Jule Mayr startet durch: Mit 16 der erste Weinberg, mit 24 das eigene Weingut
Jule Mayr aus Sachsenheim-Hohenhaslach ist eine herzerfrischende Mutmacherin. Schon als Jugendliche hat die heute 24-Jährige ihr eigenes Weingut gegründet. Und: Sie hat viel zu sagen, auch im Stimme-Interview.

Bereits im Alter von 16 Jahren hat Jule Mayr aus Sachsenheim-Hohenhaslach ihren ersten Wengert gekauft. Längst führt die in Weinsberg und in zwei Top-Betrieben ausgebildete Weinbautechnikern ihr eigenes, zwei Hektar großes Weingut. Sie ist überzeugt: "Das ist genau das Richtige." Was treibt eine 24-jährige Frau in Zeiten wie diesen, da immer mehr Wengerter den Bettel hinschmeißen, an? Was macht ihr Mut? Die Heilbronner Stimme hat sich mit ihr unterhalten.
Wie kommt eine 16-Jährige - im besten Party-Alter - auf die Idee, einen Wengert zu kaufen?
Jule Mayr: Genau gesagt, musste ihn 2016 mein Vater für mich kaufen, da ich rein rechtlich zu jung war. Nun, nach der Realschule wusste ich nicht recht, was ich machen soll. Handwerk war meine Richtung, aber Holz und Metall sind nicht ganz mein Ding. Dann habe ich erstmal in der Versicherungsbranche angefangen. Gleichzeitig hatte ich nebenher in einem Weingut geholfen und gemerkt: Das ist schön. Man macht wirklich die komplette Wertschöpfungskette durch, in der Natur, im Keller, beim Probieren, Verkaufen, auf Festle. So habe ich nach der Lehre zur Versicherungskauffrau eine Winzerlehre drangehängt und bald gemerkt, dass das mehr ist als nur so "ne Phase. Dann habe ich mir gesagt: Wenn ich das mache, dann richtig, mit eigenem Betrieb von der Traube bis zum eigenen Wein.
Blieb und bleibt da noch Zeit für Freizeit?
Mayr: In Hohenhaslach, wo ich aufgewachsen bin, muss man sich das so vorstellen: 2500 Einwohner, 120 Hektar Rebfläche, jeder hat eigentlich was mit Weinbau zu tun, auch mein Freundeskreis. Außerdem: In so einem kleinen Ort geht man als Jugendlicher nicht irgendwo feiern, man kommt gar nicht raus. Der letzte Bus fährt um 21 Uhr, das war"s. Dann schafft man halt bis abends um Achte und ist dabei nicht die einzige. Es spielt schon eine Rolle, wo ich wohne, ländlich oder dort, wo Highlife ist. Aber ich bin sowieso nicht der Typ, der immer groß feiern muss.
Wurde Ihnen die Arbeit im Weinberg nie zu viel?
Mayr: Es gibt immer Sachen, die man gerne macht oder weniger gerne. Rebenschneiden und Biegen macht derzeit richtig Spaß, die Laubarbeit im Sommer weniger, wenn alles wächst und man schier nicht mehr hinterherkommt, andere gehen da ins Freibad. Dann beginnt nahtlos auch noch die Lese und es geht durch bis Oktober. Ja, harte Tag gibt es, aber auch solche, wo alles toll ist. Ich glaube Höhen und Tiefen hat jeder in seinem Beruf. Da muss man durchpowern. Gerade in der Lesezeit kommt man ans Limit, auch körperlich. Ohne Freunde und Familie ginge das gar nicht in dieser Größe.
Das Besondere ist, dass Sie so jung sind, aber auch, dass Sie als Frau in einer Männerdomäne ein Weingut gegründet haben. Haben Sie ein Vorbild?
Mayr: Ja, manche Kolleginnen bewundere ich. Es geht nämlich nicht nur darum, dass man als Frau einen guten Job macht. Es ist wichtig, dass man sich darüber hinaus für etwas stark macht. Mara Walz ist für mich ein Vorbild. Sie hat einen Betrieb, ist Sprecherin der Württemberger Jungwinzer, und macht auch sonst viel in Sachen Frauen- und Familienpolitik. Oder Carolin Klöckner, auch eine Quereinsteigerin, die bewusst in die Öffentlichkeit geht, um zu zeigen, was wir machen und leisten als Frauen.
Können Frauen vielleicht sogar manches besser?
Mayr: Das Filigrane, wo man Gefühl braucht, etwa das Rutenbiegen und Anbinden. In der Sensorik legen sie mehr Wert auf Frucht und Finesse. Männer wollen es eher schwer und kräftig. Frauen haben in manchem mehr Gespür, gerade auch im Umgang mit Kunden, im Erzählen.
