In Gellmersbach lernen Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam
Vor zehn Jahren ging in Weinsberg-Gellmersbach die private Grundschule der Stiftung Lichtenstern in Betrieb. Wie gut funktioniert der inklusive Ansatz?

Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam unterrichten und dabei allen gerecht werden - geht das? Ja, das geht, findet Anka Koch. Es ist eine Herausforderung, aber es geht sogar ziemlich gut, ist die Leiterin der Grundschule Lichtenstern in Weinsberg-Gellmersbach überzeugt - wenn man nicht all zu übermütig wird.
Vor zehn Jahren startete die Privatschule mit dem inklusiven Konzept - und hat in dieser Zeit nicht nur zahlreiche Kinder aufs Leben vorbereitet, sondern auch selbst manches dazugelernt.
Pflanzzeit in der Schule
"Frau Illini, soll ich die Erde da reinfüllen?"- "Luka, wo ist dein Topf?" - "Schau mal, Eren, du kannst drei Pflanzen reintun." Pflanzzeit in der Grundschule in Gellmersbach. Eine Handvoll Kinder und Lehrkraft Angelina Illini sitzen auf einer Plastikplane um einen Sack Blumenerde herum. In die kleinen Tontöpfe, die die Jungen und Mädchen neulich kunterbunt bemalt haben, kommt Basilikum. Der wird an diesem Samstag beim Schulfest verkauft. "Die inklusiven Kinder haben die Stecklinge gemacht", sagt Angelina Illini.
Zwei Lehrkräfte pro Klasse
In Gellmersbach ist nicht die Rede von Kindern mit oder ohne geistige Behinderung, schon gar nicht von behinderten und nichtbehinderten Kindern, sondern von - derzeit - 36 Grundschülern und sechs inklusiv beschulten Kindern. Insgesamt sind es also 42 Jungen und Mädchen, verteilt auf drei Klassen mit aktuell maximal 17 Kindern pro Klasse. Jede Klasse wird von einem Lehrkräfte-Duo betreut.
Die Erst- bis Drittklässler sind jahrgangsübergreifend auf zwei Klassen verteilt. "Die Kinder lernen viel voneinander, sie haben aber auch altersspezifischen Unterricht", sagt Anka Koch, die die Grundschule Lichtenstern fast seit deren Geburtsstunde kennt und seit fünf Jahren leitet. Das Konzept der Ganztags-Privatschule mit diakonischem Profil kann sie im Schlaf herunterbeten; sie hat es ja mitgestaltet und im Lauf der Zeit mit ihrem Kollegium überarbeitet.
Kooperation mit dem Kindergarten
Für viele Jungen und Mädchen ist es ein gleitender Übergang vom Kindergarten zur Grundschule: Beide sind im selben Gebäude beheimatet. Es gibt schon sehr lange eine Kooperation der Stiftung Lichtenstern mit diesem kommunalen Kindergarten. In der Kooperation wurzelte einst auch die Idee von einer Schule mit inklusivem Ansatz. Hätte sie die Stiftung Lichtenstern als Trägerin vor zehn Jahren nicht umgesetzt, gäbe es heute vermutlich keine Grundschule mehr in Gellmersbach. Denn als kommunale Bildungseinrichtung hatte die Grundschule mangels Kinder keine Zukunft. Die Stadt Weinsberg wurde also 2012 in diesem Teilort vom Schulträger zum Vermieter des Schulgebäudes.
Corona hat Spuren hinterlassen
Es gab Jahre, da sind alle angehenden Gellmersbacher Erstklässler in die Grundschule Lichtenstern gewechselt. Im kommenden Schuljahr ist es etwa die Hälfte, schätzt Anka Koch. Woran liegt es? "Durch Corona ist Vieles abgerissen", bedauert sie. Man habe die Eltern ein wenig aus den Augen verloren. Und: "Eine Kooperation mit dem Kindergarten war lange gar nicht möglich."
Eine Schule wie die ihre habe mitunter keinen leichten Stand, weiß Anka Koch. Natürlich gibt es Vorbehalte, und die Schulchefin kennt sie - etwa dieses: Kinder ohne Beeinträchtigung kommen zu kurz. Oder: Wegen der inklusiven Kinder ist das Lerntempo zu langsam. "Dabei ist das Gegenteil der Fall", findet Anka Koch. "Die Schüler lernen sogar viel mehr." Grundschule - das sei doch auch viel mehr als rechnen und Schreibschrift lernen. Es gehe um Dinge wie: auf andere achtgeben oder Selbstvertrauen gewinnen. "Das Zwischenmenschliche spielt eine große Rolle - und das leben wir hier halt."
Beide Seiten sind zu schützen
In den Anfängen, sinniert die ausgebildete Grundschullehrerin, seien sie vielleicht manchmal etwas "zu übermütig" gewesen, was die Inklusionsidee betrifft. Man müsse, sagt Anka Koch, schon sehr darauf achten, wie man die Klassen zusammensetzt. "Man muss beide Seiten schützen und für beide Seiten Verständnis aufbringen." Man könne nicht erwarten, dass ein Kind ohne Behinderung automatisch gut auf ein Kind mit einer geistigen Beeinträchtigung eingehen könne. "Man darf den Grundschülern nicht zu viel zumuten - genauso wenig wie den SBBZ-Kindern."
SBBZ steht für Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum und meint in diesem Fall die Schule, die ihren Sitz im Stammhaus der Evangelischen Stiftung Lichtenstern bei Löwenstein hat. Dort wird geschaut, welche Kinder überhaupt die Grundschule in Gellmersbach besuchen können, welche also in das inklusive Konzept passen.
Daten, Fakten, Fest
Die Grundsschule der Evangelischen Stiftung Lichtenstern ist eine Privatschule für Kinder mit und ohne geistige Behinderung. Gellmersbacher Kinder zahlen als Ortsansässige einen Betrag von 90 Euro pro Monat, alle anderen zahlen 110 Euro. Das ist für eine Privatschule vergleichsweise günstig. Hinzu kommt jeweils das Geld für das Mittagessen an den drei Tagen in der Woche, an denen bis 15 Uhr Ganztagsbetrieb ist. Die Schule hat ein diakonisches Profil, legt "Wert auf eine religiöse und werteorientierte Bildung, in der der Mensch im Mittelpunkt steht", wie es im Flyer der Schule heißt. Alle Konfessionen und Religionen seien willkommen.
Sogenannte multiprofessionelle Teams unterrichten in kleinen Klassen mit einem inklusiven Konzept. Ein Schwerpunkt liegt auf der Musik; jedes Kind lernt zum Beispiel Melodika.
Freude übers Team und über die Eltern
Schulleiterin Anka Koch freut sich über ihr "Top-Team" und über die Unterstützung der Mütter und Väter: "Der Elternbeirat steht voll hinter der Schule." Was ihr außerdem Freude bereitet, ist das Gefühl, "als Teil des Ortes anerkannt" zu sein. Verschiedene Vereine beteiligen sich zum Beispiel am Jubiläumsschulfest an diesem Samstag, 16. Juli. Vormittags steht eine interne Feier auf dem Programm. Von 13 bis 16 Uhr steigt das eigentliche Fest zum zehnjährigen Bestehen.
Weitere Infos unter www.lichtenstern.de.
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