Sinsheim
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Sinsheimer Künstlerin gibt mit der Aktion „Kunst gegen Missbrauch“ den Opfern der katholischen Kirche eine Stimme

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114.000 Schnuller will die Künstlerin Nessi Nezilla sammeln. Sie stehen für die Opfer des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Die Schnuller möchte sie möglichst einprägsam präsentieren und den Opfern damit eine Stimme geben.

Wer zu Nessi Nezilla will, der muss sich entweder sehr gut auskennen im Sinsheimer Stadtteil Weiler oder eine Wegbeschreibung bekommen haben. Denn die Künstlerin hat sich keine Räume in einem schicken Loft oder unter dem Dach eines alten Bauernhauses ausgesucht, sondern arbeitet in einer der Hallen des Sinsheimer Steinbruchs. Rein kommt nur, wem sich das große Tor öffnet – und wer von ihrem Hund Floki durchgelassen wird.

Schatten als künstlerisches Thema

„Er ist sehr lieb, aber auch ein bisschen eifersüchtig“, sagt Nessi Nezilla. Der zweijährige Rüde unternimmt regelmäßig Ausflüge mit dem Mitarbeitern des Steinbruchs und ist Nessi Nezillas Schatten. „Er kommt wirklich überall mit hin.“ Ob Zufall oder nicht: Schatten ist auch ihr künstlerisches Thema. Dabei hat sie sich von Carl Gustav Jung inspirieren lassen. Laut des Psychiaters ist in jedem Mensch etwas Schlechtes, das er akzeptieren muss, um ein vollkommener Mensch zu sein.

Wer also durchs Tor und am Hund vorbei gekommen ist, der steht als erstes in einer großen Halle mit riesigem Spiegel, einem langen, mit Design- und Kunstbüchern übersäten Tisch und vielen Bildern an den Wänden. Im Hintergrund singt Lemmy Kilmister von Motörhead. „Das ist meine Denkwerkstatt“, sagt Nessi Nezilla. Die Halbitalienerin hat in Luzern ihren Master in Design gemacht, „eigentlich aus Vernunftsgründen“, und bis vor kurzem vorwiegend Bilder gemalt, die auch in New York ausgestellt wurden. Mittlerweile konzentriert sie sich auf Installationen. „Ich wollte gerne mehr und eine Message vermitteln.“

Den Opfern eine Stimme geben

Das möchte sie auch mit ihrem neuesten Projekt „Kunst gegen Missbrauch“ erreichen und den Opfern der katholischen Kirche eine Stimme geben. „Ich fand diese Machtstrukturen schon immer komisch“, erzählt Nessi Nezilla. Sie selbst ist mit 18 Jahren aus der Kirche ausgetreten. Für ihre Aktion will sie insgesamt 114.000 Schnuller sammeln. Jeder steht für ein Missbrauchsopfer.

Wie viele Kinder und Jugendliche tatsächlich von sexualisierter Gewalt betroffen waren und sind, kann niemand genau sagen. Der MHG-Studie zufolge sollen etwa 3677 Minderjährige von 1670 katholischen Klerikern missbraucht worden sein. Hochrechnungen der Wissenschaftler ergaben dann eine Dunkelziffer von 114.000 Personen. „Die Opfer bekommen bis heute zu wenig Anerkennung“, sagt die Sinsheimerin. „Obwohl sie viel kämpfen und immer wieder darüber sprechen. Aber es passiert nichts.“ Die Schnuller stehen laut Nessi Nezilla für die Kinderseelen, die durch den Missbrauch zerstört wurden.

Jeder soll das Ergebnis sehen und sich damit auseinander setzen

Sie sollen nicht irgendwo an einer Schnur aufgereiht, sondern in 45 großen Glaskreuzen präsentiert werden. „Ich möchte unbedingt dieses Material, nichts billiges aus Plexiglas oder so“, erzählt sie. Um das Volumen zu berechnen, gibt es bereits einen Prototyp aus Holz. Genau 2533 Schnuller können in jedem Kreuz Platz finden. Dieser „Friedhof für Kinderseelen“ soll, wenn es nach der Künstlerin geht, auf jeden Fall auf einem öffentlichen Platz stehen, „damit es jeder sehen und sich damit auseinander setzen kann“.

Den katholischen Glauben greift Nessi Nezilla ausdrücklich nicht an. Das betont sie mit Nachdruck. Schließlich gebe es viele Personen, die etwas ändern wollen an den bestehenden Strukturen. „Ich frage mich allerdings, warum sich innerhalb dieses Konstrukts noch immer selbst gerichtet werden darf.“

Plakate und Flyer sollen auf das Projekt aufmerksam machen

Bisher hat sie rund 100 Schnuller zusammengetragen. „Aber wir fangen gerade erst an.“ Gemeinsam mit ihrer Künstlermanagerin Dorothea Günther fragt sie vor allem in Kindergärten in der Region an. Außerdem soll es Sammelstationen geben. Um so viele Menschen wie möglich auf das Projekt aufmerksam zu machen, hat Nessi Nezilla außerdem Plakate und Flyer drucken lassen, die verteilt werden sollen. Nach und nach möchte sie ihren Radius erweitern. „Ich weiß, dass sowas nicht in ein paar Wochen erledigt ist“, sagt sie. „Aber vielleicht können wir den Opfern über die Kunst die nötige Aufmerksamkeit geben.“

Kontakt 

Wer einen Schnuller, egal ob neu oder alt, spenden möchte, kann diesen entweder als Paket an die Postnummer 1062404692 und die Packstation 168 in 74889 Sinsheim oder per Brief an das Postfach 1216 in 74872 Sinsheim schicken. In beiden Fällen ist die Empfängerin Nessi Nezilla. „Jeder, der einen Schnuller einsendet, setzt ein Zeichen gegen Missbrauch“, sagt die Sinsheimer Künstlerin, die jüngst mit dem Düsseldorfer DA!Art-Award ausgezeichnet wurde. Im September stellte sie im Zuge der Automobilwochen in St. Moritz ihre neustes und vier Meter hohes Kunstwerk „Paper Bomb“ aus – ein Mahnmal für Frieden und Abrüstung.

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