer.
Der Verein wollte dann schnell mit aller Macht in die Regionalliga.
Immel: Wir waren damals auf Augenhöhe mit Vereinen wie Sandhausen und Heidenheim. Wir haben in Hoffenheim gewonnen. Wenn man sieht, wo diese Vereine jetzt alle sind ? Die Regionalliga wäre damals allerdings auch eine Nummer zu groß gewesen für den VfR. Wir hatten einen Etat von 600 000 Mark, hätten für die dritthöchste Spielklasse aber 1,5 Millionen gebraucht. Wir haben damals den Fehler gemacht, eine unheimlich teure Mannschaft zusammenzustellen. Da haben Spieler zum Teil 6000 Mark im Monat verdient. Netto. Das war der Wahnsinn. Das hätten wir nicht machen sollen.
Sie wollten unbedingt vorankommen.
Immel: Ich bin an der Ungeduld damals nicht unschuldig gewesen, ganz klar. Wir hätten halt alle ein, zwei Jahre länger warten sollen, bis der Erfolg sich auch mit weniger Mitteln einstellt. Aber dass man in Heilbronn wenig Geduld hat, das habe ich schon ganz früh gelernt.
Inwiefern?
Immel: Ich erinnere mich an zwei, drei Verbandsliga-Niederlagen am Stück. Ich war in der Kabine. Durchs gekippte Fenster hörte ich, wie einige VfR-Fans draußen diskutierten, dass man ja bald einen neuen Trainer brauche. Da habe ich gedacht: Mensch, ihr habt ja auch keine Ahnung, wie der Fußball funktioniert. In Heilbronn gab es immer mehr Kritiker als Jubler. Das liegt wohl ein bisschen an der Mentalität.
Im März 2001 sind Sie kurzfristig als Torwarttrainer unter Christoph Daum nach Istanbul gewechselt.
Immel: Ich glaube, damals waren viele im Verein froh, dass ich das Angebot angenommen habe. Wer unbedingt den Erfolg will, der macht sich eben nicht nur Freunde. Ich erinnere mich an zähe Diskussionen mit der Jugend-Abteilung. Im Nachhinein war mein Abgang falsch.
Warum war der Schritt in den Profibereich denn ein Fehler?
Immel: Von heute aus betrachtet war Istanbul ein Rückschritt. Ich bin da auf die Schiene des Torwarttrainers geraten, von der kommst du nicht mehr runter. Welcher Torwart ist denn ein erfolgreicher Cheftrainer geworden? Ich glaube, ich hätte eine Karriere als Cheftrainer hinlegen können, wenn ich geblieben wäre.
Sie haben so viele Szenen und Details noch parat. Haben Sie eigentlich noch Souvenirs aus der Heilbronner Zeit?
Immel: Ich bin mit einem Koffer nach Istanbul, in der Heimat ging meine Beziehung in die Brüche. Und damit auch das Haus und alle Erinnerungsstücke. Damals war es mir nicht wichtig. Was weg ist, ist weg, meine Devise. So war das ja auch mit dem Geld. Ich dachte, da kommt immer Neues nach.
Es gibt ja schon gewisse Parallelen: In Heilbronn ging es mit dem VfR bergab, für Sie persönlich in den Jahren danach auch.
Immel: Mit den Hüft-Problemen kamen auch die finanziellen Probleme. Da sind beispielsweise Fristen beim Finanzamt verstrichen, einfach, weil ich von Istanbul aus keinen Nachsendeauftrag zu einem Anwaltsbüro gestellt hatte. Das war - gelinde ausgedrückt - sehr unclever. Das hat mich viele Schmerzen und schlaflose Nächte gekostet. Die heutige Profi-Generation ist in finanziellen Dingen besser beraten. Unsere Berater waren damals Versicherungsvertreter. Manchmal auch Kleinbetrüger, Leute aus der Unterwelt, die versuchten, dir das Geld aus der Tasche zu ziehen. Heute sind Berater Top-Profis, die das gar nicht nötig haben, weil so viel Geld im Profigeschäft steckt.
Sie haben sich bis 2016 jahrelang vor einer notwendigen Hüft-Operation gedrückt.
