Ein heiß begehrter Hebel: "Die Zeitmaschine" von Brian Bell wird im Theater Heilbronn uraufgeführt
Was bei H.G. Wells Dystopie war, wird bei Autor und Regisseur Brian Bell zur Komödie. Die Neudeutung des berühmten Science-Fiction-Klassikers reißt interessante Fragen an und bietet ein überdrehtes Bühnenspektakel. Vom Premierenpublikum gab es viel Beifall.

Viel halten sie von diesem Ding, das da mitten im Raum steht, zunächst ja nicht. Pfeffermühle nennt es der eine. Aufgehübschter Besenstiel, ein anderer. "Es sieht nicht nach viel aus", räumt der Professor, der das Ding erfunden hat, ein, "aber der Schein trügt." Der Mann soll Recht behalten. Denn der aufgebockte schwarze Kasten mit den goldenen Rädchen, vier Zifferblättern und dem langen Hebel hat es in sich, kann man mit ihm doch durch die Zeit reisen. Eine Fähigkeit, die schließlich alle drei skeptischen Gäste des Professors noch in Versuchung führen wird.
Mit "Die Zeitmaschine" schuf H.G. Wells einen Klassiker der Science-Fiction-Literatur. Im späten 19. Jahrhundert geschrieben, hinterfragt der englische Autor in seinem dystopischen Roman das damals herrschende Klassensystem, indem er es auf satirische Weise mit der Evolutionstheorie verknüpft.
Mehrfach wurde der Stoff bereits verfilmt
Bei seinem Aufenthalt in der Zukunft muss der Zeitreisende feststellen, dass sich die menschliche Spezies geteilt hat. Die müßigen, kindlichen Elois leben auf der Erdoberfläche, die monströsen Morlocks schuften in unterirdischen Schächten und ernähren sich von den Elois. Mehrfach wurde die Geschichte schon verfilmt, wobei jede Leinwandadaption andere Akzente setzte: 1960 ging es um Krieg und Pazifismus, 2002 um eine planetare Umweltkatastrophe.
Autor und Regisseur Brian Bell interessiert sich nun vor allem für die Frage, welche Macht von neuen Technologien ausgeht. Und was es für Konsequenzen hat, wenn sie in die falschen Hände geraten. Ein ernstes Thema, sollte man meinen. Der 39 Jahre alte Texaner präsentiert es jedoch in seiner Version von "Die Zeitmaschine" verpackt in einem überdrehten Bühnenspektakel. Dessen Uraufführung im Komödienhaus des Heilbronner Stadttheaters am Samstagabend wurde vom begeisterten Publikum mit viel Beifall bedacht.
Flunkerei oder Prophezeiung? Dem experimentierfreudigen Pionier will niemand glauben
Was bei Wells den Raum des ganzen Romans einnimmt, ist bei Bell lediglich der Ausgangspunkt der Bühnenhandlung: Der Zeitreisende, ein experimentierfreudiger Pionier (Sven-Marcel Voss), ist zurückgekehrt ins London des Jahres 1895 und berichtet von seinen Erlebnissen mit den Eloi und Morlocks. Flunkerei oder Prophezeiung? Weil ihm seine ausgewählten Gäste nicht glauben wollen, er sie für die Markteinführung seiner Erfindung aber braucht, muss er die bunte Truppe von der Funktionsfähigkeit des Apparats erst überzeugen.
Das nutzt Brian Bell, um auch das Erzählen von Zeitreisen an sich zu thematisieren. Reihum lässt er den verpeilten Arzt Dr. Stephen Goodbury (Lion Leuker), den sexistischen Rechtsanwalt Mr. Travis Cunningham (Lucas Janson) und die toughe Journalistin Cybil Wittington (Judith Lilly Raab) an den Hebel.
Video- und Soundeffekte machen die Zeitreise auf der Bühne erfahrbar
Vom bis obenhin mit Krimskrams vollgestopften Labor aus begeben sie sich zu zeitlich zurück- oder vorausliegenden Schauplätzen (Ausstattung: Daniel Unger). Videodesigner Stefan Bischoff verneigt sich vor Stanley Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum", wenn er die Trips mittels Videoprojektionen und Soundclips in Szene setzt.
Wie viel Fortschrittsoptimismus ist gut? Wann schlägt Technologieglaube in Fanatismus um? Wer oder was entscheidet über den Gang der Geschichte? Brian Bells "Zeitmaschine" bietet viele interessante Anknüpfungspunkte für weitere Diskussionen. Unter dem komödiantischen Rummel, den das bestens aufgelegte Ensemble veranstaltet, drohen sie jedoch fast unterzugehen.
So mischt die Inszenierung munter Elemente der Culture-Clash-, Screwball- und Slapstick-Komödie mit doppeldeutigen Witzchen und Running Gags, wobei der Humor mitunter etwas albern ist. Am Ende steht die Einsicht, die sich auch gut als Kalenderspruchweisheit macht: "Das Leben wird in der Gegenwart gelebt."
Hintergrund: Zum Autor
Der englische Schriftsteller Herbert Georg Wells (1866-1946) ist heute vor allem für seine Science-Fiction-Romane bekannt. Mit Büchern wie "Die Zeitmaschine", "Der Unsichtbare" und "Krieg der Welten" prägte er das Genre. Auch sah er in seinen literarischen Werken spätere Erfindungen wie die Atombombe vorher. Daneben schrieb der Historiker und Soziologe aber auch realistische Romane.
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