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Ideen gegen den Publikumsschwund in Theatern und Konzertsälen

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Trotz weitestgehend weggefallener Corona-Maßnahmen sind viele Vorstellungen am Theater und viele Konzertsäle nur schlecht besucht, das Publikum scheint skeptisch. Woran das liegen könnte, darüber haben wir mit der Publikumsforscherin Birgit Mandel gesprochen.

Der deutsche Bühnenverein hat vor kurzem düstere Zahlen vorgelegt. Die Zuschauerzahlen sind im Hinblick auf die letzte Spielzeit vor Corona massiv, um 86 Prozent, zurückgegangen. Vielen Kulturinstitutionen geht es ähnlich. Ist die Pandemie schuld, oder hat sie nur den Trend verstärkt?

Birgit Mandel: Zweiteres. Die klassischen Kultureinrichtungen leiden schon länger unter den demografischen Veränderungen. Sie werden verstärkt von einem Klientel besucht, das älter, gebildet und sozioökonomisch besser gestellt ist. Diese Leute sind offensichtlich ängstlicher, gingen wegen Corona zunächst zwangsmäßig nicht mehr ins Theater und in Konzerte - sind aber auch nicht wiedergekommen. Das ist besorgniserregend. Denn diese Gruppe war und ist die sichere Bank der großen Kultureinrichtungen.

 

Gibt es Unterschiede zwischen Kultureinrichtungen in ländlichen Regionen und in größeren Städten?

Mandel: Wir haben dazu noch keine Statistiken, aber Beobachtungen. In kleinen Städten und in ländlichen Räumen ist die Situation schlimmer. In den urbanen Zentren wie Berlin gibt es ein relativ großes Klientel, das zu den potenziell regelmäßigen Kulturbesuchern gehört. Und es gibt ein größeres Klientel, das genau deshalb in Berlin lebt, weil es dieses breite Kulturangebot gibt.

 

Wovor haben die Menschen Angst?

Mandel: Ich glaube, bei der angesprochenen Bevölkerungsgruppe ist es eine ganz konkrete Angst, sich anzustecken und unter Umständen schwer an Corona zu erkranken oder sogar daran zu sterben. Dazu kommt, dass viele Einrichtungen selbst entscheiden können, ob die Maskenpflicht weiter gilt. Viele Leute finden es anstrengend, zwei bis drei Stunden eine Maske zu tragen. Und: Viele haben inzwischen auch eine Abneigung gegen größere Menschenmengen, ein Gewöhnungseffekt durch die Pandemie.


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Welche Rolle spielt Bequemlichkeit?

Mandel: Eine gewichtige. Viele Menschen haben sich in der Pandemie an die neue Situation gewöhnt, sich noch mehr ins Private zurückgezogen. Dank Home Entertainment kann man sich Arthaus-Filme in Mediatheken anschauen, sich Theateraufführungen online ansehen, entspannt auf dem Sofa mit einem Glas Wein.

 

Ist diese Entwicklung auch bei jüngeren Menschen zu beobachten?

Mandel: Nein, die Jüngeren wollen feiern und andere Leute treffen. Pop-Konzerte und Festivals boomen wieder. Aber diese Altersgruppe geht eben seltener in die klassischen Kultureinrichtungen.

 

Wie können Kultureinrichtungen der Entwicklung entgegenwirken?

Mandel: Aus der Publikumsbindungsforschung weiß man einige Dinge. Am allerwichtigsten ist, Programme anzubieten, die für viele Menschen attraktiv sind. Das ist meiner Beobachtung nach in öffentlichen Kultureinrichtungen nicht immer getan worden. Es ging oft eher darum, Programme zu entwickeln, die den Machern gefallen. Das ist einerseits natürlich wunderbar, und Innovationen sind sehr wichtig. Andererseits hat man sich möglicherweise nicht genug darum gekümmert, nachzufragen, was für viele Menschen jenseits der eigenen Peer-Group und jenseits des Stammpublikums attraktiv und relevant sein kann. Unattraktiv ist zum Beispiel, ganz banal, wenn Inszenierungen am Theater zu lange gehen.

 

Was ist den Besuchern noch wichtig?

Mandel: Die Menschen wünschen sich, so das Ergebnis unserer Bevölkerungsbefragung 2020, Inszenierungen, die unterhaltsam sind, die vielleicht interdisziplinärer angelegt sind und musikalische Elemente haben. Humor spielt auch eine wichtige Rolle. Man kann solche Interessen wahrnehmen, ohne dass man die Kunstautonomie aufgibt, indem man weniger für ein Fachpublikum denkt, sondern auch für Leute, die einen Arbeitstag hinter sich haben und verständlicherweise auch gut unterhalten werden wollen.

 

Auch das Drumherum ist wichtig.

Mandel: Ja, man sollte auch die soziale Dimension der Künste stärken, dass es vielleicht im Anschluss an ein Programm etwas zu essen oder trinken gibt, es einen geselligen Teil gibt, wo Menschen sich treffen können. Wichtig ist auch PR und Marketing, also wie einladend man eine Veranstaltung im Vorfeld ankündigt. Möglich ist auch, bestimmte Gruppen, für die eine Veranstaltung interessant sein könnte, sei es über Vereine, Betriebe etc. konkret anzusprechen und einzuladen.

 

In einem Interview, das der Deutschlandfunk mit Ihnen geführt hat, wurde die Idee eines 9-Euro-Tickets für Kulturveranstaltungen durchgespielt. Halten Sie eine solche Flatrate wirklich für sinnvoll?

Mandel: Es ist eine interessante Überlegung, die durchaus realistisch ist. Man kann das aber ähnlich wie beim Verkehr nur auf begrenzte Dauer machen, weil das sonst nicht finanzierbar ist und auch nicht der Wertigkeit einer kulturellen Veranstaltung entspricht. Aber ich glaube, dass man dadurch viele Leute auf den Geschmack bringen und Gelegenheitskulturnutzer damit gut mobilisieren könnte, vor allem dann, wenn man die Aktion mit einer PR-Offensive, einem Starterprogramm für Neueinsteiger und vielfältigen Vermittlungsaktionen verbinden würde. Neun Euro sind aber vielleicht zu wenig, 20 Euro pro Monat wären angemessener.

 

Frau Mandel, was denken Sie im Hinblick auf Corona und Kultur wie der Herbst werden wird?

Mandel: An Schließungen glaube ich nicht. Aber ich gehe davon aus, dass Maskenpflicht und Abstandsregeln zurückkommen. Dramatischer wird es jedoch nicht. Denn: Viele Kulturinstitutionen sind hochsubventioniert, und nur 15 Prozent der Kosten etwa der öffentlichen Theater werden durch Publikumseinnahmen gedeckt. Das macht ökonomisch nicht so viel aus. Es ist eher eine Frage der Legitimation. Wollen wir uns ein so stark subventioniertes Kulturssystem leisten, wenn es nur so wenige Menschen nutzen? Das ist eine politische Frage, und der politische Konsens ist zum Glück noch pro Kunst und Kultur.


Zur Person

Birgit Mandel, Jahrgang 1963, ist Professorin für Kulturvermittlung und Kulturmanagement und Direktorin des Instituts für Kulturpolitik an der Universität Hildesheim. Sie hat bislang diverse Forschungsprojekte an der Schnittstelle von Kulturvermittlung, kultureller Bildung, Audience Development, Kulturmanagement und Kulturpolitik sowie Besucherstudien und Bevölkerungsbefragungen durchgeführt. Darüber hinaus ist sie Autorin zahlreicher Publikationen im Bereich Kulturvermittlung und Kulturmanagement.

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