Das tut sich schon an den Grundschulen in der Region
Viertklässler fallen bei der Bildungsumfrage weiter ab, das Land hat also viele Hausaufgaben zu machen. Doch vor Ort haben engagierte Lehrerinnen und Lehrer schon vieles auf den Weg gebracht.

Der Schock sitzt tief: Für den einstigen Musterschüler Baden-Württemberg hat sich eine Studie zu den Leistungen der Viertklässler als ein herber Rückschlag erwiesen. Die Kinder haben zunehmende Probleme beim Lesen und Zuhören. Der Anteil der starken Schüler, die den Regelstandard in Deutsch und Mathematik schaffen oder übertreffen, ist gesunken. Fast jedes fünfte Kind erreicht die Mindeststandards nicht, heißt es in der Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB).
Die Bildungsforscher warnten bei der Präsentation der Ergebnisse davor, die Länder untereinander zu vergleichen. Wichtig sei zu sehen, wie sich die jeweiligen Bundesländern zwischen den einzelnen Auswertungen entwickelt hätten. Nur: Das macht es kaum besser. Baden-Württemberg rutschte verglichen mit der letzten Leistungsstudie aus dem Jahr 2016 noch weiter ab.
So reagieren Verbände auf die Bildungsstudie
Lehrerverbände weisen seit längerem auf den Fachkräftemangel gerade in den Grundschulen hin. Auch in den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren, früher Förderschulen genannt, herrscht Land unter. Um den Job an Grundschulen attraktiver zu machen, fordern die Vertreter unter anderem einen höheren Lohn. „Die Arbeit macht Spaß“, das sagen Lehrerinnen und Lehrer wie Barbara Bürgy. Die 52-Jährige engagiert sich auch in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): Sie gehört zum Vorstand im Kreisverband Heilbronn und zum Team, das die Landesfachgruppe Grundschulen leitet. Die Gewerkschafterin kennt die Situation genau und spricht von einer „politischen Katastrophe“.
Unterkriegen lassen sich durch die Rahmenbedingungen aber viele Pädagogen nicht, auch sie nicht. So gut es geht wird an Grundschulen differenziert. Um starke und schwache Schüler zu fördern, bekommen sie unterschiedliche Arbeitsblätter. Klar ist dabei eines: Dieser Mehraufwand lässt sich in großen Schulen besser stemmen als in kleinen Standorten. Kleine Schulen haben eine weitere Hürde: Jeder Lehrer, der ausfällt, reißt große Lücken in den Stundenplan. Dann, so ist zu hören, gehe es nur noch um die Betreuung der Kinder – Bildung sei nicht mehr möglich.
Zur Situation vor Ort hörten wir uns in der Region um:
Sabine Görmez, 45 Jahre, Grundschulrektorin

„Sprache ist der Schlüssel zur Bildung“, sagt Sabine Görmez. Und „die Probleme“, so die Leiterin der Grundschule Heilbronn-Biberach, „die jetzt rauskommen, haben viel mit Sprache zu tun.“ An ihrer Schule wird daher gefördert, wo es geht: Ein Jugendclub mache Leseangebote, insgesamt gebe es in Biberach jetzt „noch mehr AGs als sonst“. Mittel dafür kommen von der Jugendstiftung Baden-Württemberg, das Personal rekrutiere man weitgehend über persönliche Netzwerke. Antragstellung und Personalakquise seien jedoch sehr aufwendig und arbeitsintensiv. In den jüngsten Vera-Vergleichsarbeiten ihrer vierten Klasse sieht Görmez „keinen so dramatischen Abfall“. Aber eine große Schere zwischen Spitzenschülern und Kindern, die mehr Förderbedarf hätten, als die Schule leisten kann. Durch die gesteigerte Mediennutzung während der Pandemie haben sich auch die negativen Einflüsse auf Schüler „extremst gesteigert“ Um den Medienkonsum der Kinder wieder in den Griff zu bekommen, müssten besonders die Eltern gestärkt werden.
Melanie Kübler, 39 Jahre, Grundschulrektorin

