Musiker Heinz Rudolf Kunze: "Es ist meine Sache, wie ich rede"
Mit poetischen Liedern ist Heinz Rudolf Kunze seit den 80ern erfolgreich. Mit "Auf frischer Tat ertappt" erscheint am Freitag sein neues Live-Album. Im Interview spricht der Musiker, der gerne aneckt, über seine Themenwahl und Gefahren für die Demokratie.

Herr Kunze, Ihr neues Live-Album ist auch ein Rückblick auf 40 Bühnenjahre. Sie haben im Laufe Ihrer Karriere mehrere Hundert Lieder veröffentlicht. Wie schwer war es, daraus 21 Songs für die CD auszusuchen?
Heinz Rudolf Kunze: Das ist immer eine schwierige Entscheidung, bei der der Faktor Zufall auch eine große Rolle spielt. Es hätten auch andere Lieder ausgewählt werden können. Was es am Ende entscheidet, weiß ich selbst nicht so genau. Man macht das instinktiv. Ich entscheide das auch zusammen mit meinem Schlagzeuger Jens Carstens, einem großartigen Programmplaner. Ich schütte ihm einen Sack mit 50 Titeln aus, und dann einigen wir uns gemeinsam auf die Auswahl.
Sie haben schon immer sozialkritische Texte geschrieben. Haben sich die Themen in Ihren Liedern über die Jahrzehnte verändert?
Kunze: Natürlich hat sich alles verändert, die Welt ist nicht mehr die gleiche wie vor 40 Jahren. Deshalb ändern sich auch die Themen. Und man selbst ja auch. Ich bin kein aufschäumender, aufbegehrender junger Mann mehr, sondern eher ein Mann mit einiger Lebenserfahrung. Man hat zwar eine gewisse Gelassenheit bekommen, aber es gibt immer noch Dinge, die einen aufregen. Und darüber schreibe ich.
Worum geht es Ihnen?
Kunze: Meine Texte handeln von öffentlichen Angelegenheiten, davon, was uns als Nachrichtenaufnehmer, was das Fernsehen, Radio, das Internet und die Zeitungen beschäftigt. Es ist mein Job und mein Privileg, mir öffentlich darüber Gedanken zu machen. Aber im Grunde könnte das jedem durch den Kopf gehen, der einigermaßen wach durch unsere Gegenwart geht.
Sie sind jemand, der aneckt mit dem, was er sagt. Wie gehen Sie damit um, wenn Ihre Aussagen in rechten Kreisen ein Echo finden?
Kunze: Das ärgert mich sehr. Ich habe ein Lebenswerk vorgelegt, aus dem ganz klar hervorgeht, wo ich stehe: nämlich mitten in der demokratischen Mehrheit der Gesellschaft. Und es ist bekannt, dass vor allem durch die neuen Medien ein eklatanter Missbrauch mit Aussagen betrieben werden kann. Ich weiß gar nicht, wie viele Shitstorms ich wirklich bekomme, mein Management schirmt mich dankenswerterweise ein wenig ab. Man ist gegen Missverständnisse zwar nicht gefeit. Wer aber nicht böswillig ist oder absolut dämlich, wird mich auch richtig verstehen.
Wo steuert unsere Gesellschaft denn im Moment hin?
Kunze: Ich sehe unsere Demokratie in größter Gefahr. Sie ist in einem Rückzugsgefecht im Inland und wird aus dem Ausland bedroht. Im Inland gibt es einen Zangenangriff von den rechtsextremen Rändern, aber auch von linksradikalen. Die demokratische Mitte wird von allen Seiten attackiert, sie wird auszuhöhlen versucht. Dazu kommt die internationale Lage, Länder und Regierungen um uns herum, die durchdrehen und nach rechts abdriften.
Wie kommen wir da wieder raus?
Kunze: Tja. Auf jeden Fall durch härteres Arbeiten. Dadurch, dass wir versuchen unseren Status als Wissenschaftsnation Nummer eins, den wir vor 100 Jahren mal hatten, vielleicht ein wenig wiederzugewinnen. Wenn die jungen Leute nicht die Köpfe qualmen lassen, gerade in den Naturwissenschaften, um auf Lösungen zu kommen, die auch die ökologischen Probleme unserer Zeit lösen können, dann sieht es finster aus.
Sie haben sich schon mehrfach gegen das Gendern geäußert. Was genau stört Sie daran?
Kunze: Der erste Impuls, der mich daran stört, ist ein ästhetischer. Es quält mich, so wie Eric Clapton ein falscher Ton auf einer E-Gitarre quält. Der zweite Punkt ist: Es ist meine Sache, wie ich rede und wie ich Respekt zum Ausdruck bringe. Man kann auch das generische Maskulinum verwenden und damit alle Menschen respektieren. Man muss nicht gendern, um respektvoll über andere Menschen zu denken. Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, wie ich zu reden habe.
Wer schreibt es Ihnen denn vor?
Kunze: Mir als Freiberufler wird es im Moment noch nicht vorgeschrieben. Aber es ist eine Tatsache, dass Menschen in Institutionen ihre Jobs verlieren, wenn sie es nicht machen. Ich habe schon von solchen Fällen gehört.
Sie waren viele Jahre SPD-Mitglied, sind 1996 aber aufgrund der Rechtschreibreform ausgetreten. Haben Sie diese Entscheidung je bereut?
Kunze: Ich habe es nie bereut, bin keiner anderen Partei beigetreten und habe das auch nicht vor in meinem Leben. Ich suche mir meine Wahrheiten, wo ich sie punktuell finde. Die Rechtschreibreform hat sich als eine echte Katastrophe erwiesen, jetzt kann keiner mehr richtig schreiben - weder die Schüler, noch die Lehrer. Ich kenne Personen, die in der ersten Reform-Kommission aktiv mitgearbeitet haben. Es gibt kaum etwas, das sie in ihrem Leben mehr bereuen.
Sie sind Anhänger von Werder Bremen, haben dem Verein sogar schon einen Song geschrieben. Werden Sie die Fußball-WM in Katar verfolgen?
Kunze: Ich glaube, dass ich das kaum verhindern kann. Das ist bei mir so wie mit dem Vegetarismus. Ich bin im Prinzip dafür, aber ich schaffe es nicht. Natürlich sollte man aus hochmoralischen Gründen diese WM boykottieren, aber dafür bin ich dann wohl zu neugierig. Ich habe auch menschliche Schwächen.
Zur Person
Heinz Rudolf Kunze wurde am 30. November 1956 im nordrhein-westfälischen Espelkamp-Mittwald geboren. Er arbeitet als Sänger, Schriftsteller und Musicaltexter. Seit dem Jahr 1981 hat Kunze 29 Studioalben veröffentlicht. Seinen bis heute größten Erfolg hatte er 1985 mit der Single "Dein ist mein ganzes Herz". Bislang hat Kunze 489 Lieder veröffentlicht und nach eigenen Angaben weitere 5700 Texte geschrieben.

Stimme.de