Der Prophet kann kein Mensch sein
Bejubelte Premiere: Kay Wuschek inszeniert "The Who and the What" von Ayad Akhtar im Großen Haus des Theaters als unterhaltsamen Abend.

Jeder Satz ist eine Provokation, in dem Buch, das Zarina über den Propheten schreibt. Der Islam, eine Religion, die die Frauen zu einem unglücklichen Leben zwingt, seit Jahrhunderten unterdrückt. Basierend auf Missverständnissen und Fehlinterpretation. Doch Ayad Akhtar stellt seine Fragen nach der Richtigkeit von Glaube und Tradition in "The Who and the What" nicht mit erhobenem Zeigefinger.
Stattdessen packt er seine vielschichtige Auseinandersetzung in eine zum Kammerspiel verdichtete Familienkomödie. Am Samstagabend feierte das Stück in der Inszenierung von Kay Wuschek im Großen Haus Premiere. Zwei Stunden voll witziger Dialoge und fundamentaler Kritik, die ein spielfreudiges Ensemble getragen von starken Einzelleistungen auf die Bühne bringt.
Frage von Liebe
Die Fragen nach dem Wer und dem Was von Familie und Tradition, von Liebe und Religion werden in Dialogen aufgebaut. Jedes Gespräch - zwischen den Schwestern, den Töchtern mit ihrem Vater, zwischen Zarina und Eli sowie zwischen Eli und seinem Schwiegervater - wirft einen neuen Blick auf das Selbstverständnis der Figuren und ihr Verständnis der eigenen kulturellen Identität - immer locker, humorvoll und witzig.
Die Handlungsebenen spiegeln sich kongenial im Bühnenbild wider, das fast vollkommen auf Requisiten verzichtet und gleichzeitig besticht (Bühne: Tom Musch). Die große Holzplatte, die optisch an Kork erinnert, eröffnet den Schauspielern immer neue Räume. Die beige-braune Kargheit kontrastiert zugleich gelungen mit den knalligen Kleidungsstücken der Schwestern (Kostüme: Cornelia Kraske). So bunt wie ihre Outfits auf den ersten Blick, so modern scheint auch ihr Leben - oder nicht?
Gleich zu Beginn sprechen die Schwestern Zarina (Sarah Finkel) und Mahwish (Romy Klötzel) über Liebe und Sex oder besser Analsex, zu dem sich die verheiratete Mahwish von ihrem Zukünftigen drängen lässt, um als Jungfrau in die Ehe zu gehen - eine von vielen Provokationen, die im Laufe der Aufführung Sprengkraft besitzt. Dass sie mit dieser Ehe nicht glücklich ist, ist nicht wichtig.
Ganz anders ist Zarina, die alles hinterfragt und vieles schlicht nicht mehr hinnehmen will: "Ich hasse, was der Glaube uns antut. Die Sache mit dem Schleier ist die Krönung." Das Schreiben ist für sie eine Befreiung, eine Auseinandersetzung mit sich und mit der Rolle der Frau, ein emanzipatorischer Akt.
Der perfekte Ehemann
Denn sie ist es auch, die erleben muss, dass der Vater mit ihrer Beziehung zu einem Nicht-Moslem nicht einverstanden ist. Dabei lernen die Zuschauer den Vater Afzal (Stefan Eichberg) als sympathischen und liebevollen Mann kennen, der nur das Beste für seine Töchter will. Und der, wenn es um technischen Fortschritt geht, durchaus modern ist ("Papa hat die Emojis für sich entdeckt"). Sein Plan, einen gläubigen Muslim für Zarina zu finden, der genügend Geld verdient, funktioniert. In Eli (Arlen Konietz) scheint er den perfekten Kandidaten gefunden zu haben. Vermeintlich.
Wie leicht und modern das Leben trotz der vielen Widersprüche daherkommt, spiegelt ein poppiges Musikvideo, das Zarinas und Elis Hochzeit zeigt und in dem arabische Schriftzeichen und Emojis um die Wette blinken. Die Zuschauer haben viel zu lachen - und doch muss einem spätestens in der zweiten Hälfte das Blut in den Adern gefrieren, auch angesichts der brutalen Aktualität, wenn Afzal zu Eli sagt: "Sie wird erst glücklich, wenn du sie brichst."
Schwester und Vater sind schockiert
Es kommt zum Eklat. Mahwish und Afzal sind schockiert von Zarinas Buch, das Mohammed als Menschen beschreibt, mit Unsicherheiten und Begierden. Eli steht zu seiner Frau, ein Plädoyer für die Liebe, während Mahwisch vor Scham weinend zusammenbricht. Vom Vater wird Zarina verstoßen. Doch so düster endet das Stück nicht. Ein Jahr später bahnt sich Versöhnung an, Zarina ist schwanger, Afzal wird Großvater und zum Ende gibt"s nochmal einen Witz. Viel Jubel und Applaus für einen unterhaltsamen Abend.
"The Who and the What" erzählt von pakistanischen Einwanderern, die im westlich-liberalen Amerika Fuß gefasst haben. Vater Afzal, liberaler Muslim mit rigiden Vorstellungen von Religion, ist in Atlanta zum erfolgreichen Taxi-Mogul aufgestiegen und kümmert sich alleine um seine beiden Töchter: Mahwish, die wie es sich für eine Muslima gehört, einen Mann geheiratet hat, den sie seit ihrem neunten Lebensjahr kennt. Und um Zarina, für die er über www.muslimlove.com einen Ehemann sucht und Eli findet. Sie heiraten. Alles scheint sich nach den Vorstellungen des Vaters zu entwickeln, bis er Zarinas fiktiven Roman über den Propheten Mohammed zu lesen bekommt. Der Schriftsteller, Dramatiker und Schauspieler Ayad Akhtar, 1970 als Sohn pakistanischer Einwanderer in New York City geboren, studierte Theater an der Brown University. Mit "Disgraced" gewann 2013 den Pulitzer Theaterpreis.