Stichwort Vermarktung: Warum hat Württemberg so ein angestaubtes Image, wo man doch in der Qualität inzwischen mit anderen mithalten kann?
Mayr: Mittlerweile muss man sich nicht mehr verstecken. Das alte Image rührt gewiss von früher her. Jeder hatte einen Wengert, hat nebenher seinen Haustrunk verkauft, in Literflaschen, leichter Trollinger-Lemberger. Dieses Image haftet uns leider bis heute an. Mittlerweile geben die Württemberger schon Gas, wir müssen das auch, sonst rutschen wir noch weiter ab.
Was muss eine Flasche kosten, damit man als Weingärtner leben kann?
Mayr: Das Problem ist, dass die Kosten zuletzt stark gestiegen sind und Weine aus dem Ausland viel günstiger produziert werden. Das erzeugt einen extremen Preisdruck. Von drei, vier Euro pro Flasche kann kein Winzer leben, da sind schon sieben, acht notwendig. Viele Verbraucher wollen das nicht zahlen, da man für drei, vier Euro heutzutage auch was Rechtes kriegt. Es gibt ja heute keinen schlechten Wein mehr.
Wo gibt es eigentlich den besten Wein?
Mayr: Den gibt es nicht. Erstens hängt das vom eigenen Geschmack ab, dann ist es tagesformabhängig. Ich persönlich bin Rotweintrinker, mag im Sommer aber auch mal Riesling oder Weißburgunder. Aber ich muss schon sagen: Württemberg hat viel Potenzial, verschiedene Böden, eine einmalige Rebsortenvielfalt, wir können fast alles. Eigentlich haben alle deutschen Weinregionen ihr Profil. Das sollte man mehr schätzen.
Haben Sie einen Lieblingswein?
Mayr: In Württemberg den 2016er Lemberger Großes Gewächs vom Spitzenberg von Rainer Wachtstetter, einer meiner Lehrbetriebe. Außerhalb bin ich ein großer Fan von Philipp Wittmann, weil ich auch gerne Riesling trinke und viel Säure mag. Oder Spätburgunder von Bernhard Huber. Doch im Grunde trinke ich auch gerne andere Weine von vielleicht nicht so bekannten, aber kleinen und feinen Betrieben.
Träumen Sie von einem eigenen Top-Tropfen?
Mayr: Also mit meinem Lemberger Primus Lignum bin ich schon auf einem guten Weg. Aber es geht natürlich immer noch mehr.
Wo sehen Sie sich in 20 Jahren?
Mayr: Immer noch hier im schönen Kirbachtal. Auf unserem Hof in Ochsenbach, den ich gerade mit meinem Mann Jonas herrichte. Kinder, vier, fünf Hektar Weinbau, fast alles Privatvermarktung, ein bisschen über Gastronomie, vielleicht ab und zu mit Besen oder ähnlichem, weil ich einfach gerne Leute bewirte. Und: Ich bin noch bekannter als heute. So stell" ich mir das vor.
Und wie sieht es in Württemberg in 20 Jahren aus?
Mayr: Man spricht ja derzeit vom Gesundschrumpfen. Wenn ich zum Fenster rausschaue, sehe ich immer mehr Brachen. Und das ist erst der Anfang. Gerade Steillagen rentieren sich nicht mehr. Der Weinbau wird sich stark verändern, aber auch die Kulturlandschaft.
Und trotzdem lassen Sie sich nicht entmutigen.
Mayr: Ja, weil ich jemand bin, der was bewegen will. Und in der Landwirtschaft sehe ich immer genau, was ich mache und was ich abends alles geschafft habe. Gerade jetzt, wo viele Flächen rausfallen, sage ich mir: Ich bin kein Zugucker, ich bin ein Macher. Ich will, dass es nicht so wird, wie viele befürchten. Mich treibt die Leidenschaft. Ich gehe raus in den Wengert und bin mir sicher: Das ist genau das Richtige.
Jule Mayr, Jahrgang 2000, ist in Mühlacker geboren und in Sachsenheim-Hohenhaslach am Stromberg in einem landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb aufgewachsen. Nach dem Realschulabschluss machte sie zunächst eine Lehre zur Versicherungskauffrau, dann zur Winzerin in den Prädikatsweingütern Aldinger (Fellbach) und Wachtstetter (Pfaffenhofen) sowie an der Christiane-Herzog-Schule in Heilbronn.
Danach sattelte sie an der Weinbauschule Weinsberg den Techniker drauf. In ihrer Sieben-Tage-Woche arbeitet sie zwei Tage im Büro eines Lohnunternehmens mit Biogas und Hofladen, einen Tag im Weingut Notz (Hohenhaslach) und vier Tage in ihrem eigenen Weingut Jule Mayr, wobei sie bis Herbst vor allem wochenends auch als Württemberger Weinprinzessin unterwegs ist.