Immel: In der Türkei schluckte ich irgendwann acht Voltaren am Tag. Ich hätte die Hüfte schon direkt nach dem Karriereende machen lassen sollen - wie Oliver Kahn. Wenn du 24 Stunden am Tag Schmerzen hast, da wirst du verrückt. Ich habe mich vor lauter Schmerzen irgendwann verkrochen. So ging ein Tag nach dem anderen rum. Ohne dass was passiert ist. Das waren verlorene Jahre, leider.
Es folgten ein Offenbarungseid, das RTL-Dschungelcamp, Geldsorgen und ein Drogenprozess mit Freispruch: Wie geht es Ihnen heute?
Immel: Mir geht es gut, ich bin gesund. Ich habe alles, was ich brauche, und kann zwei Mal am Tag warm essen. Vor drei Jahren stand in der "Bild-Zeitung", ich sei obdachlos, was natürlich nicht stimmte. Aber das hat die Leute aus meiner Heimat Stadtallendorf inspiriert, mir Hilfe anzubieten. Erst war es für mich unvorstellbar, hierher zurückzukehren. Ich war 40 Jahre lang weg, mein Vater war gestorben, meine Mutter lebte woanders. Man hat mir hier aber von Herzen geholfen, wieder zur Normalität zu finden.
Wie beim neugegründeten VfR Heilbronn geht es also auch bei Ihnen bergauf. Wie sieht ihr Alltag aus?
Immel: Im Moment dominiert die Langeweile. Ich bin ja eigentlich Torwarttrainer bei meinem Heimatverein Eintracht Stadtallendorf in der Hessenliga, außerdem Trainer bei der zweiten Mannschaft. Dazu trainiere ich die Kinder hier kostenlos. Sonst bin ich vier, fünf Stunden am Tag im Stadion, ab und an stehen Fanclub-Termine für den BVB an. Durch Corona habe ich jetzt wenigstens meine Biographie fertig geschrieben. Als ehemaliger Profi muss nicht jeder ein Buch schreiben, aber ich habe ja wirklich turbulente Zeiten mitgemacht.
Hat das Schreiben Ihrer Memoiren denn bei der Vergangenheitsbewältigung geholfen?
Immel: Ob das einen therapeutischen Zweck hatte, das weiß ich nicht. Aber einfach mal alles von Hand aus dem Gedächtnis niederschreiben, das hat mir geholfen. Ein großes Kapitel widmet sich übrigens dem VfR Heilbronn.

Ein anderes Thema ist bestimmt auch der VfB Stuttgart: Wie eng ist noch der Kontakt zu Ihrem Ex-Club?
Immel: 2017 gab es die 25-Jahr-Feier zum Meistertitel 1992. Da ließ sich feststellen, dass der VfB Stuttgart an keinem seiner Meisterspieler ein ernsthaftes Interesse hat. Ich habe in den vergangenen Jahren einmal angerufen, ob ich zwei Eintrittskarten kriegen könnte. Widerwillig kamen die dann per Post, inklusive Rechnung. Das ist in Ordnung, aber halt nicht üblich so. Das hat ehrlicherweise schon getroffen. Wenn du 287 Spiele als VfB-Profi gemacht hast, erwartest du mehr Wertschätzung.
Zur Person
Eike Immel wird am 27. November 60 Jahre alt. Bereits mit 17 debütierte er für Borussia Dortmund als Bundesliga-Torhüter. Für den BVB bestritt er 247 Partien und wurde zum Nationalspieler, der insgesamt bei zwei Welt- und bei zwei Europameisterschaften zum DFB-Kader gehörte. Von 1986 an stand er neun Jahre lang im Tor des VfB Stuttgart, mit dem er 1989 im Uefa-Cup-Finale gegen den SSC Neapel spielte. 1992 folgte der deutsche Meistertitel. Als Immel 1995 seinen Status als VfB-Stammtorwart verlor, wechselte er für zwei Spielzeiten zu Manchester City in die Premier League. Nach dem Karriereende war er von Sommer 1998 bis März 2001 Trainer beim VfR Heilbronn. Es folgten bis 2005 Stationen als Torwarttrainer bei Besiktas Istanbul, Austria Wien und Fenerbahce Istanbul. Danach warfen ihn gesundheitliche und Finanz-Probleme aus der Bahn. Immel hat zwei erwachsene Kinder.