Schnipp-schnapp, Äste ab
Beim Obstbaum-Schnittkurs von Frauen für Frauen in Bieringen tauscht Redakteurin Tamara Ludwig Stift und Zettel gegen Säge und Schere. Was sie dabei gelernt hat? Ein radikaler Schnitt an jungen Bäumen ist Grundlage für optimalen Wuchs und Ertrag.

Schnipp, der Ast fällt zu Boden, liegt nun zusammen mit einigen ehemaligen Kameraden im braun-grünen Wintergras. "Das war der Falsche", sagt Marlene Schönbein plötzlich. Was? Oh nein! Das Lachen einer Handvoll Frauen erklingt, auch Schönbein lächelt: "Nicht schlimm, das passiert", sagt sie.
Ich richte noch einen entschuldigenden Blick in Richtung Apfelbaum, und schon rückt der nächste Ast ins Visier der Gruppe. "Der wächst nach innen, das wollen wir nicht", erklärt Schönbein. Kreisförmig stehen die Frauen um den Baum, den Blick nach oben auf besagten Ast gerichtet - als huldigten sie einer Gottheit.
Männer sucht man vergebens
Tatsächlich sind die 22 Frauen an diesem Samstagmorgen aber nach Schöntal-Bieringen gekommen, um zu lernen, wie man Obstbäume richtig in Form bringt. In Kleingruppen von drei Fachfrauen betreut, arbeiten sich die Teilnehmerinnen über eine Streuobstwiese unweit der Jagst. Männer gibt es bei diesem Kurs des Obst- und Gartenbauvereins Kocher/Jagst keine.

"Das hat sich bewährt", erklärt die Obst- und Gartenfachwartin Marlene Schönbein, während ihr die Frauen wie eine treue Herde den Hang hinab folgen. Bereits im vergangenen Jahr habe man einen solchen Kurs von Frauen für Frauen angeboten und sei auf große Resonanz gestoßen, erklärt Schönbein. Ein Grund, da ist sie sicher: "Viele Frauen trauen sich mehr zu, wenn keine Männer dabei sind."
Beherzter Griff zur Säge
Dann geht es dem nächsten Baum an den Kragen. Ich blicke nach oben, erspähe einen dicken Ast, der einen Riss hat. Beherzt greife ich zur Säge. "Der hier kann weg, oder?", vergewissere ich mich dieses Mal lieber. Schönbein nickt. Also los. Der Teleskopstab ermöglicht, die gewünschte Schnittstelle oben im Baum ohne Leiter zu erreichen.
Noch etwas ungeschickt bewege ich das sichelförmige Sägeblatt vor und zurück, vor und zurück. Holzspäne rieseln auf mich herab, sprenkeln Haare und Kleider mit hellbraunen Punkten. Einer landet in meinem linken Auge. Verdammt! Trotzdem säge ich weiter. Nach einigen ruckeligen Zügen ist es geschafft. Der Ast ist ab und landet im Gras.
"Gut gemacht", lobt Schönbein. Das Auge noch zusammengekniffen, lächle ich schief, aber glücklich. Doch die Arbeit ist lange nicht erledigt. Weitere Äste müssen weichen, damit ein sinnvoller Wuchs erreicht wird.

So langsam zwängt sich die Sonne durch die dünne Schicht aus Hochnebel und strahlt wärmend auf die Streuobstwiese. Die ersten Jacken werden zur Seite gelegt, die Waffen gezückt: Mit Scheren und Sägen rücken die Frauen dem Baum zuleibe. Neben Ästen, die nach innen oder gar unten wachsen, die Bruchstellen und Risse haben, sind es vor allem sogenannte Wassertriebe oder Wasserschosser, die den Kursteilnehmerinnen zum Opfer fallen.
Wasserschosser, Fruchtäste und Leitäste
Wassertriebe sind vergleichsweise leicht an ihrem fast senkrechten Wuchs zu erkennen. "Aber warum müssen die überhaupt abgeschnitten werden?", will eine Teilnehmerin wissen. "Die Äste tragen nur selten Früchte", erklärt Schönbein. Zudem seien sie den Fruchtästen oftmals im Weg, und zu dichter Wuchs verhindere, dass genügend Sonne an die Früchte gelange. Die Wassertriebe wirkten sich insgesamt negativ auf die Vitalität des Baumes aus.
"Also alle wegschneiden?", folgert eine weitere Kursteilnehmerin und legt die Stirn in Falten. "Auf keinen Fall", erwidert die Expertin. "Einmal zu kräftig geschnitten, treibt er im nächsten Jahr wie verrückt aus." Viel Arbeit, wenig Ertrag sei das Ergebnis. Nicht nur den richtigen Ast finden, auch das richtige Maß finden ist also die Kunst des Obstbaumschnitts. "Es ist nicht immer leicht aufzuhören, wenn man mal am Schneiden ist", gibt Schönbein zu.
Verein
Der Obst- und Gartenbauverein Kocher-Jagst bietet regelmäßig Lehrgänge zu verschiedenen Themen an, wie Baumschnitt und -veredelung, Bienen- und Vogelkunde. Er berät zu Haus- und Nutzgärten. Wer Mitglied ist, erhält viele Kurse kostenlos. Der Jahresbeitrag kostet zehn Euro. Infos beim Vorsitzenden Ernst Waldvogel unter 07940 6318.
Oft sei das Problem auch, dass an jungen Bäumen zu wenig, an alten zu viel geschnitten werde, erklärt sie. Kein Wunder: Das Entsetzen ist den Frauen ins Gesicht geschrieben, als Fachwartin Monika Göltenboth an einem jungen Obstbaum Hand anlegt. Schnipp-schnapp, schnipp-schnapp bleiben von den gut 15 Ästen am Ende noch vier dünne Zweige, inklusive der fast senkrechten Stammverlängerung.
Und die verbleibenden, sogenannten Leitäste stutzt sie zudem noch, "damit sie etwa die gleiche Höhe haben". Sie sollen später einmal stark werden und das Grundgerüst für die Fruchtäste bilden. "Das ist so brutal, da blutet mir das Herz", murmelt eine Teilnehmerin fassungslos der anderen zu. Eine weitere meint: "Das würde ich nicht fertigbringen."

Optimaler Wuchs und Ertrag als Ziel
Doch der radikal anmutende Erziehungsschnitt sei die Grundlage, um später einen optimalen Wuchs und Ertrag zu bekommen, erklärt Göltenboth. Wie bei den Kindern sei das, folgert eine der Frauen und grinst verschmitzt unter ihrer Strickmütze hervor. "Was man bei den Kleinen versäumt, lässt sich später kaum mehr richten."
Diese Erfahrung teilen viele der Frauen im Kurs - bei ihren Bäumen, versteht sich. Bei den einen ist es der "völlig außer Kontrolle geratene" und "viel zu hohe" Kirschbaum, bei anderen der Apfelbaum, der vor lauter Wasserschossern "kaum noch atmen kann" und nur noch "einzelne, mickrige Äpfel trägt".
Die Sache mit der Erziehung
Bepackt mit wertvollen Tipps und Tricks gehen die Frauen schließlich eine nach der anderen in alle Himmelsrichtungen auseinander. Auch ich steige in mein Auto und steuere Richtung Heimat, den würzigen Duft von Natur an den Händen und in den Haaren. Zu Hause warten Kirsch- und Apfelbäume auf eine Lektion in Sachen Erziehung. Schere und Säge sind bereit, und ich bin es jetzt auch.

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