Wie konnte VW diesen Skandal-Werbespot veröffentlichen?
Nach dem Shitstorm auf ein rassistisches Werbevideo zieht VW Konsequenzen und lässt sich dabei von Kai-Markus Müller beraten. Hier erklärt der Experte für Werbewirkung, wie dem Autokonzern dieser Fehler passieren konnte.

Nach einem Werbevideo, in dem eine überdimensionierte Hand einen schwarzen Mann wegschubst, wird VW von einer Rassismus-Debatte überzogen. Professor Kai-Markus Müller hatte kurz vor dem Interview-Termin ein Gespräch mit VW. Thema: Wie lassen sich solche Gefahren vorab erkennen und vermeiden?
Ist die Kritik überzogen oder hat VW einen Fehler gemacht?
Professor Kai-Markus Müller: Der Fehler liegt bei VW. Der Spot gehört zu einer Werbekampagne mit mehreren Folgen, in der ein farbiger Schauspieler immer wieder auftaucht. Die Schwierigkeit liegt darin, dass heutzutage sehr viele Werbefilme produziert werden.
Wieso ist das rassistische Video keinem aufgefallen?
Müller: Das ist ein sozialpsychologisches Phänomen. Wir nennen das Gruppendenken. Wenn Menschen, die ihrer eigenen Karriere nicht schaden wollen, in einem Raum sitzen, werden deutlich riskantere Entscheidungen getroffen.
Warum?
Müller: Mitarbeiter haben Angst um die eigenen Karriere. Das ist bei Unternehmen mit einer starken Hierarchie in der Gruppe besonders ausgeprägt. Es kommt eher vor, dass Mitarbeiter sich nicht trauen. Aus der Gruppenpsychologie heraus verstehe ich, wieso keiner den Mund aufgemacht hat.
Wie gehen Kunden damit um?
Müller: Der Vorteil ist, das Gehirn vergisst wieder. Andere machen auch Fehler. Denken Sie an Elon Musk von Tesla oder an Mercedes. Es sollte nur nicht noch mal passieren. Wer rassistisch fragwürdige Werbung veröffentlicht, riskiert, dass dauerhaft etwas hängenbleibt. Benetton haftet die Werbung mit Kriegsbildern aus den 1980ern heute noch an.
Ist lustig gemeinte Werbung unseriös?
Müller: Lustig gemeinte Werbung ist riskant, weil man oft mit Szenen spielen muss, die Schadenfreude mit einbeziehen. Als Autokonzern sind das keine Elemente, mit denen sich der Kunde identifizieren will. Es geht ja nicht um den Verkauf von Kinder-Spritzpistolen.
Erstaunlich, dass es bei VW keiner gemerkt hat.
Müller: Spätestens dem, der auf den Knopf drückt und die Werbung auf Instagram einstellt, hätte auffallen müssen, dass da etwas nicht stimmt. Die Kampagne wurde vermutlich lange vor der aktuellen Rassismus-Debatte abgesegnet.
Wie reagiert VW?
Müller: VW hat verstanden, dass man etwas am Prozess verändern muss. Entscheidungen aus einer Gruppe heraus sind immer fehlerbehaftet. Eine Möglichkeit wäre, die Werbung vorab an einem ausgewählten Personenkreis zu testen. Wenn nur von einem das Wort Rassismus fällt, sollte man sich die Werbung noch mal genauer anschauen.
Steckt Absicht dahinter?
Müller: Ich denke, das geht zu weit. Das war unbeabsichtigt. Es geht ja nicht um ein Hipster-Start-Up-Unternehmen, das um jeden Preis in der Presse erscheinen möchte. Das ist nicht das Geschäftsmodell von VW. Man hat dort eher ein buntes Image. Da passt ein solcher Werbespot nicht hinein. Sollte das allerdings das Interesse gewesen sein, hätten sie den Shitstorm verdient.
Was ist die Konsequenz?
Müller: VW wird darauf achten, dass so etwas nicht noch einmal passiert. Bei Großkonzernen droht allerdings die Gefahr, dass Arbeitsabläufe dadurch noch komplizierter gemacht werden. Sie sollten Arbeitsabläufe einfacher gestalten. VW wird zukünftig ein Auge darauf haben.
Wird es VW schaden?
Müller: Nach meiner Prognose schadet das VW nicht substantiell. Jeder macht mal Fehler. Der Kunde wird das VW nur eine kurze Zeit nachtragen. Wenn man beim Thema Rassismus aber nicht schnell reagiert, kann sich das im kollektiven Bewusstsein festsetzen.
Was kann VW tun?
Müller: Man weiß aus der Hirnforschung, dass diejenigen Areale, die für Vertrauen, Werte oder Erwartungen zuständig sind, immer wieder aktiviert werden müssen. Ein Unternehmen muss versuchen, mit solchen Werten bei Pressekonferenzen oder durch eigene Werbung gegenzusteuern.