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"Die Veredelung der Herzen" im Science Dome der Heilbronner Experimenta

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Was passiert, wenn eine KI-basierte Therapie den Menschen optimiert? "Die Veredelung der Herzen" des österreichischen Dramtikers Mario Wurmitzer stellt bei der Uraufführung im Science Dome der Experimenta spielerisch leicht richtige Fragen, trägt als 90-Minuten-Stück aber nicht über den ganzen Abend.

Nach der Therapie beim Institut "Wege zum Glück" wird Christoph (Luca Rosendahl, rechts) seiner Freundin Anna (Leonie Berner) immer fremder. Institutsmitarbeiter Max (Pablo Guaneme Pinilla) übernimmt keine Haftung.
Foto: Jochen Klenk
Nach der Therapie beim Institut "Wege zum Glück" wird Christoph (Luca Rosendahl, rechts) seiner Freundin Anna (Leonie Berner) immer fremder. Institutsmitarbeiter Max (Pablo Guaneme Pinilla) übernimmt keine Haftung. Foto: Jochen Klenk  Foto: Picasa

Dass der Mensch danach strebt, seine Lebensbedingungen zu verbessern, ist an sich nicht das Schlechteste. Auch nicht, dass er dazu Technologien entwickelt. Fortschritt nennt man das, ohne den unsere Gattung noch auf den Bäumen säße.

Dass die Revolution dabei nicht selten ihre Kinder frisst, ist die Kehrseite. Künstlicher Intelligenz als Revolution unserer Tage zwischen Weltenrettung und Weltuntergang traut man fast alles zu. Von der Rettung einer Beziehung erzählt lebensnah das Stück "Die Veredelung der Herzen", das nun im Science Dome der Heilbronner Experimenta uraufgeführt wurde. Was das mit KI zu tun hat und mit Fortschritt?

Was man nicht alles tut, um dem Diktat der Optimierung zu genügen

"Die Veredelung der Herzen" von Mario Wurmitzer mag an Goethes "Edel sei der Mensch, Hülfreich und gut!" erinnern, doch soll die Veredelung fortan nicht mit dem freiem Willen eines einzelnen bewerkstelligt werden. Sondern mit einer KI-basierten Therapie, die ein Institut "Wege zum Glück" gegen Geld verspricht. Was man nicht alles tut, um in einer dem Diktat der Optimierung erlegenen Gegenwart zu bestehen.

Die Story: Zwar liebt Anna Christoph, doch könnten sie glücklicher sein, meint sie, wenn er seine optimale Balance fände. Anna erhofft sich mithilfe der Veredelung die Generalüberholung ihres Freundes.Die Sache hat einen Haken. Der Kunde sollte in die Therapie einwilligen, erklärt Institutsmitarbeiter Max, eine Behandlung ohne sein Wissen sei ethisch bedenklich, vor allem aber zehn Mal so teuer. Schließlich gibt Christoph auf Drängen Annas nach. Nach der Therapie ist er wie ausgewechselt.

Etwas bei der Veredelung ist missglückt

Doch verselbstständigt sich der vermeintliche Erfolg, etwas ist schief gelaufen. Auch bei Max, seine Therapie liegt schon eine Weile zurück. Dass Christoph und Anna vor den Scherben ihrer Beziehung stehen, statt sie gerettet zu haben, liegt nahe, wie so manch andere Volte dieses Stückes vorhersehbar ist.

"Die Veredelung der Herzen" des 31 Jahre jungen österreichischen Autors Wurmitzer ist das Gewinnerstück des Dramenwettbewerbs "Science & Theatre" 2021. Als Kooperation mit der Experimenta stellt das Heilbronner Theater im Zweijahresrhythmus das gleichnamige Festival "Science & Theatre" auf die Beine, das gesellschaftliche Entwicklungen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Theater thematisiert. Flankierend dazu findet ein Wettbewerb statt, der ein noch nicht aufgeführtes Drama kürt, das eine Spielzeit später uraufgeführt wird.

Künstliche Intelligenz ist zum Großthema geworden

Nun ist in Heilbronn durch den geplanten IPAI, den KI-Innovationspark, Künstliche Intelligenz zum Großthema geworden. Umso charmanter und relevanter, dass sich das analoge Medium Theater einem Aspekt widmet, der in nicht allzu ferner Zukunft Realität werden kann: die Optimierung des Menschen mittels KI, nach welchen Kriterien auch immer.

Mario Wurmitzers Drei-Personen-Stück in der Regie von Grit Lukas allerdings trägt keine 90 Minuten, nach spätestens einer Stunde dreht sich der Konflikt im Kreis. Luca Rosendahl als Christoph, Leonie Berner als Anna und Pablo Guaneme Pinilla als Max aber sieht man gerne zu. Ihr Spiel ist leicht und präzise, Wurmitzer hat humorvoll Sottisen in sein Stück eingestreut. Weltuntergangsstimmung kommt keine auf, unverkrampft wird das ernste Thema zur Diskussion gestellt.

Hunderte weiße Schaumstoffwürfel und Videoanimationen

Was ist, wenn Hirne überschrieben werden wie bei Christoph? Dann sind das Recht auf Privatsphäre und Selbstbestimmung im Eimer und die Katerstimmung groß wie bei den drei veredelten Protagonisten auf der Bühne im Science Dome. Die hat Ausstatterin Lena Hiebel in eine futuristische Eislandschaft verwandelt aus Hunderten weißen Schaumstoffwürfeln und zwei massiven Kubi, die den Schauspielern mal als Sockel, mal als Sitzgelegenheit dienen.

Videoanimationen von Conny Klar an der Wand und unter der Kuppel sind psychedelische Hingucker, die die technischen Möglichkeiten im Science Dome nutzen. Dabei werden unter der Prämisse einer KI-basierten Veredelung auch klassische Verhaltensphänomene verhandelt. Etwa wie es ist, wenn sich eine Beziehung nicht mehr echt anfühlt. Oder was Vergessen für Liebende bedeutet.

"Ich möchte lieber nicht"

Vergessen übrigens ist eine der Nebenwirkungen, wenn im Stück die Veredelung missglückt. "Ich möchte lieber nicht", zitieren Max und Christoph einmal den Schreiber Bartleby aus Herman Melvilles berühmter Erzählung. Als Antwort auf unsere Leistungsgesellschaft hat "Ich möchte lieber nicht" die Qualität eines tröstlichen Schlusswortes.

Weitere Aufführungen: www.theater-heilbronn.de

Zur Person: Mario Wurmitzer, Jahrgang 1992, studierte Germanistik und Geschich- te in Wien, wo er heute lebt. 2010 erscheint sein Roman "Sechzehn". Er publiziert Texte in Literaturzeitschriften und Sammelbänden. 2017 wird sein Theaterstück "Werbung Liebe Zuckerwatte" uraufgeführt, weitere Stücke folgen. Wurmitzer wurde unter anderem mit dem Brüder-Grimm-Preis, dem Osnabrücker Dramatikerpreis und beim Wettbewerb "Science & Theatre" 2021 ausgezeichnet.

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