Stimme+
Talheim
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

"Wer reist, ist sehr stark"

   | 
Lesezeit  5 Min
Erfolgreich kopiert!

Sascha Grabow ist seit Jahrzehnten rund um den Globus unterwegs. Mehrmals landete der 50-Jährige aus Talheim dabei im Gefängnis.

Von Jürgen Kümmerle
Auf einer Landkarte markiert Sascha Grabow alle 1161 Länder und Regionen, die er bislang bereist hat. Foto: Andreas Veigel
Auf einer Landkarte markiert Sascha Grabow alle 1161 Länder und Regionen, die er bislang bereist hat. Foto: Andreas Veigel

 

Das Leben von Sascha Grabow ist ein Füllhorn an Erlebnissen. Wenn er erzählt, sprudeln die Geschichten nur so aus ihm heraus. Der 50-Jährige aus Talheim ist oft mehr als ein Jahr lang unterwegs. Das bürgerliche Leben ist nichts für ihn. Grabow ist der Meinung: Wer sein Leben mit Arbeiten verbringt, ist irgendwann verbraucht.

 

Wie schädlich ist die Reiserei für Ihre persönliche Öko-Bilanz?

Sascha Grabow: Ich behaupte mal, es gibt keinen, der als Reisender weniger fliegt als ich. Ich reise gerne über Land, starte an der Westküste eines Kontinents und bin irgendwann an der Ostküste. So fühle ich die allmähliche Wandlung der Kulturen und Traditionen. Wenn man fliegt, hat man davon keine Ahnung.

 

Wie viel Geld benötigen Sie im Monat?

Grabow: Ich habe ein Jahresbudget von 2500 bis 3000 Euro, das sind gut 200 Euro im Monat.

 

Wie bitte? Wie funktioniert das?

Grabow: Wenn ich unterwegs bin, bewege ich mich meist zu Fuß oder per Anhalter fort. Um mein Budget aufzubessern, verkaufe ich Fotos, Bücher oder gebe Tennisstunden.

 

Ist es anstrengend, jeden Euro zwei Mal umzudrehen?

Grabow: Wer über seine eigene Zeit verfügen will, muss lernen, mit wenig Geld auszukommen.

 

Wie gefährlich ist Trampen im Ausland?

Grabow: Wenn ich nach langen Märschen in ein Auto steige, schlafe ich oft ziemlich bald ein.

 

Na, Sie haben Vertrauen in die Menschen.

Grabow: Ich bin mal morgens um 2 Uhr in den USA in ein Auto gestiegen. Irgendwann sagte der Fahrer, er sei ein Mörder, und ich fragte mich, okay, wie geht das hier jetzt weiter? Er erzählte, dass er aus Mexiko komme und genötigt werde, sich in Los Angeles einer Gang anzuschließen. Ich kam mir vor, als läge er bei mir auf der Couch wie bei einem Psychologen. Er lud alles bei mir ab. Bevor ich ausstieg, drückte er mir 100 Dollar in die Hand und sagte, nimm Dir mal ein ordentliches Zimmer.

 

Wann haben Sie mit Trampen angefangen?

Grabow: Ich bin zum ersten Mal mit elf Jahren von Auenstein nach Abstatt getrampt.

 

Nach welchen Kriterien suchen Sie sich Ihre Reiseziele aus?

Grabow: Mich interessiert es, dorthin zu gehen, wo ich noch nie gewesen bin. Wenn ich irgendwo zum ersten Mal bin, werden alle fünf Sinne angesprochen. Wer jeden Tag denselben Weg zum Bäcker nimmt, sieht den Baum am Straßenrand nicht mehr. Wenn man zum ersten Mal in eine Straße läuft, nimmt man seine Umgebung anders wahr.

 

Wie organisieren Sie sich, wenn Sie so ins Blaue hinein reisen?

Grabow: Wenn ich beispielsweise im Pazifik-Raum unterwegs bin, muss ich Geduld mitbringen, weil ein Boot einfach nicht mehr wie geplant fährt. Auf Funafuti im Inselstaat Tuvalu im Pazifik habe ich zwei Monate gewartet.

 

Sie reisen die meiste Zeit alleine. Fehlt Ihnen manchmal Gesellschaft?

Grabow: Es wäre manchmal toll, die schönen Momente beim Reisen mit einem anderen Menschen zu teilen. Dafür ist das Alleinreisen eine intensivere Erfahrung.

 

Wie viele Freunde haben Sie?

Grabow: Man kann nie viele echte Freunde haben. Das ist unmöglich. Ich würde sagen, es sind keine fünf.

 

Womit ist Ihr Rucksack bestückt?

Grabow: Ich mache ihn selten auf. Eine gute Hose, ein Moskitonetz und Bücher sind drin. Die haben am meisten Gewicht. Beim Packen habe ich keine Disziplin. Wer aus dem Rucksack lebt, hat die 100-prozentige Kontrolle über sein Leben.

 

Macht Ihnen Ihr Leben manchmal Angst?

Grabow: Wer reist, sich bewegt, an der frischen Luft ist, Menschen begegnet, ist sehr stark. Je komplexer das Leben wird, desto kleiner fühlt man sich.

 

Es hat Sie schon ins Gefängnis gebracht.

