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Europäischer Dramatikerpreis wird wegen Antisemitismusvorwürfen nicht an Caryl Churchill verliehen

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Wieso hatte die Jury nicht registriert, dass die britische Autorin Caryl Churchill seit langem die israelkritische Boykottbewegung BDS unterstützt?  Eine Ministeriumssprecherin nennt den Rückzug ein „klares Eingeständnis eines Versäumnisses“.

Antisemitismusvorwurf: Vergeben vom Schauspiel Stuttgart, gefördert vom Kunst-Ministerium, erhält Caryl Churchill nicht den Europäischen Dramatikerpreis.
Antisemitismusvorwurf: Vergeben vom Schauspiel Stuttgart, gefördert vom Kunst-Ministerium, erhält Caryl Churchill nicht den Europäischen Dramatikerpreis.  Foto: Sebastian Gollnow (dpa)

Wegen Antisemitismusvorwürfen gegen die britische Autorin Caryl Churchill wird der Europäische Dramatikerpreis, den das Schauspiel Stuttgart seit 2020 verleiht, in diesem Jahr nicht vergeben. Gefördert wird die mit 75.000 Euro dotierte Auszeichnung vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.

Im April hatte die Jury, der mit Barbara Engelhardt, Intendantin Theater Maillon Straßburg, Peter Kümmel, Theaterkritiker von "Die Zeit", Autor und Jury-Vorsitzender Peter Michalzik, Thomas Ostermeier, Künstlerischer Leiter der Schaubühne Berlin, und Petra Olschowski in ihrer damaligen Funktion als Staatssekretärin, Kenner der Theaterszene angehören, Churchill die Ehrung zugesprochen. Für ein Gesamtwerk, "das nicht an den aktuellen politischen Frontlinien steht, sondern für ein Schreiben, das sich aus der großen europäischen Tradition herschreibt und gesellschaftliche Konflikte thematisiert".

Eines ihrer Stücke trage judenfeindliche Züge

Der Vorwurf an die 84 Jahre alte Dramatikerin, so die Recherche des Journalistennetzwerks Ruhrbarone: Caryl Churchill unterstütze seit langem die israelkritische Boykottbewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions). Zudem trage ihr Stück aus dem Jahr 2009 "Seven Jewish Children" antisemitische Züge.

Am Dienstag dann formulierte das Stuttgarter Schauspiel seine Pressemitteilung: Nach erneuter Beratung habe die Jury beschlossen, ihre Entscheidung zurückzuziehen. "Zum Wochenende waren Informationen bekannt geworden, die der Jury bisher nicht vorlagen." Und auch die Landesregierung hat sich der Juryentscheidung angeschlossen und Kunstministerin Olschowski zitiert: "Wir tragen in Deutschland eine besondere historische Verantwortung. Deshalb positionieren wir uns als Land klar gegen jegliche Form von Antisemitismus."

Man hätte besser hinsehen müssen

Wie aber konnte es überhaupt dazu kommen, dass eine ausgewiesene Fachjury das, was Thomas Wessel vom Journalistennetzwerk Ruhrbarone als "Agitprop vom Gröbsten" bezeichnet, nicht wahrgenommen hatte? Weder das Schauspiel Stuttgart noch das Ministerium können darauf eine klare Antwort geben. "Sicherlich" hätte man besser hinsehen müssen. Eine Parallele zum Kommunikationsdesaster während der Kunstschau Documenta, die in die Kritik geriet aufgrund der BDS-Nähe einiger Künstler, weist Denise Burgert zurück, Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.

"Die Jury, Schauspiel und Politik haben unmittelbar reagiert." Die Preisentscheidung zurückzuziehen sei ein "klares Eingeständnis eines Versäumnisses", so die Sprecherin auf Anfrage unserer Zeitung.

Und wer hat Caryl Churchill die Botschaft überbracht, dass sie den Europäischen Dramatikerpreis nun doch nicht am 20. November erhält? "Die Jury ist mit Frau Churchill in Kontakt getreten. Burkhard Kosminski hat auch mit ihr gesprochen", sagt Julia Schubert, Pressesprecherin vom Schauspiel Stuttgart.

Wie die Autorin reagiert?

Und wie hat die Autorin reagiert? "Dazu wird Schauspielintendant Kosminski in dieser Woche nichts sagen", bittet Schubart "um Verständnis". Der Europäische Nachwuchs-Dramatikerpreis indes wird wie geplant verliehen: an die ukrainische Autorin Lena Lagushonkova.

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