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Premiere von "Gott wartet an der Haltestelle" im Großen Haus des Heilbronner Theaters

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Ein Selbstmordanschlag ist Ausgangspunkt des Stückes, das sich mit dem Nahostkonflikt auseinandersetzt. Die kluge Inszenierung fragt nicht nur nach dem Warum, sondern auch nach dem Wie und stellt die Schicksale mehrerer Menschen in den Vordergrund.

Nichts ist mehr, wie es vorher war: Zahlreiche Leben verändern sich nach dem Sprengstoff-Anschlag der Krankenschwester Amal. 
Foto: Candy Welz
Nichts ist mehr, wie es vorher war: Zahlreiche Leben verändern sich nach dem Sprengstoff-Anschlag der Krankenschwester Amal. Foto: Candy Welz  Foto: Candy Welz

Ein lauter Knall. Rauch. Überall verteilt liegt Kleidung. Krankenschwester Amal, getarnt als schwangere Frau, sprengt sich in einem gut besuchten Restaurant in Haifa in die Luft und reißt 30 Menschen mit in den Tod. Wie konnte diese Frau, die ihren Beruf ergriffen hat, um Menschen zu helfen, zu einer Selbstmordattentäterin werden? Das ist eine der Fragen, die "Gott wartet an der Haltestelle" der Dramatikerin Maya Arad Yasur stellt - vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen Israel und Palästina, angelegt in der Zeit der zweiten Intifada, einer Hochphase der Selbstmordattentate. Am Samstag feierte das Stück in der Inszenierung von Hans-Ulrich Becker Premiere im Großen Haus des Heilbronner Theaters.

Wie konnte es zu dem Selbstmordanschlag kommen?

Doch es geht nicht nur um das Warum, sondern auch um das Wie. "Gott wartet an der Haltestelle" ist eine Familiengeschichte, beleuchtet aber auch andere Schicksale, die direkt oder indirekt mit dem Anschlag in Verbindung stehen. Zufälle und Gegebenheiten, die dazu beigetragen haben, dass Amal (gespielt von Sarah Finkel) diesen Anschlag in die Tat umsetzen konnte.

Da ist die israelische Soldatin Yael (Regina Speiseder), die die angeblich schwangere Amal nach mehrmaligem Bitten am Grenzübergang ohne Tasrich, dem Passierschein, durchließ. Oder der Taxifahrer Jamal (Sven-Marcel Voss), der die Attentäterin zum Restaurant fuhr und nun vom Geheimdienst verhört wird. Beide müssen nach der Tat mit ihrer Schuld umgehen. Finkel zeigt Amal erst als lebensfrohe und herzliche junge Frau, die sich aus familiären Gründen radikalisiert: Ihr Bruder, ein hohes Mitglied einer terroristischen Vereinigung, wird auf seiner Verlobungsfeier erschossen, ihr krebskranker Vater stirbt kurz hinter der Grenze.

Die Geschichte wird in Rückblenden erzählt

Hans-Ulrich Beckers Inszenierung ist eine Art bruchstückhafte Szenencollage, die in Rückblenden die Ereignisse rund um den Anschlag aufrollt. Auf einer Bühne, die einer Grenzanlage nachempfunden ist: Zahlreiche massive Betonwürfel und einige Straßensperren sorgen für eine beklemmende Atmosphäre. Unterstützt werden die Spielszenen von Video-Einspielern auf einer großen Leinwand und von einem pulsierenden Soundtrack, der das Leben in Angst, die ständige Gefahr, auch durch wiederkehrendes Nachlade-Klicken einer Waffe, greifbar macht.

Die politischen Umstände und Hintergründe kann und will das Stück nicht vollends ausblenden, es fokussiert sich aber auf die Schicksale der Menschen. Zeigt eine Welt, die eingeteilt ist in "uns" und dem Feind, also "denen". Ein Leben in Habachtstellung, mit Furcht vor Vergeltungsschlägen, in dem der sicherste Platz im Restaurant oder im Bus der nahe des Ausgangs ist, und man Menschen einteilt in potenziell gefährlich oder nicht.

Kein Ausweg aus der Gewaltspirale

Vor Vorstellungsbeginn wird eingeblendet, dass Yasurs Stück deutlich vor den Angriffen der Terrorgruppe Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel geschrieben wurde. Direkt Bezug auf die Anschläge nimmt "Wie man nach einem Massaker humanistisch bleibt in 17 Schritten", ein Text der Israelin, der an vielen Stellen ins Stück eingebaut wird - während sich die Schauspieler wie eingefroren auf den Betonklötzen positionieren - und mit ein wenig Pathos immer auf den prägnanten Satz hinausläuft: "Auch auf der anderen Seite der Grenze gibt es Mütter".

Aus dem toll agierenden Ensemble will man keinen hervorheben. Alle Schauspieler übernehmen mehrere Rollen, ziehen sich direkt auf der Bühne um. Jeder Figur wird in den zwei Stunden und vierzig Minuten (mit Pause) genügend Zeit eingeräumt. Dieser Theaterabend ist ernüchternd, lässt einen nachdenklich zurück, denn die Schuldfrage bleibt offen, einen Ausweg aus der Gewaltspirale scheint es nicht zu geben. Verdienter Applaus für das Ensemble und das Inszenierungsteam.

Weitere Vorstellungen

www.theater-heilbronn.de


Die Autorin

Zur Premiere am Samstagabend ist auch die Autorin nach Heilbronn gekommen. Maya Arad Yasur, geboren 1976 im israelischen Ramat Gan in der Nähe von Tel Aviv , studierte Dramaturgie an der Universität Amsterdam und arbeitete als Produktionsdramaturgin unter anderem in den Niederlanden und in Israel. Ihr Stück "Gott wartet an der Haltestelle" entstand im Rahmen des "Terrorismus"-Projekts der Union des Théâtres de l"Europe. Der Text "Wie man nach einem Massaker humanistisch bleibt in 17 Schritten" entstand als unmittelbare Reaktion auf die terroristischen Anschläge der Hamas auf Israel.

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