Grabow: Ja, sechs oder sieben Mal. Im Kongo, in Liberia, der Zentralafrikanischen Republik, Guinea, auf Bougainville, einer Insel im Pazifik. Und auf den Salomonen. Dort steckte ich in einem Tigerkäfig und war bis auf die Unterhose nackt. Irgendwann kam mir der Gedanke, dass mir Lebenszeit durch die Finger rinnt. Der dortige Polizeichef hatte sich in den Kopf gesetzt, er habe einen dicken Fisch am Haken.

 

Was tun Sie in so einer Situation?

Grabow: Ich habe es nach Wochen geschafft, mit der deutschen Botschaft zu telefonieren. Die hatten von Tuten und Blasen keine Ahnung. Botschaften haben mir übrigens noch nie geholfen. Wenn man in bestimmten Ländern die deutsche Botschaft ins Spiel bringt, heißt das für die Verantwortlichen vor Ort, dass sie den Apfel essen und gleichzeitig verkaufen können. Sie wissen, dass sie im Zweifel immer mehr fordern können. Botschaften sichern deren Vorgehen finanziell ab.

 

Und wie ist es in Afrika?

Grabow: In Liberia wurde ich vom Warlord Charles Taylor durch dessen Spionage-Maschinerie getrieben. Aber selbst dort war ich nach einer Nacht wieder raus. Wenn du in Liberia sagst, du bist Tourist, sagen sie, hier gibt es keine Touristen. Sie denken, du bist ein Agent.

 

Sie sind trotzdem weitergereist.

Grabow: Ich bin durch den Kongo gestapft. Eigentlich wollte ich trampen. Aber da kommt alle vier Tage ein Auto. Plötzlich stehe ich vor einer Straßensperre. Ein Soldat hält mir eine Kalaschnikow entgegen und fängt an, über den Passier-Preis zu diskutieren. Als ich endlich am Kongo-Oberlauf ankomme, war der Sicherheitsmann meines Hotels von der Polizei instruiert worden, mich dort zu bewachen.

 

Und wie ging die Geschichte weiter?

Grabow: Die wollten mir den Pass abnehmen. Im letzten Moment habe ich ihn aus der Hemdtasche eines Polizisten gezupft, mit dem Hinweis: deutsches Staatseigentum. Ich habe mit einem Kumpel von der UN telefoniert und bin nachts aus der Toilette über die Klomauer geflüchtet.

 

Wo fühlten Sie sich besonders unwohl?

Grabow: Papua-Neuguinea. Es ist reine Glückssache, wenn man dort als Rucksacktourist durchkommt, ohne überfallen zu werden. Die Menschen metzeln sich dort gegenseitig ab, weil jeder Zweite eine Riesenmachete mit sich rumträgt. Überhaupt − Menschen können gefährlicher sein als jedes wilde Tier.

 

Apropos. Hatten Sie mal gefährliche Begegnungen mit Tieren?

Grabow: Als ich im Niemandsland zwischen Peru und Bolivien unterwegs war, läuft mir plötzlich ein Puma entgegen. Ich dachte: Was mache ich jetzt? Ich hatte mir sowas vorher einige Male durch den Kopf gehen lassen. Ich bin stur auf ihn zugelaufen. Als ich noch etwa 15 Meter entfernt bin, duckt er sich und springt seitlich in die Büsche. Ich war total auf Adrenalin.

 

Welche wilden Tiere haben Sie gegessen?

Grabow: Krokodil, Schlange, Affe oder Elefant zum Beispiel. Krokodil schmeckt sehr gut, ein bisschen wie Hühnchen. An einem Elefanten essen die Stammesmitglieder im Norden des Kongo eine Woche, dann werfen sie den Rest weg, da sie keinen Kühlschrank besitzen. Es gibt Elefant zum Frühstück, Elefantensuppe, Elefanten-Steak. Das ganze Dorf isst das.

 

Beneiden Sie Menschen, die ein normales Leben führen, ein Dach über dem Kopf haben und jeden Monat Geld aufs Konto überwiesen bekommen?

Grabow: Wer sein Leben mit Arbeiten verbringt, ist irgendwann verbraucht. Für Business-Typen, die ihr ganzes Leben um Preise gefeilscht haben, muss das Arbeitsleben so hart gewesen sein, dass es deren Begegnungen mit Menschen permanent beeinflusst hat. Die bauen Mauern auf, oder sie finden sich auf ihrer Hochseeyacht einsam mit ihrer Seekrankheit ab. Zwischenmenschliches können sie als Konsequenz ihres Lebensstils nicht mehr.

 

Zur Person

Sascha Grabow (50) ist seit vielen Jahren unterwegs. Er hat nach eigenen Angaben 1161 Länder und Regionen bereist. Grabow steht als 19-Jähriger meist auf dem Tennisplatz und plant zunächst eine Profi-Tenniskarriere. Er entscheidet sich jedoch fürs Reisen. Er bucht meist ein One-Way-Ticket und trampt weiter. Am vergangenen Freitag ist er zu einem neuen Trip abgeflogen. Grabow bleibt bis zu 25 Monaten in fernen Ländern.

 

Kommentare öffnen
Nach oben  Nach oben