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Musiktheater als Trip: Fulminante Uraufführung von "Dora" an der Staatsoper Stuttgart

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Wenn die Generation Z den Teufel herausfordert: Bernhard Langs Oper "Dora" zum Libretto von Frank Witzel in der Regie von Elisabeth Stöppler ist eine musikalische und visuelle Überwältigung.

Eine Oper wie ein Rausch, eine Titelheldin als Systemsprengerin: Josefin Feiler als Dora kauert am Boden, Marcel Beekman ist der Teufel, im Hintergrund als antiker Chor Neue Vocalsolisten extended.
Foto: Martin Sigmund
Eine Oper wie ein Rausch, eine Titelheldin als Systemsprengerin: Josefin Feiler als Dora kauert am Boden, Marcel Beekman ist der Teufel, im Hintergrund als antiker Chor Neue Vocalsolisten extended. Foto: Martin Sigmund  Foto: Martin Sigmund

DO R A steht in klinisch weiß leuchtenden Buchstaben auf der Bühne. Der Schriftzug erinnert in seiner reduzierten Eleganz an den der französischen Modemarke Dior. Als sei es eine Fashionshow sitzen 13 Sängerinnen und Sänger auf einem Laufsteg. Doch das Leben der titelgebenden Heldin gestaltet sich weitaus weniger glamourös. Eine junge Frau, gelangweilt, genervt, in Total-Opposition zu gängigen Lebensentwürfen, fordert den Teufel heraus - und steht im Zentrum der Auftragsarbeit der Staatsoper Stuttgart, die am Sonntag Uraufführung feierte.

Vorab in Kürze: "Dora" von dem österreichischen Komponisten Bernhard Lang zum (ersten) Libretto des Schriftstellers Frank Witzel ist ein Ereignis: zwölf Minuten begeisternd anhaltender Applaus nach 100 Minuten Musiktheater-Trip mit überwältigenden Solisten. Die musikalische Leitung hat die zupackende Elena Schwarz, der die komplexen, rhythmischen Loops und Samplings von Lang liegen. Ein Staatsorchester in Höchstform, die Regie von Elisabeth Stöppler zwischen Abstraktion und Erzählung sowie bildstarke, dramaturgisch klug gesetzte Einspieler machen den Abend zum mitreißenden Gesamtkunstwerk.

Loops, Samples und Zitate aus der Musikgeschichte

Mit einem Schlagwerkgewitter setzt die Oper ein, mit extrem schnellen, nervösen Schlagzeugklängen ist Schluss: und das mit Aplomb rechts und links aus der Seitenloge und von der Mittelloge aus, während das Orchester im Graben sitzt. Bernhard Lang, 1957 in Linz geboren, gehört zu den wichtigen zeitgenössischen Komponisten. Dass er neben Fächern wie Komposition und Klavier sich mit Elektronischer Musik und Computertechnologie auseinandergesetzt und auch Philosophie studiert hat, zeichnet seine Musik aus. Und das Prinzip der Wiederholung in Anlehnung an den französischen Philosophen Gilles Deleuze. Lang verbindet das Unkonventionelle mit dem Konventionellen, der Chor in der Tradition des antiken Chors ist solistisch besetzt und greift immer wieder mit Sprechgesang kommentierend ein.

Langs Klangkonglomerat aus Loops, Samples, Zitaten und Anspielungen ist ein rasanter Ritt durch die Musikgeschichte, erinnert mitunter durchaus an ein Musical, lässt Wagners "Götterdämmerung" anklingen, streift beiläufig Richard Strauss, Franz Schubert und mehr. Und recycelt popkulturelle Ohrwürmer. Das alles muss man letztlich nicht (er)kennen, um großes Kino für Auge und Ohr zu erleben.

Eine Herausforderung und Kraftanstrengung

Für die Sängerinnen und Sänger ist "Dora" eine Herausforderung und Kraftanstrengung. Josefin Feilers Titelfigur tariert mit ihrem Sopran, metallen fordernd und lyrisch zugleich, die vorwärtsdrängende Geschwindigkeit aus, die Wiederholungen einzelner Elemente. Und sie transportiert so ungemein präsent den Kern von Witzels Libretto.

Das Libretto allein ist in seiner knappen, auch ironischen Sprache tiefgründig, voller Subtext. Frank Witzel verhandelt die Abgründe des Mythenproduzenten Kleinfamilie, strukturellen wie konkreten Missbrauch, den Lebensekel der Generation Z, die Krisen unserer Zeit - und die Faszination des Bösen. Wenngleich der Witz, die Ironie und das Schwarzhumorige dem Teufel vorbehalten sind. Marcel Beekman ist ein hinreißender Mephistopheles, der erst als Beamter einer anonymen Bürokratie auftritt und dann genüsslich als Teufel, mit bestechend komischem Tenor.

Thriller-Momente

Kafkaeske Situationen schaffen Thriller-Momente. Wenn mittels Videoprojektion übergroß Vater, Mutter und Geschwister erscheinen und Dora, winzig wie ein Däumling am Boden kauernd, mit den Händen schubsen und auf sie einschlagen.

Als empathielose Eltern mit Zuhälterallüren drangsalieren Stephan Bootz in der Rolle des Vaters und Maria Theresa Ullrich in der Rolle der Mutter Dora. Mythologische Figuren, Verweise auf Antike und Renaissance werden kurzgeschlossen mit surrealen Bildern und der Gegenwart. Ob sich am Ende Dora und Berthold (Elliott Carlton Hines), ein Außenseitertyp, finden, bleibt offen. Den Rat des Teufels auf jeden Fall hat Dora ausgeschlagen.


Weitere Vorstellungen: www.staatsoper-stuttgart.de

Die Regisseurin: Elisabeth Stöppler, 1977 in Hannover geboren, Preisträgerin des Theaterpreises "Der Faust", ist dem Heilbronner Publikum durch ihre Inszenierung von "Kiss me, Kate" 2009 bekannt und verschiedene Operngastspiele. Seit der Spielzeit 2014/2015 ist Stöppler Hausregisseurin am Staatstheater Mainz. Sie unterrichtet an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Warum sie Opernregie studiert hat? "Weil ich damit das verbinden kann, was mich interessiert: Musik und Literatur."

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