Ihre Schüler haben in den Vergleichsarbeiten „im oberen Mittelfeld“ abgeschnitten, sagt Melanie Kübler, Rektorin der Grundschule Eberstadt. Die Ergebnisse seien aber schwächer geworden. Hauptproblem: „Fehlendes Fachpersonal. Sobald jemand krank wird, wird es eng.“ Förderunterricht sei kaum mehr möglich. Sie und ihr Kollegium geben dennoch ihr Bestes: „Wir sind zum Glück gut mit Materialien ausgestattet und können die Kinder handlungsorientiert fördern.“ Auch der Klassensatz an Tablets helfe: Er werde vor allem ab dem zweiten Schuljahr eingesetzt, etwa bei „Antolin“-Stunden zur Leseförderung oder beim Vertiefen des Stoffes mit Hilfe von Lernprogrammen. Außerdem gibt es eine individuelle Förderzeit: „Während alle Kinder einen Plan bearbeiten, gehen wir auf die Bedürfnisse einzelner ein.“
Thomas Rauscher, Grundschul-Rektor
„Dass es diese Defizite gibt, ist nicht neu. Corona hat hier allerdings eine große Rolle gespielt“, sagt Thomas Rauscher, Schulleiter der Grundschule Schwaigern-Massenbach. Rauscher sieht unter anderem ein gesamtgesellschaftliches Problem und stellt eine Verrohung der deutschen Sprache fest, die sich vermehrt in fehlerhaftem Deutsch äußere. Das zentrale Problem sieht der Schulleiter in der zu dünnen Personalausstattung an den Schulen. „Der Unterricht wird nicht besser, wenn man zwei Klassen zusammenlegt.“ Hilfreich sei unter anderem die digitale Ausstattung, die es an der Grundschule seit einem Jahr gibt. Dadurch gebe es die Möglichkeit, mehr Zeit zum Lernen zu haben. Wichtig ist für ihn, dass die Eltern mit ihren Kindern oft lesen. Insgesamt sieht er den westlichen Landkreis aber recht gut aufgestellt.
Viviane Kalisch, Gesamtelternbeirat Heilbronn

Dass es vielen Viertklässlern an Grundkompetenzen mangelt, kann Viviane Kalisch nachvollziehen – aus Sicht der Vorsitzenden des Gesamtelternbeirats Heilbronn hat die zumeist „schlechte Qualität“ des Online-Unterrichts in der Corona-Pandemie Spuren hinterlassen. „Die Länder hätten ein Konzept erarbeiten müssen, aber das gab es nicht. Das hat zu großen Defiziten geführt.“ Solche Lernlücken lassen sich nur schwer aufholen, gerade bei Kindern, die zu Hause nicht gefördert werden können. Kalisch plädiert für ein soziales Schulsystem, das „so ausgelegt sein sollte, dass diese Kinder gefördert werden“. Das grundsätzliche Problem des Lehrer- und Sonderpädagogenmangels gehe zudem zulasten dieser Kinder. Aus Gesprächen mit Lehrern weiß Kalisch, dass auch Social Media für viel Ablenkung vom Lernen sorge.
Barbara Bürgy, 52 Jahre, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft

Barbara Bürgy kennt sich in der Grundschullandschaft aus, engagiert sich in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in der Landesfachgruppe Grundschulen. Es herrschten an den Schulen „katastrophale Zustände“: Bundesweit sei im Land das Schüler-Lehrer-Verhältnis am schlechtesten, der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund am höchsten. „Wir brauchen Personen“, fordert sie auf, mehr Kollegen in die Schulen zu bekommen – bei besserer Bezahlung. An ihrer Schule nehme man Kinder an, so wie sie seien. „Wir differenzieren sehr stark“, beschreibt sie, dass Kinder unterschiedliche Aufgaben erhalten. Ferien haben? Sie kennt nach eigenen Angaben keine Grundschullehrer, die in unterrichtsfreier Zeit nichts machen. Dann holten sie Sachen nach, für die während der Schulzeit keine Zeit bleibt.
Irina Dorsch, 48 Jahre, Leiterin Stadtbücherei

„Wir machen viel, an uns liegt es nicht. Und auch nicht an den Eltern, die mit ihren Kindern zu uns kommen“, sagt die Leiterin der Öhringer Stadtbücherei humorig. Sie sagt: Lesen fange mit Vorlesen an. Werde in der Familie viel gelesen, profitieren die Kinder davon. Frühleseförderung mache auch die Bücherei. Kleinkinder und ihre Eltern können wieder ab 2023 in den Lesemäuse-Gruppen Verse und Bücherkoffer entdecken. Es gibt Bilderbuchkino für Kinder ab drei Jahren, dazu Aufführungen von Kindertheaterstücken für Kinder ab drei Jahren. Der Vorlesepate macht Mitmachgeschichten für Kinder ab neun Jahren. Im Sommerleseclub gibt es tolle Gewinne und eine Party. Dazu kommen die Vorlesewettbewerbe von Buchhandel und Büchereien und die kostenfreien Kennenlern-Angebote für Kleinkinder und Erstklässler.
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